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Die Fabrikantenvilla in Teltow war eine der Adressen von Stalins Geheimpolizei in der Region. Von hier aus wurden die Gefangenen auf die berüchtigten Speziallager verteilt.

© Andreas Klaer

Über Kriegsopfer in Kleinmachnow: „Todesursache unbekannt“

Kleinmachnows Ortschronist Günter Käbelmann hat zum Schicksal von 30 Einwohnern recherchiert, die nach dem Zweiten Weltkrieg dem Stalin-Terror zum Opfer fielen. Dabei wurde ihm immer wieder der Weg verbaut.

Kleinmachnow - Günter Käbelmann war zu Berufszeiten Fahrschullehrer. Als er 1961 mit einer seiner ersten Fahrschülerinnen in Teltow am damaligen Elektronikkombinat „Carl von Ossietzky“ vorbeifuhr, brach sie in bitterste Tränen aus. Nach dem Grund befragt, erzählte sie die tragische Geschichte ihres Vaters, „den sie geholt“ hatten und den sie nie wiedersah. Da sie ihn ohne Schuld wusste, nahm sich ihre Mutter ein Herz und sie an die Hand, um bei der sowjetischen Kommandantur vorzusprechen. Aber der Offizier wehrte ab: „Njet, GPU!“ Und wies auf die Fabrikantenvilla, wo die russische Stasi ihre Opfer gefangen hielt. Da war nichts mehr zu machen.

Kein Einzelfall nach dem 8. Mai 1945, denn die verheißene neue Zeit erwies sich als Blutherrschaft mit Stalinschen Methoden, mit willkürlichen Verhaftungen, Todesurteilen jenseits allen Rechts, mit Deportationen in die kalteisigen Lager unterm Polarkreis, oder man kam in die Gefängnisse der NKWD-Geheimpolizei, die noch GPU genannt wurde, aber schon NKWD hieß, nach Moskau, wo fast 1000 Deutsche erschossen wurden, einfach zwei MG aufgestellt, dann draufgehalten. Das ist bis heute noch nicht aufgearbeitet in Russland.

Wer den Kreuzweg via Oranienburg in Richtung Moskau und Sibirien nicht zurücklegen musste, traf es nicht besser. Sammelpunkt für die Verhafteten im Bereich Teltow/Kleinmachnow war die 1928 gegründete Gaststätte August Tetzlaff, von dort ging es nach Teltow oder in die NKWD-Zentrale Mahlow, dann wurden sie per Lastwagen auf die berüchtigten Speziallager verteilt.

Ab Sommer 1945 waren die KZ-Lager wieder voll

Hatten die Russen bis zum Mai 45 alle NS-Konzentrationslager ihres Herrschaftsgebietes befreit, so waren sie ab Sommer wieder voll. Katastrophale Bedingungen, allein in Sachsenhausen zählte man bis Anfang der 1950er-Jahre 40 000 Tote. Und es gab auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone bis 1952 zehn solcher gottverlassenen Stätten, Buchenwald, Waldheim, Ketschendorf, Hohenschönhausen, weitere. 140 000 meist Ostdeutsche wurden nach Kriegsende verhaftet, sehr viele kamen nicht wieder, von etlichen fehlt bis heute jede Spur.

Als Ortschronist und Mitglied des Heimatvereins Kleinmachnow hat Günter Käbelmann dieses Thema zu seiner Lebensaufgabe gemacht und mit den Jahren ein Archiv zusammengestellt, das seinesgleichen sucht: Über die gut 1000 Kriegsopfer (einschließlich deutscher und russischer Soldaten) in Kleinmachnow, über die deportierten Juden des Ortes, über die Verschollenen nach dem Krieg. Die Zukunft wird ihm dankbar sein.

Archivforschung bis nach Moskau

Kürzlich stellte er im Heimatverein neue Forschungsergebnisse zum letzteren Thema vor. Er hat zwar von allen 30 „Geholten“ Dossiers angelegt und mit den seit 1989 entstandenen „Totenbüchern“, Namenslisten der Umgekommenen aus Lagern und Gefängnissen, verglichen. Von zehn der nicht Zurückgekehrten freilich weiß man fast nichts.

