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Reckahn: Reitlehrer in Untersuchungshaft

UPDATE. Vorwürfe gegen einen Reitlehrer wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern erschüttern den kleinen Ort Reckahn im Kreis Potsdam-Mittelmark.

Kloster Lehnin – Ein Zweispänner fährt zu beschwingter Marschmusik über die Wiesen hinter Reckahn. Auf dem Bock sitzt Frank E., die Zügel in der Hand, konzentriert auf die Lenkung der beiden schwarzen Friesen. Das Video ist Teil der Internetpräsenz seines Fahr- und Reitbetriebes in dem abgelegenen Kloster Lehniner Ortsteil. Frank E. ist ein überregional bekannter Pferdezüchter, Reitsportler und Fahrtrainer – jetzt aber ist der 56-Jährige in das Visier von Polizei und Staatsanwaltschaft geraten. Seit Dienstag sitzt der Besitzer des Reckahner Hofes in Untersuchungshaft. Die Vorwürfe wiegen schwer: E. soll auf dem Reit- und Kutschfahrthof in Reckahn mehrere minderjährige Mädchen und Jungen möglicherweise über einen längeren Zeitraum sexuell belästigt und missbraucht haben.

Bereits vor einer Woche hatte ein Vater Anzeige gegen den Reitlehrer erstattet. Daraufhin ordnete die Staatsanwaltschaft die Durchsuchung des Reiterhofes und der dortigen Wohnung des 56-Jährigen an. „Dort sind Beweise gesichert worden, die zu weiteren Hinweisen geführt haben“, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Potsdam, Christoph Lange, den PNN. Es erging ein Haftbefehl, der zunächst jedoch unter strengen Auflagen außer Vollzug gesetzt wurde.

„Mittlerweile haben die Ermittlungen und umfangreiche Zeugenbefragungen Hinweise auf weitere Sexualstraftaten ergeben“, sagte Lange. Der Tatverdacht habe sich erhärtet, deshalb wurde nun die U-Haft angeordnet. E. sitzt in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg/Havel. Noch sei nicht genau einzugrenzen, über welchen Zeitraum hinweg sich die Taten ereignet haben. Auch zu genauen Details der Vorwürfe wollte sich Lange nicht äußern. Das gilt auch für das Alter der betroffenen Kinder. Fest steht, dass sie minderjährig und unter 14 Jahre alt waren. Der Beschuldigte selbst habe sich zu den Vorwürfen noch nicht eingelassen.

Am Mittwoch hätten sich weitere Betroffene bei der Polizei gemeldet, teilte der Sprecher der zuständigen Direktion Brandenburg/Havel, Torsten Ringel, den PNN mit. Wie viele Fälle es bisher konkret seien, sagte er nicht. Er gab lediglich an, dass auch Kinder zu ihren Erlebnissen auf dem Reiterhof angehört worden. Die Polizei hat weitere mögliche Geschädigte und deren Eltern aufgerufen, sich als Zeugen zu melden.

In Reckahn, einem kleinen Dorf mit knapp 500 Einwohnen am nördlichen Fläming-Rand, herrscht am Mittwochvormittag scheinbar Ruhe. Der Regen hält Spaziergänger in den Häusern. Am Haus der Familie E. sind die Rollläden heruntergelassen, das Tor ist verschlossen. Die meisten Reckahner sind schweigsam: Unweit von E.s Haus zerkleinert ein Mann in Jogginghose gerade Pappkartons für die blaue Tonne. Ob er den Polizeieinsatz am Wochenende verfolgt hat – und weiß, was es damit auf sich hat? „Davon weiß ich nichts.“ Am Ende der Dorfstraße plätschert die Plane vorbei, eine frisch sanierte Brücke führt direkt aufs Schloss zu. Auch in dem dortigen Museum will man den Fall nicht kommentieren. „Davon weiß ich nichts“, heißt es auch hier.

