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Spannende Runde. Hans-Georg Joost, Christoph Kopke, Moderator Götz Doyé, Ulrike Thoms und Axel Mueller (v. l.) zeichneten während der Diskussionsrunde in Nuthetal ein differenziertes Bild des Ernährungsforschers Arthur Scheunert.

© Manfred Thomas

Potsdam-Mittelmark: Grenzüberschreitungen benannt

Arthur Scheunerts Versuche an Häftlingen und seine Rolle zur NS-Zeit in der Diskussion

Nuthetal - Arthur Scheunert habe mit seinen Versuchen an Häftlingen und Fabrikarbeitern in der Zeit von 1938 bis 1943 ethische Grenzen überschritten. Das war Konsens in der spannungsgeladenen Runde der Historiker und Naturwissenschaftler, die der Ortsverein Bergholz-Rehbrücke am Mittwochabend auf das Podium einer Diskussionsveranstaltung eingeladen hatte.

Scheunert gilt als international angesehener Wissenschaftler und war bis 1957 Direktor des Rehbrücker Instituts für Ernährungsforschung. Seit Monaten wird im Ort vor allem jedoch über seine Rolle während der Zeit des Nationalsozialismus diskutiert. Auslöser war ein Beitrag des Historikers Roland Thimme in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, in dem er über Scheunerts Vitamin-Versuche an Häftlingen im Zuchthaus Waldheim während der NS-Zeit berichtete und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit sprach (PNN berichteten).

Dieser Vorwurf sei aus seiner Sicht nicht gerechtfertigt, sagte der Wissenschaftliche Direktor des Instituts für Ernährungsforschung, Hans-Georg Joost, am Mittwoch. Dabei bezog er sich auf die Auswertung von Primärquellen über Scheunerts Versuchsreihen aus dem Bundesarchiv und dem sächsischem Staatsarchiv. Dort habe er keine Beweise dafür gefunden, dass Scheunert oder der für ihn tätige Arzt Karl-Heinz Wagner gegen damals international übliche Regeln zu Humanexperimenten verstoßen hätten.

„Es gibt keine belastbaren Hinweise für Todesfälle oder bleibende Schäden bei Versuchspersonen“, so Joost. Deutlich würden sich die Scheunertschen Versuche von verbrecherischen Humanexperimenten an KZ-Häftlingen unterscheiden. Dennoch habe Scheunert seiner Auffassung nach die Grenze zwischen einwandfreier und fragwürdiger Forschung überschritten, indem er Versuche an deutlich unterernährten Häftlingen vornahm.

Zudem gab es zwar die Auflage der Freiwilligkeit, doch die Insassen eines deutschen Zuchthauses in den Jahren 1938 bis 1945 seien wohl kaum völlig frei gewesen, die Teilnahme an einem medizinischen Versuch abzulehnen. „Man muss diese Grenzüberschreitung benennen, sie wird jedoch nicht dazu führen, dass wir bei uns im Institut das Bild von Arthur Scheunert abhängen“, so Joost. Seiner erfolgreichen Aufbauarbeit sei es zu verdanken, dass es das Forschungsinstitut heute gibt, sagte Joost vor den über hundert Gästen der Podiumsdiskussion.

Kritischer wurde die Person Scheunerts von der Historikerin Ulrike Thoms (Charité Berlin) und dem Politikwissenschaftler Christoph Kopke (Uni Potsdam) beleuchtet. Beide haben sich mit dem Wirken des Wissenschaftlers intensiv unter anderem im Zuge eines Projekts mit dem Titel „Ernährungsforschung und Staat – Kontinuitäten und Brüche 1933 bis 1964“ beschäftigt. „Das Problem wird nicht ausreichend beleuchtet, wenn wir uns nur mit den Versuchen Scheunerts beschäftigen“, erklärte Thoms. Forschung sei nie unpolitisch und es gebe keine Rechtfertigung dafür, zu sagen, dass es damals andere Zeiten waren.

Seit 1936 sei Scheunert verstärkt in ernährungspolitischen Gremien des NS-Staates tätig gewesen. „So war er als Mitglied der Rationierungskommission unmittelbar an den Plänen zur Kriegsvorbereitung beteiligt“, so Thoms. Ziel sei es gewesen, Nahrung an Menschen auf der Grundlage ihrer Wertigkeit im nationalsozialistischen Sinne zu rationieren – Kranke, Alte und Juden wurden deutlich benachteiligt. Seine Arbeit in den verschiedenen Gremien sei vom NS-Staat ausdrücklich gewürdigt worden, so auch bei der von ihm initiierten Gründung der Reichsanstalt für Vitaminforschung und -prüfung, erklärte die Historikerin. So sah es auch Kopke. „Für Scheunert tat sich ein Feld auf, dass aus politischen Gründen ein Top-Thema war. Deutschland hatte den Ersten Weltkrieg an der Heimatfront verloren, weil die Menschen dort nichts mehr zu essen hatten“, so der Politikwissenschaftler.

Für eine differenzierte Beurteilung Scheunerts sprach sich Axel Mueller, Biologe und Vorsitzender der Tierversuchskommission Brandenburg, aus. „Es ist problematisch, als Maßstab ausschließlich Wertvorstellung und Rechtsverständnis von heute anzulegen“, sagte er. Scheunert sei ein energiereicher Forscher gewesen, der gegen Widerstände seine Ideen durchgesetzt hat. Deshalb sei auch sein gesamtes Lebenswerk zu betrachten, wenn jetzt in der Gemeinde darüber diskutiert wird, ob die Arthur-Scheunert-Allee umbenannt werden muss.

Ein Antrag dazu liegt in der Gemeindevertretung noch nicht vor. Bürgermeisterin Ute Hustig (Linke) hat jedoch angekündigt, die Frage auf die Tagesordnung zu bringen. Selbst ist sie nicht für eine Umbenennung. „Menschlich ist Arthur Scheunert kein Vorbild für mich, doch seine Verdienste für den Ort sind unbestritten“, sagte sie den PNN.

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