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Taufrisch: Vera Warnsing gießt ihr Kunstwerk in den Räumen der einstigen Beelitzer Heilstätten.

© Michael Urban/ddp

KulTOUR: Kommen oder gehen

43 Studenten der Europäischen Austauschakademie zeigen ihre Kunst in Beelitz-Heilstätten

Beelitz-Heilstätten - Biao Xu aus der Volksrepublik China baut eine Sonnenuhr. Tief gräbt er seine Halbstundenpfähle ins Erdreich, denn es ist durchaus möglich, dass sein Werk länger leben könnte als die „Europäische Austausch-Akademie“ (EEA) in Beelitz-Heilstätten nach dem siebenten Kurs. Man munkelt derzeit von der Rekonstruktion des alten Männer-Sanatoriums durch „eine benachbarte Klinik“. Hätte die Legende von der unsichtbaren, verwunschenen Stadt inmitten duftiger Kiefern dann nicht ein Ende, hätten sich die Visionen all des künstlerischen Nachwuchses, welchen die Stadt Beelitz inzwischen aus aller Welt heranorganisiert, womöglich erfüllt? Der diesjährige Titel dieser vierwöchigen Veranstaltung passte dazu wie eine Faust aufs Auge: „Ich weiß nicht, ob ich kommen oder gehen soll“.

Für Biao Xu und viele andere der dreiundvierzig Kursanten aus vierzehn Ländern jedenfalls ist die Zeit hier vorerst noch stehengeblieben. Die Idee zur Sonnenuhr (in Europa auch ein Symbol des Anti-Christen!) hat ihn beim Holzsammeln ereilt, und als er sich den Alltag der Russen hier vorstellte. Sonnenlauf ist Yin und Yang, sagt der Festland-Chinese in der Hoffnung, diese Ur-Zeichen bis zur Werk-Vernissage am morgigen Sonntag in seinen Sonnenkreis einzeichnen zu können.

Zeit und Vergänglichkeit fand man vorab auch bei einem Quartett junger Damen aus Holland und Japan. Ihr begehrliches Objekt sind schnöde Möhren, die sie behufs vocaliser oder instrumentaler Musik in Scheiben zerlegen, ihren Durchmesser noch einmal prüfen und dann, schrapp schrapp! in kleinen Häppchen verspeisen. Eine sehr gelungene, richtig landfrische Eigen-Komposition!

Die Austausch-Akademie bemühte sich von Anfang an, dem sich zunehmend internationalisierenden Kunstnachwuchs alternative Freiräume zu den hehren Ausbildungsstätten der großen Welt schaffen, obwohl dabei oft vergessen wurde, vom Menschen her auf den Menschen hin zu arbeiten. Die Sache mit den Möhren ist nun sehr „menschlich“, die von Yvonne Hulst aus den Niederlanden ist es offenbar auch, denn als sie erfuhr, dass im benachbarten Klinikum ein ehemaliges Aktmodell im Rollstuhl behandelt wird, fragte sie nach – und bekam die Erlaubnis, diese ältere Dame noch einmal zu zeichnen. Auch ihre Landsmännin Jeannoux van Deyck hält sich bei ihren malerischen Reflexionen auf das Thema „Kommen oder gehen/innen und außen“ eher an die Tradition. Zwei Wandbilder erzählen ihre Version von den Rückeroberungen der Natur, keine Elektronik, kein Schnickschnack, so ihre Devise. Tendenz? Bleiben, sagte sie mit fester Stimme.

Neben einer geheimnisvoll-durchsichtigen Installation von beinahe einhundert Flaschen Inge Meijers sah man die Deutsche Vera Warnsing beim Werken. Ihr Opus war schon vorige Woche vollendet, doch will es gepflegt sein. Sie baute einen durchweg grünenden Raum mit Moos auf dem Fußboden, frischen Baumzweigen und einem Ding, welches ein Aquarium darstellen könnte. Das alles muss begossen sein, damit der Besucher am Sonntag ein taufrisches Werk vorfindet. Der Titel drängt den Menschen mit Gewalt in ihre sanfte Komposition hinein: „erschaffen - gezüchtet - verlassen“. So erging es den Heilstätten, dem Männersanatorium, so ergeht es der EEA in spe vielleicht selbst. Irgendwann schlägt ja allem die Stunde. Doch gemach, Beelitz würde sich mit der Zeit schon etwas Neues erschaffen.

Die Arbeiten der jungen Künstler sind am morgigen Sonntag – dem Tag des Denkmals – von 10 bis 17 Uhr zu sehen

Gerold Paul

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