Doch die Ruhe trügt. Die Menschen im Dorf haben durch die Medien von dem Fall erfahren. Die Missbrauchsvorwürfe seien zur Zeit das einzige Gesprächsthema im Ort, niemand könne es verstehen, so eine Einwohnerin. „Jeder kennt hier jeden, niemand hätte das E. zugetraut“, sagt Ortsvorsteher Kurt Ehrich und fügt hinzu: „Die Einwohner von Reckahn sind bestürzt über die Ereignisse.“ Auch der Vater, der zuerst Anzeige gegen den Mann gestellt hatte, sei mit im Reiterverein aktiv gewesen. „Die waren beide sehr gute Freunde.“ Die Ereignisse könnten Auswirkungen auch über die Dorfgrenzen hinweg haben. Der Beschuldigte sei bislang ein „außerordentlich aktiver Bürger“ gewesen, habe viele Veranstaltungen in der Region mit organisiert, so der Ortsvorsteher. Der Reitlehrer ist auch Vorsitzender des Fahrvereins Kloster Lehnin mit über 50 Mitgliedern. Doch weder dessen stellvertretender Vorsitzender René Hohmann noch der Bürgermeister von Kloster Lehnin, Bernd Kreykenbohm, waren für die PNN am Mittwoch zu erreichen.

Thomas Rathke, Vorsitzender des Kreis-Pferdesport-Verbands Potsdam-Mittelmark, glaubte, E. zu kennen – seit gut 30 Jahren. „Das war keiner, der von außen kam, wir haben uns über den Reitsport kennengelernt“, sagt Rathke. Seinen langjährigen Freund beschreibt er als unauffällig, aber sehr hilfsbereit, „wie man sich einen Freund eben wünscht.“ Von den jetzt bekannt gewordenen Vorwürfen sei er geradezu geplättet. „Hätte auch nur die Spur eines Verdachts bestanden, hätte ich das natürlich gemeldet“, sagt Rathke. Zugleich sei es kaum zu glauben, dass die Missbrauchsfälle so lange unentdeckt geblieben sein sollen. Reitlehrer seien schließlich nur selten mit den Kindern alleine, meist finde der Unterricht in Gruppen statt.

Rathke räumt aber ein, dass Missbrauchsfälle im Sport immer wieder vorkämen. „Und immer sind das dann Leute, die vorher als unauffällig galten“. Dass sich solche Fälle in jedem Fall präventiv bekämpfen lassen, bezweifelt Rathke aber. Die Gefahr sei überall dort gegeben, wo Erwachsene mit Kindern zusammenarbeiteten. Auch das erweiterte Führungszeugnis, das der Landesverband seit Anfang dieses Jahres von seinen Trainern verlangt, sei nur bedingt hilfreich. „Es kann immer sein, dass ein potenzieller Täter noch nicht auffällig geworden ist“, so Rathke. Nach dem Fall in Reckahn müsste nun zusammen mit dem Landesverband ein einheitlicher Umgang mit dem Thema gefunden werden.

Dort entwickelt man seit mehreren Jahren ein Präventivkonzept zum Thema Kinderschutz: „Der Umgang mit Kindern und Jugendlichen bringt immer eine große Verantwortung mit sich“, sagte die Geschäftsführerin des Landes-Pferdesport-Verbands, Nicole Schwarz auf PNN-Anfrage. Das Programm richte sich in erster Linie an die Reitlehrer selbst. „Es ist ein fester Baustein in der Trainerausbildung“, sagte Schwarz. Seit Anfang 2012 müssten zudem alle Trainer einen Ehrenkodex unterschreiben, in dem sie erklären, dass sie sich ihrer Verantwortung gegenüber den Kindern und Jugendlichen bewusst sind. „Natürlich wird darin auch das Recht eines jeden Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Wahrung der Intimsphäre zugesichert.“ Frank E. hatte den Ehrenkodex allerdings noch nicht unterzeichnet – das wäre erst mit der Verlängerung seiner Trainerlizenz im kommenden Jahr fällig gewesen. Die Zulassungen werden in der Regel alle vier Jahre verlängert. Zu den laufenden Ermittlung wollte sich Schwarz nicht äußern. Auch ob E. aus dem Verband ausgeschlossen werde, könne erst entschieden werden, wenn die Ermittlungen abgeschlossen seien. Einen ähnlichen Fall habe es bereits 2000 gegeben, der Fall eines Trainers, der damals Reitschüler sexuell belästigt hatte, landete vor Gericht.

Insgesamt sei die Zahl der Verfahren in Missbrauchsfällen seit 2004 unverändert, sagte Petra Hertwig, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Cottbus: „Meist liegt sie gut über 100, im vergangenen Jahr wurde in rund 106 Fällen ermittelt. Einen Spitzenwert habe es 2006 mit 139 Verfahren gegeben. „Die meisten Anzeigen werden von Opfern selbst gestellt – allerdings liegen zwischen Tat und Anzeige häufig mehrere Jahre“, so Hertwig. (mit ldg, mat, dapd)

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