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Ob beim Tienenverladen an der Föhse oder beim poetischen Stündchen im Boot  Marie Goslich hat die Werderaner vor 100 Jahren in vielen Situationen abgelichtet. Die klärenden Titel wie Kinder in der Fischerstraße auf der Inselstadt, Der Kohlkopf-Poet oder Blick in die Kirchstraße auf die Heilig-Geist-Kirche verpasste ihnen Kurator Frank W. Weber nachträglich.

© Archiv-Kauffmann

Von Gerold Paul: Im Zeichen der Kirschen

Kunstgeschoss präsentiert in neuer Ausstellung historische Werder-Fotos von Marie Goslich

Werder (Havel) - Nach fünf kleinen verstreuten musste ja mal eine große zentrale kommen! Jetzt ist sie endlich da, nun kann sich Werder via „Kunst-Geschoss“ wiedererkennen, kann quasi „Hundert Jahre später“ erkunden, ob der Blick vom Festland zur Insel noch der gleiche ist, wie zu Marie Goslichs Zeiten, ob die Obstbäume dort noch so üppig blühen und die alten Schuten wieder segeln.

Am Donnerstagabend wurde im Schützenhaus die große Ausstellung mit fünfzig neuen „Abzügen“ der fotografierenden, inzwischen weithin bekannten Journalistin eröffnet. Nagelneu deshalb, weil sich der Caputher Heimatverein des vom Zahn der Zeit benagten Nachlasses angenommen und alle 410 schwarz-weißen Negativ-Platten digitalisiert hat. Besonders seine Frontfrau Krystyna Kauffmann und Mit-Kuratorin setzt sich ja schon lange für das Werk der 1859 in Frankfurt (Oder) geborenen Promi-Frau ein, vor anderthalb Jahren gab es ein ganzes Ausstellungsquintett. Frank Weber, Maler in Werder und vielbewährter Kurator im „Kunst-Geschoss“ genauso, hat schon in den Achtzigern mal eine Goslich-Schau für den Kulturbund organisiert.

Voraussetzung aller Umtriebigkeit ist und bleibt Lieselotte Herrmann, sie rettete die kostbaren Glasplatten in Baumgartenbrück über die Zeit. Ihr Porträt hat einen Ehrenplatz gleich beim Entree. Im Gegensatz zu den kleineren Ausstellungen in Caputh, Petzow und anderswo will die jetzige Schau alles bisherige Wissen zusammenführen. Schwerpunkt ist „Werder und Umgebung“. Da sieht man schon mal einen jungverliebten Kerl unter der vollen Kirschblüte seine Dulzinea anschmachten, viel zu tief scheint sie mit einer Handarbeit beschäftigt. Ein Junge ritzt etwas in eine alte Eiche, ein anderer steht barfuß auf der Pflückeleiter, was Bürgermeister Werner Große bei der Vernissage zu der Bemerkung hinriss, gerade deshalb seien ja in Werder die Holzpantinen erfunden worden.

Fischer beim gemeinsamen Fischen, Männer in hochmoderner Bademode am Strande der Havel. Landarbeit und Freizeit, nach 1900, doch wo die Sommerfrische wohnt, ist auch die Schwerarbeit zu Hause. Unübersehbar das Interesse für einfache und arme Leute, für die gesellschaftliche Stellung der Frau, für Menschen überhaupt. Kurz, die so „ganz in Weiß“ gehaltene Exposition ist ein bleibender Kulturfaktor ersten Ranges. Auch deshalb, weil man inzwischen nachweisen kann, dass Marie Goslich (ihre Spur verliert sich 1936) viele Fotos exklusiv für ihre Feuilletons machte. So findet man oftmals Bild und Text getreulich nebeneinander, wie in den guten alten Zeiten. Sollte das Stadthaus mal schöne Gastgeschenke brauchen, im Schützenhaus findet man sie, nur noch nicht in Buchform

Modern geht es bei Frank Weber trotzdem immer zu. Nachdem er bei der letzten Ausstellung zum Mauerfall beobachtet hatte, wie sehr ganze Schulklassen auf „bewegte Bilder“ abfahren, gibt es erneut was Movieähnliches, den biografisch angelegten Fotofilm „Von Berlin nach Baumgartenbrück“. Auch die etwas sperrige Konstruktion im Zentrum des Raumes – ein „Marie Goslich Memory-Spiel“ aus dem Hause Christiane von Lengerke – wirkt sehr aktuell: Achtzehn Bildpaare sind zu erpuzzeln. Ganz Werder samt Umgebung ist hier gerufen, anhand dieser Fotos die Vergessenheit seiner Straßen und Gassen aufzuhellen.

Das dürfte für traditionsgetreue Insulaner kein Problem sein, wie gut das mit dem Eingedenken funktioniert, war schon vor der ersten Rede zu erleben: Angesichts der gestochen scharfen Bilder zur Obsternte rätselten Zweie, was denn das Kürzel „HP“ auf einer Kiepe bedeute. „Pietsch vielleicht?!“ Frank Weber genoss das heimische Interesse. Mit fast salomonischer Miene raunte er: „Nach der Ausstellung werden wir alle klüger sein!“ Klar, in jedem Wiedererkennen ist eine große ungehobene Kraft.

bis 7. März Donnerstag, Samstag und Sonntag 13 bis 18 Uhr, Uferstraße 10

Gerold Paul

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