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Wiedererkannt. Zum zehnten Mal begrüßt Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Tollitätenempfang in Berlin Walter Kassin (2.v.l.). Inzwischen, sagt der Vorsitzende des Karnevalsverbandes Berlin Brandenburg, wisse sie, wo Werder ist und dass dort jährlich das Baumblütenfest gefeiert wird. Von Klaus-Ludwig Fess (r.) hat die Kanzlerin zuvor den Ehrenorden des Bundes Deutscher Karneval verliehen bekommen.

© Enrico Bellin

Werder (Havel): Werderaner wollen Karneval zum Unesco-Kulturerbe machen

Werderaner Narren werben bei Bundeskanzlerin Merkel für einen Eintrag in die Unesco-Liste

Von Enrico Bellin

Werder (Havel) / Berlin – Bis auf die letzte Stufe gefüllt ist die große Südtreppe des Bundeskanzleramtes. Bunt befederte Prinzen und Prinzessinnen und Narrenkappen überall, davor steht die Kanzlerin am Podium. Beim sogenannten Tollitätenempfang, dem Empfang einer Abordnung von Prinzenpaaren aus allen Bundesländern, wird am gestrigen Montag selbst Karneval zur Chefsache. Und die Narren kommen mit einem ernsten Anliegen.

„Wir wollen, dass der deutsche Karneval zum immateriellen Kulturerbe erklärt wird“, sagt der Werderaner Walter Kassin, Vorsitzender des Karnevalsverbandes Berlin Brandenburg, den PNN. „Karneval ist mehr als nur Trinken und Feiern.“ Die Unesco hat die schwäbisch-allemannische Fastnacht aus Baden-Württemberg 2014 ins Kulturerbe aufgenommen. Ein Jahr später folgte der rheinische Karneval auf Antrag der Städte Aachen, Bonn, Köln und Düsseldorf. Der Bund Deutscher Karneval e.V. – der Dachverband, dem 5200 Karnevalsclubs mit 2,6 Millionen Mitgliedern angehören – hatte daraufhin versucht, den „Brauchtumskomplex Karneval, Fasching und Fastnacht“ insgesamt für ganz Deutschland zum Kulturerbe erklären zu lassen. Der Antrag wurde vor gut einem Monat abgelehnt. Gleichzeitig wurden 34 Kulturformen ins Erbe aufgenommen, etwa der deutschsprachige Poetry-Slam oder die ostfriesische Teekultur. Laut einer Sprecherin der deutschen Unescokommission könne im Frühjahr aber erneut der Aufnahmeantrag gestellt werden, eine Entscheidung wäre dann Ende 2018 möglich.

„Ich bin fest davon überzeugt, dass die Fastnacht bei uns in Brandenburg entstanden ist“, sagt Walter Kassin, der die Entscheidung der Kommission überhaupt nicht nachvollziehen kann. In Köln wäre zwar der römische Karneval sehr früh gestartet. Aber in der Lausitz hätte man Begriffe, von denen sich das heutige Wort Fastnacht ableitet, nachweislich schon im 13. Jahrhundert benutzt. „Da ist noch immer die Tradition sehr stark, was man etwa beim Zampern sieht.“ Dabei gehen verkleidete Gruppen durch Dörfer und musizieren, was böse Geister und auch den Winter vertreiben soll. Auch in den Dörfern rund um Beelitz wird dieses Brauchtum noch gepflegt.

Allein in Kassins Heimatstadt Werder gibt es vier Karnevalsvereine. Gestern war unter anderem der Vizepräsident der „Freunde des Frohsinns“, Bernd Zube, mit ins Kanzleramt gekommen. Sein Verein dehnt die Narrenzeit sogar etwas aus. „Bei uns wird bis zum 18. März gefeiert“, sagt Zube. Ob das nicht unchristlich ist, in der Fastenzeit? „Wir fasten ja dabei“, so Zube augenzwinkernd.

Die Vielfalt an Vereinen ist ein Grund, warum Klaus-Ludwig Fess, Präsident des Bund Deutscher Karneval, es erneut mit der Eintragung des gesamtdeutschen Karnevals als Kulturerbe versuchen will. „Alle Bräuche und Traditionen in den Regionen sind ja gleichwertig“, erklärt Fess gegenüber den PNN. Es könne nicht sein, dass man nur für eine Region den Status anerkennt und den anderen damit signalisiere, sie seien zweitklassig. Schließlich wird in allen Vereinen viel Arbeit, auch im Bereich der Jugendförderung, geleistet. Bei einem parlamentarischen Abend trafen die Narren gestern zudem unter anderem den Bundesminister für besondere Aufgaben, Peter Altmaier (CDU), sowie etwa 20 weitere Bundestagsabgeordnete, um sie von ihrem Vorhaben zu überzeugen. Über die Aufnahme in die Kulturerbeliste entscheidet schlussendlich die Kultusministerkonferenz, allerdings auf Grundlage der Unesco-Empfehlungen.

Die Kanzlerin gesteht dem Karneval allein durch den Empfang am Montag große Bedeutung zu: Der war eigentlich für den heutigen Dienstag geplant, wegen des Staatsaktes zum Tode von Roman Herzog aber verschoben worden. In ihrer Ansprache dankt Angela Merkel (CDU) den Narren für die gelebte Brauchtumspflege. „Es braucht Verstand, um Ernstem etwas Lustiges abzugewinnen und mit Fakten statt mit Fakes zu überzeugen“, so Merkel. Der Auftritt der Prinzenpaare sei jedes Jahr der Höhepunkt im Kalender des Bundeskanzleramtes. „Etwas Bunteres und Fröhlicheres haben wir nicht.“ Es ist Merkels zehnter Tollitätenempfang, jedes Mal war Walter Kassin dabei. „Ich habe ihr gesagt, dass zehn Jahre zwar eine runde Zahl sind, wir, wenn alles gut geht, im kommenden Jahr aber ein närrisches Jubiläum feiern können“, so Kassin, der für die CDU im Werderaner Stadtparlament sitzt. Merkels Reaktion: „Schau’n wir mal.“

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