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Streichelzoo zur Landpartie: Für Sonntag hat Bauer Schreinicke die zahmsten Rinder auf den Hof geholt.

© Thomas Lähns

Von Thomas Lähns: Das Konzept heißt Tradition

Der Stückener Landwirt Jens Schreinicke will sich in Krisenzeiten selbstständig machen / Zur Landpartie öffnet auch er seinen Hof

Michendorf - „Komm, Olle, komm!“ – so klingt es, wenn Bauer Jens Schreinicke nach Karla ruft. Dabei klopft er fortwährend mit der flachen Hand auf einen Plastiktrog, in dem er Futter für sie mitgebracht hat. Gemütlich setzt sich das braun gemusterte Rind am anderen Ende der Weide in Bewegung, trabt heran und gräbt dankbar sein Maul ins Schrot. In diesem Moment ist die Welt in Ordnung: Weit weg sind Wirtschaftskrise, sinkende Subventionen oder fallende Fleischpreise. Der Stückener Landwirt klagt nicht, im Gegenteil: Seinen Hof, den er bislang im Nebenerwerb geführt hat, will er demnächst in eine „Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ umwandeln, sich selbstständig machen. Während andere Bauern kurz vorm Aufgeben stehen, will Schreinicke erst so richtig loslegen.

Der 36-Jährige gehört zu einer Generation von Landwirten, die schon nach neueren Standards ausgebildet worden sind und sich nicht im Dschungel aus Gesetzen und Richtlinien verirren – die aber auch ein gutes Stück Tradition von den Eltern und Großeltern mit auf den Weg bekommen haben. Die Familie spielt in Schreinickes Betriebskonzept ohnehin eine große Rolle: Vater Alfred ist Metzger und betreibt in einem der Nebengebäude auf dem Vierseithof in der Zauchwitzer Straße eine Wildfleischerei, seiner Schwester Bianka gehört das Landhaus Stücken in der Dorfstraße. Abnehmer für Rindfleisch hat er also längst. Künftig sollen hausgemachte Fleisch- und Wurstwaren auch in einem Hofladen verkauft werden, wenn möglich an Kunden aus der Stadt. Zur Landpartie an diesem Sonntag will Schreinicke testen, wie sein Hof ankommt: Zwischen 10 und 20 Uhr können die Besucher im Trecker mit zu den Wiesen fahren, sich Landmaschinen anschauen, per Kutsche durch Stücken touren, Karla und ihr Kälbchen streicheln – oder ihre Artgenossen in etwas anderer Form frisch vom Grill genießen.

Es ist ein herrliches Fleckchen Erde, das die Schreinickes seit der Wende wieder ihr Eigen nennen. Wie die meisten ostdeutschen Bauern waren auch sie Ende der 50er Jahre in die LPG gedrängt worden, nur Haus und Hof blieben ihnen. Bei einem Rundgang über die Wiesen erzählt Jens Schreinicke, wie seine Familie nach der Wende mit der Zucht von Galloway-Rindern angefangen hatte: „Der Berliner Koch Peter Frühsammer brachte uns darauf, er wollte regelmäßig Lieferungen für sein Restaurant haben.“ Weil das jedoch nicht so gut lief, sattelte man auf konventionelle „Hereforder“ um. Mittlerweile gibt es hier 60 Mutterkühe, das Futter wird von 120 Hektar Grünland gewonnen. 70 Prozent der Flächen liegen im Naturschutzgebiet des Naturparks Nuthe-Nieplitz. Das heißt: Schreinicke muss strenge Auflagen einhalten. Er darf nur im Winter walzen und erst ab Juni Heu einbringen. Dünger ist tabu. „Im Prinzip arbeite ich als Biobauer, doch für eine Zertifizierung wäre der bürokratische Aufwand zu groß“, sagt er und zuckt mit den Schultern. Ein Landwirt habe eben nicht nur einen Acht- oder Zehn-Stunden-Tag.

Der Weg zurück zum Hof führt durch ein Gatter. Dahinter muss man über eine kleine Holzbrücke balancieren, unter der ein kleiner Wasserlauf plätschert. „Das ehemalige Mühlenfließ“, erläutert der Landwirt. Denn bis Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Schreinickes nicht nur Bauern, sondern auch Müller. Am Giebel des Wohngebäudes künden noch heute Spuren davon: Kurz über der Bodenkante offenbaren kreisförmig gemauerte Ziegel jene Stelle, durch die einst die Antriebswelle lief. Eine Wassermühle, „die vor unsern Dorfe Stycken leit“, ist bereits im Jahre 1438 in einer Urkunde erwähnt worden. Immerhin bis ins 18. Jahrhundert lassen sich die Wurzeln seiner Familie in Stücken zurückverfolgen, sagt Jens Schreinicke stolz.

Mit der Müllerei war es vorbei, als der Bach neben dem Haus zu schwach wurde, um das Wasserrad anzutreiben. Denn als 1922 die Elektrizität in die Region kam, begannen die Leute, neue Brunnen zu bohren. Der Wasserstand im Kähnsdorfer See fiel ab, das Mühlenfließ konnte nicht mehr ausreichend versorgt werden. 1927 unternahmen Schreinickes noch einen Versuch, ihre Mühle zu retten, indem sie nachts heimlich einen Damm einrissen, wofür sie allerdings bestraft wurden. Das habe sein Großvater ihm erzählt, erinnert sich Jens Schreinickes Vater Alfred, während er ein Stück Fleisch auf die Hackbank wuchtet. In den Räumen seiner Metzgerei verarbeitet er gerade Rinderhälften. Sein Haupterzeugnis aber ist Wild, das er von Jägern aus ganz Brandenburg holt. Weiterverkauft wird es an Gaststätten in der Umgebung. Er sei froh, dass sein Sohn die Tradition aufrecht erhält, sagt das Familienoberhaupt, und setzt hinzu: „Landwirtschaft is’ doch wat Feinet.“

Einen Teil seiner Herde lässt Bauer Schreinicke außerhalb des Dorfes auf einer Wiese am Waldrand grasen. Sogar im Winter bleiben die Rinder draußen, bis zu 20 Grad minus können sie aushalten – einen Unterstand gibt es hier trotzdem. Eine Baumreihe am Horizont markiert den Lauf des Mühlenfließes: „Die meisten unserer Flächen liegen an diesem Graben“, erläutert der Landwirt. Als er aus dem Auto steigt, kommt sogleich ein kleines Kalb auf ihn zugelaufen: Er hat es mit der Flasche aufgezogen, seitdem ist es zahm. Wenn die Wirtschaftskrise erst einmal vorbei ist, sagt Jens Schreinicke, kommen auch für die Bauern wieder bessere Zeiten. Durchhalten lohnt sich, findet er, tätschelt das kleine Rind und lässt seinen Blick über die Wiesen schweifen.

www.landpartie-brandenburg.de

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