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Potsdam-Mittelmark: Standhaft am Werkstor

Es soll die einzige lebensgroße Einstein-Statue in Deutschland sein, die unbemerkt in Stahnsdorf steht

Es soll die einzige lebensgroße Einstein-Statue in Deutschland sein, die unbemerkt in Stahnsdorf steht Von Peter Könnicke Stahnsdorf - Albert sieht mitgenommen aus. Der Anzug leicht ramponiert und die Haltung etwas unsicher. Dabei gibt es keinen Grund, sich deplatziert zu fühlen. Wenn Albert Einstein in Stahnsdorf einen Platz verdient hat, dann dort, wo die Erkenntnisse der Physik tausendfach Anwendung fanden. Am Eingang des ehemaligen Instituts und späteren Werks für Halbleitertechnik steht eine lebensgroße Statue von Albert Einstein. Es soll die einzige lebensgroße Statue des Physikers sein, die es in Deutschland gibt. Eher unauffällig, von Fichten überragt, steht sie da. Ihre Geschichte ist ein Teil der wechselvollen DDR-Vergangenheit und der Nachwende-Zeit – und ein mitteilsamer Beitrag im Einstein-Jahr. In den frühen 60er Jahren wurde in Stahnsdorf das Forschungsinstitut für Halbleitertechnik in ein Gleichrichterwerk umgewandelt. Mit dem „Kulturgroschen“, wohinter sich keineswegs nur Pfennigbeträge verbargen, wurde in den volkseigenen Betrieben auch kunstvolles Interieur angeschafft. So wurden die Gänge des Labortrakts der Stahnsdorfer Physiker mit Holz getäfelt, Bilder gekauft und Einstein in Auftrag gegeben. Der heute 71-jährige Martin Schmuntzsch, einer der Pioniere der Stahnsdorfer Halbleiter-Technologie, kann sich noch erinnern, dass eine etwa 20 Zentimeter große Statue aus Magdeburg Modell stand für die lebensgroße Bronzestatue. Fortan empfing Einstein am Werkstor Forscher und Werktätige. „Da stand er nun, der Albert“, fasst Schmuntzsch zusammen. Noch zu seinem 100. Geburtstag, am 14. März 1979, erfuhr der bronzene Einstein höchste Aufmerksamkeit. „Der DDR-Wissenschaftsminister hielt eine Rede, Physiker von Universitäten, Akademien und Instituten kamen nach Stahnsdorf, weil hier die einzige Einstein-Statue stand“, erinnert sich Schmuntzsch. Dem Kleinmachnower Physiker war es unangenehm, dass es auf dem Betriebsgelände außer der Statue keinen weiteren Hinweis zu Einstein gab, auch wenn dessen Relativitätstheorie nichts mit der Halbleitertechnik zu tun hatte. Schmuntzsch lud seinen Trabant-Kofferraum voll mit privaten Einstein-Aufsätzen und Biografien, übersetzten Texte aus dem Russischen und Englischen, ließ sie von den Sekretärinnen abtippen und legte sie in den leeren Vitrinen der Werksmensa aus. Den staatstreuen Funktionären erschienen nicht alle der Texte zeitgemäß und linientreu, so dass Schmuntzsch neue Passagen aussuchte und die alten Manuskripte ersetzte – nicht ohne den beigelegten Hinweis, dass „die Texte auf Wunsch der Partei ausgetauscht wurden“. Schließlich habe Einstein „auch solche Späße gemocht“, weiß Schmuntzsch. Kurze Zeit später gab es für Einstein nichts mehr zu lachen. Als aus dem Gleichrichterwerk Anfang der 80er Jahre der Volkseigene Betrieb Mikroelektronik „Karl Liebknecht“ wurde, hatte Einstein als Willkommensgruß am Werkseingang ausgedient. Der Nobelpreisträger sollte verschwinden, eine Karl-Liebknecht-Büste seinen Platz einnehmen. Doch die Wurzeln, die Einstein in Stahnsdorf geschlagen hatte, waren tiefer als gedacht. Hans-Jürgen Hillemann, der seit 1965 als Physiker in Stahnsdorf arbeitete, hat noch „die Zwei von der Hofkolonne“ vor Augen, die mit Schaufeln anrückten, um die Statue auszubuddeln. Der Versuch schlug fehl, so dass Einstein eine Drahtschlinge um den Hals gelegt bekam und ein Kran anrückte. Doch Albert blieb standhaft, der Kran verneigte sich vor ihm. Es dauerte mehrere Tage, bis ein tiefes Fundament freigelegt worden war, ein trapezförmiger Betonsockel ausgehoben und der lebensgroße Einstein an den Rand des Werksgelände geschleppt wurde. Fortan blickte Einstein aufs freie Feld gen Osten. Von dort kamen zehn Jahre später, nach Wende und Ausverkauf der DDR-Kombinate, die neuen Eigentümer des einstigen VEB Mikroelektronik, der 3000 Mitarbeiter zählte. Indische Investoren kauften von der Treuhand den Betrieb, der für ein effektives Wirtschaftsunternehmen viel zu groß war. Als die Inder Mitte der 90er Jahre Stahnsdorf wieder verließen, zählte die Produktionsstätte nur noch 79 Mitarbeiter. Einstein indes wurde in den Wendejahren zum Objekt der Begierde zahlreicher „Jäger und Sammler“, wie die verbliebenen Mitarbeiter so manchen Konkursverwalter, Unternehmensberater und Investor nannten. Es war der heutige Chef der SPD-Kreistagsfraktion, Manfred Schulz, der damals als Geschäftsführer des VEB-Nachfolgeunternehmens die Bronzestatue rettete. Sie war bereits auf die Ladefläche eines Transporters deponiert, als Schulz und Hillemann die Statue auf einen Laborwagen zerrten, sie unter einem weißen Tischtuch versteckten und schließlich in einen Vorraum zur Betriebskantine stellten. 1996 gründeten Hillemann und sein Geschäftspartner Klaus Günther die SeCoS Halbleitertechnologie GmbH. Sie kauften einen Teil der alten Betriebsanlage und platzierten Einstein in ihrem Büro. Hier wurde er Zeuge, wie Hillemann und Günther mit dem Präsidenten eines amerikanischen Elektronikkonzerns den ersten Vertrag mit SeCoS besiegelte. Heute ist das Unternehmen eine der erfolgreichsten Innovationsfirmen Brandenburgs. Günther, der als Gesellschafter seiner eigenen Firma vom Physiker zum Manager wurde, fand, die Einstein-Statue könne nur eine Leihgabe sein, auch wenn sie offiziell nie auf einer Inventarliste stand. Er informierte die Denkmalbehörde des Landkreises, die das Kunstwerk unter Schutz stellte und festlegte, dass dies in Verbindung mit dem Standort zu gelten hat. Und so gelangte der bronzene Einstein 1998 wieder an seinen ursprünglichen Ort. Heute gehört das Areal des einstigen Halbleiterwerkes der Green Park Gesellschaft. Hans-Jürgen Hillemann, der seit 40 Jahren den Wandel an der Ruhlsdorfer Straße erlebt, resümiert zumindest für das Einstein-Kapitel: „Ende gut, alles gut.“

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