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Diakonissenhaus Teltow feiert 175. Jubiläum: Ein Dorf mitten in der Stadt

In 175 Jahren vom Heim für gefallene Mädchen zum Unternehmensverbund. Das Diakonissenhaus Teltow feiert Geburtstag.

Teltow - Efeu umrankte Backsteinbauten, dazwischen Villen und Wohnhäuser, Altenheim und Kita, Brunnen und Strommast – eingezäunt und selbst für Besucher kaum voll erfassbar, hat sich entlang der Lichterfelder Allee ein eigenständiges Dorf entwickelt. Mitten in der Stadt. Als das Berliner Magdalenenstift für seine Diakonissen und „Zöglinge“ dort erste Häuser aus roten Ziegeln errichten ließ, war ringsum noch Gras- und Ödland. Heute sind nicht nur die Flächen umher weithin bebaut, auch auf dem Gelände selbst vollzog sich im Laufe der Jahrzehnte so manch Wandel. Wo früher „gefährdeten“ jungen Frauen neue Wege aufgezeigt wurden, befindet sich heute der Sitz eines in Berlin und Brandenburg agierenden diakonischen Unternehmensverbundes, der mittlerweile mehr als 2300 Mitarbeiter beschäftigt. „Wir halten hier die gesamte Infrastruktur eines Dorfes vor“, sagt der Kaufmännische Vorstand des Evangelischen Diakonissenhauses Berlin Teltow Lehnin, Lutz Ausserfeld. Von der Strom- und Energieversorgung bis zum zentralen Rechenzentrum. Selbst ein Teil der Toiletten wird mit Brauchwasser aus dem eigenen Regenwasserteich gespült.

Begonnen hatte dabei alles noch unter ganz anderen Vorzeichen. Nach dem Vorbild der jungen Sozialreformerin Elisabeth Fry, die sich in England für bessere Haftbedingungen für weibliche Gefangene einsetzte, gründete sich vor nunmehr 175 Jahren um Prinzessin Marianne von Preußen eine Gruppe in Berlin, die sich „fehlgeleiteter junger Frauen“ annahm. Seinen Hauptsitz hatte das aus der Gruppe hervorgegangene Magdalenenstift in Berlin zuletzt am Plötzensee. „Als der neue Westhafen gebaut wurde, musste man jedoch von dem Gelände weichen“, erzählt Ausserfeld. Inmitten der Natur und fernab vom Hauptstadttrubel ließen sich die Frauen im Jahr 1901 schließlich in Teltow nieder, wo zunächst ein Mutterhaus für die Diakonissen, Unterkünfte für ihre „Zöglinge“, ein landwirtschaftlicher Wirtschaftshof mit Lehrküche und eine Haushaltsschule entstanden. Das Magdalenenstift verstand sich als Alternative zu Kriminalität und Prostitution und wollte eine sittliche sowie bürgerliche Lebensführung ermöglichen, sagt der Vorstand des Diakonissenhauses. Entsprechend dem Geist der Kaiserwerther Tradition wurden die Frauen zu Hausmädchen sowie für die Landwirtschaft ausgebildet und erhielten die Möglichkeit, „ein unauffällig normales Leben zu führen“.

Dem Hilfsgedanken folgend entstand in den 20er-Jahren zudem eine Spezialklinik für Geburtshilfe und Geschlechtskrankheiten. „In den Berliner Kliniken wurden die Frauen ungern aufgenommen“, weiß Ausserfeld. Später, als in den Wirren der Weimarer Zeit die Nachfrage nachgelassen habe, entstand ein Wohnstift für wohlsituierte Frauen, nach dem Krieg ein internistisches Fachkrankenhaus, das bis zum Jahr 2002 bestand.

Nachdem in den 50er-Jahren die klassische Erziehungs- und Fürsorgearbeit aufgrund zunehmender staatlicher Repressalien zum Erliegen kam, verlagerte sich der Schwerpunkt auf dem Areal von der Jugendfürsorge hin zur Arbeit mit behinderten Menschen. Als ein Bewohner die Feldscheune anzündete, war es schließlich auch mit der Landwirtschaft vorbei. Die ebenfalls am Gelände liegenden landwirtschaftlichen Flächen waren zusätzlich erworben worden und dienten überwiegend der Selbstversorgung, berichtet Ausserfeld. Die Diakonissen hielten sich Vieh, bauten Gemüse und Getreide an. Nach dem Brand in der Scheune mussten die Flächen an die LPG abgegeben werden. Über viele Jahre hat die Mauer das Leben der Diakonissen geprägt. Der Grenzstreifen verlief direkt gegenüber vom Mutterhaus auf der anderen Seite der Lichterfelder Allee. Hundegebell und Dauerbeleuchtung verschafften zahlreiche schlaflose Nächte, bis die Mauer schließlich fiel. Ein Teil der landwirtschaftlich genutzten Flächen verkaufte oder verpachtete das Diakonissenhaus, heute sind sie mit Einfamilien- und Reihenhäusern und der Rehaklinik der Deutschen Rentenversicherung bebaut. Für etwa weitere sieben Hektar der Stiftung besteht noch kein Baurecht. Anfragen zur weiteren Wohnbebauung gäbe es genug, sagt Ausserfeld, doch auch das Diakonissenhaus selbst sieht zukünftig Bedarf. Zuletzt sind auf dem Areal für Grund- und Förderschule neue Fachräume und ein Sportplatz mit Fußball- und Basketballfeld, Weitsprunganlage und Laufstrecke entstanden. Im Oktober 2015 wurde der Platz eröffnet.

Bildung war für das Diakonissenhaus von jeher ein Thema. Mit dem enormen Zuzug im benachbarten Seehof und überhaupt der Bevölkerungsentwicklung in der Stadt wuchs der Bedarf an Kita- und Schulplätzen rasant, der freie Träger rückte ins Interesse der Stadt, wurde Kooperationspartner. Grundschule und Mehrzweckgebäude entstanden, die Fachschüler für Sozialwesen machten Platz und zogen in die Bruno-H.-Bürgel-Schule in die Potsdamer Straße um. Weil die Stadt das Gebäude jetzt allerdings für ihre Mühlendorf-Oberschüler benötigt und die Flächen für die Fachschule inzwischen zu groß geworden sind, kehren die angehenden Erzieher und Sozialpädagogen voraussichtlich auf das Gelände zurück. „Wir prüfen die Optionen zwischen Neubau, Bestand und neuer Anmietung“, sagt Ausserfeld. „Vielleicht wird es auch eine Mischform.“

Zunächst ist jedoch alles auf das bevorstehende Jubiläum gerichtet, das das Diakonissenhaus am 1. Mai mit einem großen Fest feiern will. Mehrere Tausend Besucher werden erwartet. Der evangelische Bischof Markus Dröge wird die Predigt halten und damit das Evangelische Diakonissenhaus „als großen diakonischen Träger in der Landeskirche würdigen“. Zudem soll es Markt- und Informationsstände, ein buntes Bühnenprogramm, Unterhaltungsangebote und Kutschfahrten geben. Im 175. Jahr will das Diakonissenhaus zudem eine Chronik erstellen und sich seiner langjährigen Geschichte in besonderer Weise widmen. Auch ein Kurzfilm „24 Stunden Diakonissenhaus“ ist geplant, der die vielfältige Arbeit der Einrichtung zeigt und einen allumfassenden Bogen spannt: von der Geburtshilfe bis zur Sterbebegleitung im Hospiz.

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