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Der Hubschrauber steht zur Betankung für den Insektizideinsatz bereit. Das war vor ein paar Tagen nahe Bad Belzig. Doch nun ist damit erst einmal Schluss. 

© Bernd Settnik/dpa

Update

Eil-Urteil des Oberverwaltungsgerichtes: Karate-Insektizid darf nicht gesprüht werden

Erfolg für Naturschützer: In zweiter Instanz war die Klage gegen den Gifteinsatz des Insektizids "Karate Forst flüssig" im Waldgebiet bei Fichtenwalde erfolgreich. Der Beschluss ist unanfechtbar.

Potsdam/Fichtenwalde - Es ist ein Urteil mit Signalwirkung. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG), das höchste Verwaltungsgericht der Hauptstadtregion, hat in einem Eilverfahren entschieden, dass das umstrittene Insektizid „Karate Forst flüssig“ mit sofortiger Wirkung in einem großräumigen Waldgebiet südwestlich der Landeshauptstadt Potsdam nahe Fichtenwalde nicht weiter eingesetzt werden darf.

Der Gifteinsatz hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt

Damit hatte der Brandenburger Naturschutzbund (Nabu) in zweiter Instanz nun Erfolg, nachdem seine Klage am Verwaltungsgericht Potsdam noch abgewiesen worden war. Der geplante Gifteinsatz via Helikopter, den Brandenburgs Umwelt- und Forstbehörden in Verantwortung des wegen seiner Anti-Naturschutz-Politik ohnehin umstrittenen Agrarministers Jörg Vogelsänger (SPD) trotz massiver Proteste aus der Bevölkerung und von Umweltschützern genehmigten, hatte bundesweit im Jahr der Artenvielfalt für Schlagzeilen gesorgt.

„Dem Beschluss kommt aus Sicht des Nabu [...]grundsätzliche Bedeutung zu“, erklärte der Nabu-Landesvorsitzende Friedhelm Schmitz-Jersch. Künftig werde das Versprühen von Insektiziden nur unter erheblich engeren Bedingungen und bei Sicherstellung des Artenschutzes möglich sein. In der Forstwirtschaft müsse der Umbau von Monokulturen zum Mischwald als natürliche Form des Pflanzenschutzes Vorrang erhalten.[/...]

Der Nabu befürchtet schwere Folgen auf Insekten und Vögel

Die Beschwerde der Naturschützer richtete sich gegen die vorangegangene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Potsdam, das umstrittene Insektizid weiter einzusetzen. Mit dem Beschluss des 11. Senats des Oberverwaltungsgerichts vom Freitag sei die aufschiebende Wirkung des Nabu-Widerspruchs gegen die Genehmigung der Anwendung des Pflanzenschutzmittels wiederhergestellt, teilte das OVG mit. Das Landesamt für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung (LELF), dessen Spitze Vogelsänger gerade neu besetzt hat, hatte zuvor dem Landesbetrieb Forst Brandenburg genehmigt, das Mittel mit Helikoptern über vom Kiefernschädling „Nonne“ befallenen Waldflächen zu versprühen.

Der Nabu befürchtet dagegen schwerwiegende Auswirkungen des Mittels auf Insekten und Vogelwelt. Der Landesbetrieb Forst hingegen begründet den Einsatz mit dem Kiefernwald-Schädling „Nonne“. Michael Kopka, Einsatzleiter des Landesbetriebes, befürchtet gegenüber den PNN nach dem Urteil erhebliche Schäden: „Der Wald wird kahl werden, das ist sicher.“ Etwa 5000 der 7700 vom Schädling befallenen Quadratemeter seien zwar bereits behandelt worden, der Rest werde aber spätesens Ende Juni, wenn sich die Raupen der „Nonne“ voll entwickelt hätten, abgefressen sein. Dann liege viel totes Holz im Wald, was wiederum die Brandgefahr steigere. 

Grüne: Schallende Ohrfeige für den Umweltminister

Für Kopka ist auch noch völlig offen, wie betroffene Waldbesitzer entschädigt werden. „Das Thema wird uns noch den ganzen Sommer lang beschäftigen.“ Der vom Nabu geforderte Waldumbau müsse zwar tatsächlich schneller als bisher umgesetzt werden. Trotzdem sei es eine Generationenaufgabe. Und auch für den Umbau hin zu Mischwald braucht es alte Nadelbäume auf den Flächen, die etwa junge Eichen vor Frost schützen, so Kopka. Freude über das Urteil des OVG gab es derweil neben dem Nabu auch bei den Grünen, deren Bundesfraktionsvorsitzender Anton Hofreiter sich am Sonntag in Borkwalde zum Einsatz des Giftes informieren wollte. Der Landtagsabgeordnete Benjamin Raschke nannte die Entscheidung am Samstag eine „schallende Ohrfeige“ für Umweltminister Vogelsänger. Das Gericht hatte in seinem Beschluss am Freitag moniert, dass „die Genehmigungsbehörde die erforderlichen naturschutzrechtlichen, insbesondere artenschutzrechtlichen Prüfungen nicht durchgeführt“ habe. Um insbesondere Wildbienen zu schützen, forderte Raschke zudem ein Programm zum Ausstieg aus dem Einsatz von Pestiziden in Brandenburg. 

Das Gericht sah den Fall als besonders eilbedürftig

Das Verfahren war laut OVG-Mitteilung „besonders eilbedürftig, weil die Schädlinge die befallenen Bäume in kurzer Zeit kahlgefressen und ihr Raupenstadium, in dem das Pflanzenschutzmittel Wirkung entfaltet, bald verlassen hätten“. Das OVG-Urteil ist eine weitere schwere Schlappe für die Vogelsänger-Umweltverwaltung. Denn das OVG hielt nicht nur – im Gegensatz zum Verwaltungsgericht Potsdam – eine sogenannte Verbandsklage des Nabu für zulässig: „Der Antrag hatte auch in der Sache Erfolg, weil die Genehmigungsbehörde die erforderlichen naturschutzrechtlichen, insbesondere artenschutzrechtlichen Prüfungen nicht durchgeführt hatte", heißt es in der Mitteilung des Gerichtes. 
Und: „Der Beschluss ist unanfechtbar." Das heißt, dass Karate-Gift dürfte erst eingesetzt werden, wenn Brandenburgs Forstbehörden solche Auswirkungen des Gifteinsatzes auf Insekten, Vögel und Säugetiere in den betroffenen Wäldern der Mark vorher geprüft haben, was deutschlandweit der normale Standard ist. (mit Enrico Bellin und dpa)

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