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Aus dem GERICHTSSAAL: Diebstahl aus lauter Frust

Gutachter: Psychisch krank, aber schuldfähig

Weinend nimmt Marion M.* (54) auf der Anklagebank Platz, zückt eine Packung Papiertaschentücher. „Es tut mir unheimlich leid, dass das passiert ist“, schluchzt die Arbeitslose. „Aber an dem Tag kam alles zusammen. Erst habe ich erfahren, dass mein Krankengeld nicht mehr weiter gezahlt wird, dann, dass mein Mann heimlich mit einer Bekannten telefoniert hat.“ Amtsrichterin Waltraud Heep versteht es nicht. „Deswegen gehen Sie zu Karstadt und stehlen?“, fragt sie erstaunt. „Wieso darf Ihr Mann nicht telefonieren?“ Der harmlose Satz löst eine wahre Tränenflut bei der Angeklagten aus. „Ich war so frustriert“, versucht sie, ihr Handeln zu begründen. Während ihrer Kur habe sie der Gatte mit besagter Frau betrogen. „Und dann kam am 10. Oktober 2005 auch noch der Brief, dass das Krankengeld gestrichen wird. Ich werde ins gesellschaftliche Abseits katapultiert.“

An jenem Tag habe sie bei Karstadt eigentlich eine Jacke kaufen wollen. Die gab es leider nicht in ihrer Größe, so Marion M. Das sei ein weiterer Grund gewesen, sich zu ärgern. Schließlich hätten alle Teilnehmer während der Kur abgenommen, nur sie nicht. Ohne lange nachzudenken, habe sie dann einen Blazer und eine Hose im Gesamtwert von 244,90 Euro eingesteckt, was von einem Kaufhausdetektiv beobachtet wurde. „Ich habe die Sachen ja später bezahlt“, erzählt die Frau, die sich seit 1993 in psychologischer Behandlung befindet. Deshalb beauftragte das Gericht einen Gutachter, der herauszufinden sollte, ob Marion M. eventuell schuldunfähig ist.

„Die Angeklagte ist eine verunsicherbare, ängstliche Frau“, führt Dr. Matthias Theophil (44) nun aus. „Bei ihr liegt mit ziemlicher Sicherheit eine Zwangsstörung vor.“ Diese könne sich in sinnlosen Handlungen äußern, um vermeintliches Unheil abzuwenden oder sich an dem untreuen Ehemann zu rächen. Kleptomanie, also krankhaftes Stehlen, sei bei Marion M. allerdings auszuschließen. „Ihr war bewusst, dass sie etwas Verbotenes tut. Das war ja gerade der Anreiz“, betont der Experte. „Die Fähigkeit, die Strafbarkeit der Handlung einzusehen, ist vorhanden.“

„Was Sie getan haben, war zwar nicht richtig. Aber es ist auch nicht der Weltuntergang“, beschwichtigt die Vorsitzende die während der gesamten Verhandlung Weinende. Dann verurteilt sie die bislang nicht vorbelastete Potsdamerin zu 20 Tagessätzen zu je 25 Euro und bleibt damit 250 Euro unter der von der Staatsanwaltschaft beantragten Geldstrafe. „Diese Sanktion taucht nicht im polizeilichen Führungszeugnis auf“, beruhigt Amtsrichterin Heep die Angeklagte. „Dort werden erst Strafen von 90 Tagessätzen aufwärts eingetragen.“ Das Urteil ist bereits rechtskräftig

(*Name geändert.) Hoga

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