Spürnasenarbeit, wozu Befragungen von Alteinwohnern gehören, Fahrten zu den Stätten des Elends und auf Friedhöfe wie Halbe, Archivforschung bis nach Moskau, wo die Aktenlage allerdings trübe ist: Vielen Angehörigen konnte er Auskunft geben, doch fündig wurde der Ur-Kleinmachnower des Jahrgangs 1937 nicht immer: Entweder gab es gar keine Dokumente, oder die neuen Behörden unter Ulbricht hatten befohlen, Lebensdaten zu tilgen, Urkunden zu fälschen.

Das Prozedere für die „Prozesse“ stand seinerzeit von vornherein fest: Kein Rechtsbeistand, kein Urteil unter zehn Jahren, auch wenn dem Beschuldigten nichts nachzuweisen war. Kalter, blanker Terror, die Zeichen der neuen Zeit. Wie schrieb der linke Autor Heiner Müller doch 1979: „Die erste Gestalt der Hoffnung ist die Furcht, die erste Erscheinung des Neuen der Schrecken.“ So geht das seit mindestens 500 Jahren, und es scheint, als steckten diese Furchtverbreiter alle unter der einen Decke.

Bewegende Einzelschicksale

Sie ignorieren, dass in dieser Welt nichts Erzwungenes je Bestand haben wird, in welchem Reich und in welchem Jahrhundert auch immer. Was für die Weltpolitik also seit jeher der Kampf um „die neue Zeit“ ist, löst sich für die Menschen vor Ort – Angehörige, Nachbarn, Zeitzeugen, für die Nachkommenschaft – gern und rasch in bewegende Einzelschicksale auf.

Die Seelen werden ja nicht ruhig, so lange sie Unrecht erspüren. Das Schicksal der mutigen Fahrschülerin rührt am Herzen, man erzählt auch vom Lebensmittelbeauftragten Hockenholz, der am Fuchsbau weggeholt wurde, weil er „in der Partei“ war. Käbelmann weiß das von dessen Tochter, die heute noch lebt.

Jugendliche wurden nicht verschont

Gerhard Engel hat die Bergung zweier toter deutscher Soldaten vom Turm der Hakeburg mit Sachsenhausen und „Todesursache unbekannt“ bezahlt. Auch Jugendliche wurden nicht geschont, weil die Sieger panische Angst vor versprengten Partisanen, „Werwölfen“, hatten, oder Meinung und Spott Unmündiger nicht ertrugen.

Fallbeispiele ohne Zahl, es traf Amtsträger wie den nach Buchenwald deportierten Bürgermeister Jahn – „zwar NSDAP, doch bestimmt kein Verbrecher“, sagt Ortschronist Käbelmann. Es traf den Beliebigen auf der Straße wie den Maschinenbauhändler Giese, 1946 in Ketschendorf verschollen. Auch der erklärte Hitlergegner Ludwig Münz kam in einem Lager zu Tode. An diesen Operationen einschließlich Exekution waren sowohl DDR-Volkspolizisten als auch die neuen staatssichernden Organe des Arbeiter- und Bauernstaates beteiligt, Landsleute gegen Landsleute. Höchste deutsche Instanz: Moskaus Paladin Ulbricht.

Interessant übrigens, dass Wikipedia Kleinmachnows Bürgermeisterliste nach Ernst Lemmer (1945/46, Demokrat) erst 1961 mit Antonie Stemmler fortsetzt. Natürlich waren alle von diesem Terror der neuen Zeit traumatisiert, dafür ist er ja da. Wer zurück- und davongekommen war – Häftlinge, aber auch Richter, Anwälte und Ärzte, die Totenscheine zu fälschen hatten –, trug den lebenslangen Schweige-Eid im Gepäck.

Wenn das Vergangene in der Gegenwart ankommt

So wird selbst dem emsigsten Chronisten der Weg verbaut. Trotzdem sind die späten Echos von damals enorm: beim Erstaunen über Käbelmanns Eröffnungen wie beim beißigen Schweigen der letzten Zeitzeugen. War dies nicht auch ein Grund, warum die rebellische Jugend der 60er gegen die Elterngeneration aufbegehrte? Alles Vergangene kommt ja wieder in der Gegenwart an, zu jeder Zeit.

Günter Käbelmann jedenfalls hat sich den Satz seines Großvaters gut gemerkt, der in den späten 40ern die Zeichen der neuen Zeit heraufziehen sah: „Alles genau wie bei Hitler!“

Gerold Paul

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