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Geballte Informationen. Nachwuchsjournalisten aus 20 Ländern haben beim M100-Mediengipfel in Potsdam gelernt, wie man riesige Datenmengen verarbeitet und sie in sinnvolle Zusammenhänge setzt.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Aus Datenbergen Geschichten machen

Bierkonsum, Kriminalität oder Korruption: Nachwuchsjournalisten lernen beim M100-Workshop in Potsdam, was man aus Statistiken machen kann

Militärische Brennpunkte im Osten der Ukraine, die wichtigsten Ereignisse auf dem Maidan in Kiew oder die Massenzerstörung von Lenin-Statuen in der Ukraine – über all diese Themen hat Yarina Mykhyalyshyn bereits Info-Grafiken, interaktive Karten und Zeitachsen erstellt, eine ihrer Karten wurde sogar in der Zeitschrift „The Economist“ veröffentlicht. Die 23-jährige Ukrainerin ist eine Datenjournalistin, also jemand, der große digitale Datenmengen sichtet und in Visualisierungen übersetzt. „2012 öffnete die erste Schule für Infografiken ihre Türen in der Ukraine“, sagt Mykhyalyshyn. „Ich war eine der Glücklichen, die dort die Grundlagen der Datenvisualisierungen und des Informationsdesigns erlernen durfte.“

Mykhyalyshyn ist eine von 25 Teilnehmern des zehnten M100 Young European Journalist Workshops, der vom Potsdam Media International e.V. organisiert wird. Der Workshop für talentierte Nachwuchsjournalisten zwischen 18 und 26 Jahren findet regelmäßig im Vorfeld der alljährlichen M100-Medien-Konferenz statt, zu der am heutigen Freitag hochkarätige Journalisten und Politiker aus aller Welt in Potsdam erwartet werden. Die Teilnehmer des Nachwuchsjournalisten-Workshops kommen aus 20 Ländern, darunter viele aus Osteuropa, zum Beispiel aus Rumänien, Russland, der Slowakei, Ukraine oder Weißrussland.

In diesem Jahr stand der Workshop ganz im Zeichen von „Big Data“, so der Begriff für das seit einigen Jahren existierende Phänomen, dass immer mehr und immer größere Datenmengen über verschiedenste Themen Bürgern und Journalisten offenstehen.

„Wir leben in einer Ära, die voll von Daten ist“, sagt die 21-jährige Ana Kakalashvili, Assistentin im Human Rights Education Monitoring Centre in Georgien. „Man bekommt jeden Tag so viele Daten und manchmal machen sie gar keinen Sinn. Doch wenn wir sie richtig zusammenbringen, dann können diese Daten Geschichten erzählen.“

Genau das sollen die Teilnehmer des Workshops lernen, weshalb auch Mitarbeiter der Fachhochschule Potsdam und des Hasso-Plattner-Instituts die Veranstaltung unterstützten und den Nachwuchsjournalisten nützliche digitale Werkzeuge zur Datenaufbereitung näherbrachten. „Es hat mir wirklich dabei geholfen, wie man Daten visualisiert“, sagt Kakalashvili, die zusammen mit anderen Teilnehmern des Workshops eine Info- Grafik über die Verteilung von Männern und Frauen in der georgischen Regierung erstellt hat: „Hier sieht man zum Beispiel, dass im Ministerium für Inneres 3091 Männer arbeiten, aber nur 73 Frauen“, zeigt Kakalashvili auf ihrem Bildschirm.

Andere Teilnehmer des Workshops beschäftigen sich mit Daten zur Abwanderung von Fachkräften oder mit Zahlen zum internationalen Waffenhandel. Doch nicht nur kritische, sondern auch bunte und unterhaltsame Daten-Storys lassen sich auf diese Weise erstellen: Der 26-jährige Petr Obrovsky aus Tschechien etwa bearbeitete mit einer Workshop-Gruppe die Visualisierung des Bierkonsums in allen europäischen Hauptstädten, in Relation zum Einkommen der Konsumenten und des Bierpreises.

Der 23-jährige Roman Melnyk aus der Ukraine hat schon in der Vergangenheit mit einem ambitionierten Projekt begonnen: „Basierend auf Daten der Polizei habe ich eine Karte erstellt, auf der man die Häufigkeit und die Orte von Verbrechen in Kiew sehen kann. Damit lassen sich Trends erkennen und die Polizei weiß besser, an welchen Orten sie mit wie vielen Einsatzkräften gebraucht wird.“ Die interaktive Karte, auf der man die Verbrechens-Hotspots einblenden kann, zeigt, dass vor allem der Maidan-Platz und die U-Bahnen von Kriminalität betroffen sind, bei der Hälfte aller Verbrechen handelt es sich um Raub.

Seit dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Janukowitsch sei die Pressefreiheit in der Ukraine sehr gestiegen, sagt Melnyk: „Aber es gibt viele Berichte aus sehr unterschiedlichen Richtungen, und es ist nicht immer leicht zu unterscheiden, was stimmt und was Propaganda ist. Viele Oligarchen haben großen Einfluss auf die Presse.“ Die Jung-Journalisten sehen „Big Data“ jedoch als Chance für mehr Transparenz, etwa der 23-jährige Kirill Artemenko aus Russland. Als Beispiel nennt er die Aufdeckung der Korruption rund um den Oligarchen und Putin-Vertrauten Evgeny Prigozhin: „Viele Medien haben über Facetten dieses Falls berichtet, aber kein einziges hat die Daten in ihrer Gesamtheit analysiert und verknüpft.“

Dabei wäre es einfach gewesen, etwa eine Info-Grafik mit allen Beteiligten des Skandals zu erstellen, so Artemenko: „Das hätte ein Meisterwerk des investigativen Datenjournalismus werden können.“ Derzeit entwickele sich die russische Medienlandschaft jedoch sehr negativ: „Der Medienkonsum ist drastisch gesunken“, sagt Artemenko. „Die Qualität der Medienprodukte, auch der unabhängigen, sinkt stetig.“

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