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Landeshauptstadt: Abschied mit Klingelleitung

Die Arnimsche Kapelle auf dem Alten Friedhof ist wieder ein Ort klassischer Schönheit und leiser Eleganz. Unvorstellbar, dass hier vor Jahren Büroräume untergebracht waren

Als Hagen Mehmel das erste Mal in der Arnimschen Kapelle auf dem Alten Friedhof stand, dachte er: „Das ist verrückt, das restaurieren zu wollen, das ist eine Ruine.“ Das war 2013, und wie eine Kapelle sah die Bausubstanz ganz und gar nicht aus. Dabei waren damals immerhin schon Außenhülle und Dach saniert. Auch die angrenzenden Büros der Friedhofsverwaltung waren fertig. Jetzt sollte endlich die Kapelle wiederhergestellt werden.

Mehmel, Bauingenieur bei der Potsdamer Firma Roland Schulze Baudenkmalpflege, fehlte angesichts des desaströsen Zustands fast die Phantasie, dass das möglich sein sollte. Von dem klassizistischen Entwurf des Architekten Ferdinand von Arnim war nichts mehr übrig. Zu DDR-Zeiten hatte man Zwischendecken eingezogen und kleinteilig Mauern errichtet, um Platz für Büros zu gewinnen. Der Fußboden war mit Grabplattenschutt aufgefüllt worden. Mehmel machte Fotos von dem entkernten Gebäude, ein Bauwerk mit lauter offenen Wunden. Jetzt, dreieinhalb Jahre später, sind die Restauratoren fast fertig. Seit Mai kann die Friedhofskapelle wieder für Bestattungsfeiern genutzt werden. Besichtigen kann man sie auf Anfrage und am Tag des offenen Denkmals am 10. September. Es ist, so Denkmalschützerin Sabine Ambrosius, die einzige erhaltene klassizistische Friedhofshalle im Land Brandenburg.

Die meisten Potsdamer kennen das Gebäude eher vom Vorbeifahren. Vielleicht stand man auch mal im Rückstau der Ampel und schaute rüber zum Alten Friedhof und dem blassrosa Gebäude mit dem Säulenportal. Vielleicht hatte der Stau sogar etwas mit einer Beerdigung zu tun, denn jahrelang, erzählt Gunther Butzmann, der Bereichsleiter Friedhöfe, konnte nur die Kapelle auf dem Neuen Friedhof gegenüber genutzt werden. Sodass die Trauergemeinde, falls die Beerdigung doch auf dem Alten Friedhof stattfand, komplett die vielbefahrene Heinrich-Mann-Allee kreuzen musste. „Wir hatten irgendwann sogar einen Spezialschlüssel, mit dem wir die Ampelphase verlängern konnten“, erinnert er sich.

Bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts begräbt man in Potsdam die Toten auf einem Friedhof vor dem Nauener Tor. Dann gibt es Grundwasserprobleme und überhaupt ist der Gottesacker der wachsenden Stadt dort im Weg. Friedrich Wilhelm II. weiht 1796 einen neuen ein, fernab vom Zentrum und zunächst ohne Kapelle. Erst 1850/51 wird eine errichtet, mithilfe von 8000 Talern aus dem Nachlass von Kaufmann August Friedrich Eisenhart. Das Gebäude umfasst außerdem einen Raum, in dem die Toten gelagert werden, und die Wohnung des Friedhofinspektors. Der kann über zwei Fenster, angeordnet in einer Sichtachse, aus seiner Stube rüber in den Raum mit den Toten schauen – falls sich ein Scheintoter zurückmeldet. Die Toten bekommen zudem eine Klingelschnur angebunden, die zur Stube des Inspektors führt. Alarm habe es aber nie gegeben, sagt Butzmann. Die Fensternischen indes sind noch zu sehen. 1876 ist auch dieser Friedhof zu klein, bestattet wird vor allem auf dem Neuen Friedhof gegenüber. Die Kapelle wird schließlich um 1950 gesperrt. Die Schönheit des einzigartigen Gebäudes verschwindet, zerhackstückt im sozialistischen Baugeschehen. Bis Gunther Butzmann beim Denkmalamt anklopft. Da wäre noch was unter all den komischen Mauern und Mauerresten.

Die Recherche zum historischen Zustand war mühevoll. Es gab ein paar Baupläne und vor allem viele kleine Anhaltspunkte, die sich wie Puzzleteile zusammenfügten. So konnte man im Boden der Apsis den Leierpunkt ausfindig machen, den Mittelpunkt des Halbkreises, von dem man auf die Größe der Apsis und der Kuppel schließen konnte. Das Gewölbe wurde dann in der historischen Rapitztechnik aufgebaut: Ein Drahtgestell in Form der Kuppel wurde mit feinen Drähten überspannt, anschließend überputzt. Ein außergewöhnliches Prozedere, selbst für die Firma Schulze.

Auch für andere historische Techniken mussten Fachleute gefunden werden. So sind die Decken nicht mit Holztafeln abgehängt, wie man auf den ersten Blick vermutet, sondern mit bemalten Leinwänden in Holzoptik bespannt. Eine Kostbarkeit ist auch der Fußboden, ein Fliesenmosaik, das aus Ziegelsteinscheibchen hergestellt wurde. Ein großer Teil konnte mit Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz wieder hergestellt werden. Aber es gibt noch Lücken, für die Spender gebraucht werden. Das Fertigen und Verlegen einer Rosette mit einem Durchmesser von etwa 40 Zentimetern kostet 400 Euro.

Heinrich-Mann-Allee 106, geöffnet am 10. September von 11 bis 17 Uhr. Mehr Infos: www.Potsdamer-Dreiklang.de

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