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Werder (Havel): Vom Industriedenkmal zum Atelier

Zu Besuch in Werders Vulkanfiber-Fabrik, wo vier Bildhauer gemeinsam Kunst erschaffen.

Werder (Havel) - Wer durch die kleine Tür des Atelierhauses in der Adolf-Damaschke-Straße 56/58 steigt, erlebt eine Überraschung, denn der Raum dahinter ist größer als vermutet. Die Papierlagerhalle der ehemaligen Vulkanfiber-Fabrik in der Adolf-Damaschke-Straße 56/58 erinnert fast an ein Kirchenschiff, durch dessen Fensterbänder im Dach weißes Licht fällt. Der Raum ist streng gegliedert, mit Nischen zu beiden Seiten, Galeriegängen. Von der Decke hängen dicke Ketten und Haken, mit denen einst Schwergewichte durch die Halle dirigiert wurden. Der Anblick solcher „Sakralen der Arbeit“ faszinierte wohl auch die vier Künstler, die hier arbeiten und am Wochenende zum „Offenen Atelier“ einluden. Als älteste deutsche Vulkanfiber-Fabrik setzt das 1916 errichtete Gebäude mit roter Ziegelfassade noch immer städtebauliche Akzente und steht seit DDR-Zeiten unter Denkmalschutz. Als bemerkenswert gelten vor allem die freitragenden Dachbinderkonstruktionen. Von dieser Raumatmosphäre war auch Katharina Forster sofort angetan, als sie vor einem Jahr hierherkam, besonders „wie die Halle das Licht einfängt“. Forster und ihre drei Kollegen teilen sich den etwa 500 Quadratmeter großen Raum. Zwar habe jeder sein Arbeitsrefugium, aber es sei durchaus gewollt, dass die Arbeit des anderen nicht nur die eigene inspiriere, sondern manchmal daraus auch ein Mix entstehe.

Stahlrohre säumen die Wege

So lieferte der Bildhauer Rainer Düvell den Rahmen für eine Skulptur seiner Kollegin. Wegmarken für Landschaften ist eines seiner Projekte, bei dem Stahlrohre Wege säumen und aus der Ferne wie Riesenhalme wirken, deren Metallic-Farben je nach Sonnenstand ein ganz eigenes Lichtspiel entwickeln. Manche dieser Rohrskulpturen stehen auch in Stadträumen, wie etwa im Kölner Klanggarten, wo sie als „StadtSchilf“ fungieren. Mehrere dieser blauen Rohre lehnten an der Atelierwand und einige Besucher konnten sich diese Reihungen auch für die Havelauen als reizvollen Kontrast in der Landschaft vorstellen. Ob diese künstlerische Zutat im nächsten Jahr zum 700-jährigen Stadtjubiläum das blaue Band der Havel begleiten wird, bleibt abzuwarten.

Immerhin zeigte sich Werders Bürgermeisterin Manuela Saß am Samstag bei ihrer Stippvisite im Atelier beeindruckt von den Skulpturen der Künstler. Wie man die Potenziale einer Stadt auslotet, hatten Düvell und Forster bereits im September in der Lausitz-Stadt Kamenz mit dem Projekt „Stadt-Raum-Kunst“ bewiesen. Dort arbeiteten die Künstler live vor Ort, sammelten in Gesprächen Informationen von Ortsansässigen und schafften Aufmerksamkeit für Stadträume, die aus Gewohnheit meist übersehen werden, machten so sichtbar, was bislang unsichtbar und vernachlässigt wurde. Am Beginn des Projektes stellten sie zwei Transform-Koffer mit entsprechendem Werkzeug auf den Marktplatz, um den Ort zu erforschen. Solche Koffer wurden einst auch in Werders Vulkanfiber-Fabrik hergestellt, aus einem Material, das im Volksmund auch Lederstein genannt wird und ein Verbundmaterial auf Zellstoffbasis ist, das mittels verschiedener Bindemittel so fest und leicht zugleich wurde, dass es sich nicht nur für Koffer eignete, sondern auch Zahnräder und Knöpfe daraus gefertigt wurden.

Kunst aus Recyclingmaterial

Aus den Kunststoffen neuerer Zeit, wie Plastik, kreiert Forster ihre Skulpturen. Sie ließ sich in Kamenz von Anwohnern Recyclingmaterial bringen, viele farbige Plastikflaschen, -schüsseln und andere Haushaltsgeräte, für die deren einstige Besitzer keine Verwendung mehr hatten. Wie zufällig verdichtet und komponiert sie daraus einfarbige, aber auch kunterbunte Figuren, verhilft dem Unbeachteten zu einem Auftritt, der Betrachter nicht nur schmunzeln lässt, sondern auch staunen. „Die Deckel hab ich immer weggeworfen, war für mich eigentlich nur Müll“, erzählt eine Dame, die Gefallen an dem schwingenden Objekt fand, das aus farbigen Flaschendeckeln, verbunden mit Angelfäden zu einem zart anmutendem Kunstwerk wurde. Auch die alten Teebeutel, die Forster patchworkartig zusammen nähte wirken nun als strukturierte Fläche fast wie eine Haut, deren farbige Wirkung noch durch den Lichtschein einer Lampe gesteigert wird. Gleich nebenan stehen raumgreifende Holzskulpturen, verklammert mit Stahlstäben. Es sind die Kontraste der beiden Materialien, die zum Tasten und Greifen animieren: die strengen geometrischen Formen, manchmal gemildert von den rissigen Oberflächen des Holzes, aber auch filigrane Gestänge, die Durchsichten gestatten. Dazwischen stehen wuchtige Arbeitsgeräte, Maschinen, wie sie Ruth Gindhart bedient. Die in Oberammergau zur Holzbildhauerin ausgebildete und an der Berliner Hochschule der Künste studierte Bildhauerin arbeitet seit dem Jahr 2000 im Werderaner Atelier. Ihre Skulpturen stehen auch am Flughafen Berlin-Tegel und im Lüneburger Kulturforum.

Oben auf der Galerie sind die Arbeiten von Hannes Brunner zu sehen, überwiegend Modelle, die sich der Wahrnehmung dreidimensionaler Objekte widmen und dabei auch in Stein gemeißelte Gewissheiten infrage stellen. Die Grundlage vieler Wahrnehmungen sei oftmals nur eine Täuschung, provoziert Brunner die Betrachter. Wie anders die Dinge aus der Nähe betrachtet oft sind, wird deutlich an einer Skulptur der Künstlerin Katharina Forster. Oben von der Galerie gesehen, ist es ein lustiger roter Farbtupfer, umrahmt von einem filigranen Metallknäuel, der da unten mitten im Raum steht. Doch der Farbtupfer entpuppt sich als zerrissener Stofffetzen, gefangen in einem Knäuel aus Natodraht, dessen rasiermesserähnliche Schneiden stärker als Stacheldraht verletzen können, versucht man das Hindernis zu überwinden. „Mit so etwas sind einige EU-Außengrenzen befestigt“, sagt Forster.

Arbeiten der Künstler sind aktuell auch in einer Ausstellung in der Stadtgalerie Werder, Uferstraße 10, zu sehen: „3. Bestandsaufnahme, Werder (Havel) wird 700“, bis 8. Januar 2017, donnerstags sowie samstags bis sonntags von 13 bis 18 Uhr.

Kirsten Graulich

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