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Besuch der Beelitzer Heilstätten: Ruine lockt mit der Schönheit des Verfalls

Die Beelitzer Heilstätten südwestlich von Potsdam sind seit 20 Jahren sich selbst überlassen. Die Ruinen ziehen Gruselfreaks, Abenteurer und Fotofans an. Ein Besuch an einem mystischen Ort.

Von Enrico Bellin

Beelitz- Betreten verboten. Lebensgefahr. Die Warnung auf dem riesigen, schwarz-gelben Schild am Eingangstor der Beelitzer Heilstätten neben dem Lokal „Zum Pförtnerhaus“ ist eindringlich. Georg Hoffmann schlängelt sich trotzdem durch eine Lücke im Maschendrahtzaun am Tor vorbei. Mehrere Hundert Mal sei er schon durch die bröckelnden Bauten und den verwilderten Wald gelaufen, so der Geschäftsführer der Heilstätten-Projektentwicklungs GmbH.

Bei den ersten Schritten auf dem historischen Gelände warnt Hoffmann noch, dass dort in den vergangenen Jahren mehrere Menschen ums Leben kamen: Einer war mit einem maroden Balkon abgestürzt, einer sprang wohl im Drogenrausch vom Dach. Die seit 20 Jahren dem Verfall überlassenen Heilstätten ziehen immer wieder mysteriöse Gestalten der Gothik-Szene und andere Grusel-Freaks an. Ein Obdachloser schaffte es sogar, jahrelang unentdeckt in einer Erdhöhle auf dem insgesamt 200 Hektar großen Gelände zu leben, bis er sich dort 2011 erhängte. Sein Geist soll zu denen gehören, die angeblich heute durch die Heilstätten spuken. All das geht dem Besucher bei den ersten Schritten auf dem im fahlen Sonnenlicht liegenden Gelände durch den Kopf. Dann taucht das erste Jugendstil-Gebäude mit großem runden Erker und zwei langen Seitenflügeln aus Backsteinen auf. Die Scheiben sind eingeschlagen und wie die Türen mit Sperrholz zugenagelt, das Kupfer des kleinen Dachtürmchens von Metalldieben geklaut. Aus dem Schornstein wächst eine Kiefer, daneben bohrt sich eine Birke wie ein zweiter Schornstein durch die Ziegel gen Himmel.

Lagerraum so groß wie ein Festsaal

Georg Hoffmann führt auf die Rückseite, wo ein Eingang in die ehemalige Hauptküche hinter einem Geröllhaufen offen ist. Ein großer Schritt, und man ist im erstaunlich gut erhaltenen Vorraum der Küche, in der täglich 1600 Essen für die lungenkranken Patienten sowie Ärzte und Pfleger gekocht wurden.

„Man muss hier eigentlich nur den Schutt heraustragen und den Boden ausbessern, die beigen Wandfliesen von Villeroy & Boch sehen trotz ihrer hundert Jahre noch super aus“, sagt der Geschäftsführer. In der Hauptküche – lichtdurchflutet, da direkt hinter dem nach Süden zeigenden Erker – sind noch die riesigen Rauchabzüge zu sehen, unter denen einst die Herde standen. Direkt dahinter beginnt der dunkle Abstieg in das Kellergewölbe: Über mannshohe Verbindungsflure, die im Lichtkegel der Taschenlampe kein Ende finden, ist die Küche mit vier Lagerräumen verbunden, die jeweils die Dimension eines Festsaals haben. Nicht mal ein Basketball-Spieler müsste den Kopf einziehen.

Lastenfahrtzug konnte Schweine befördern

„Hier unten lassen Randalierer oft Böller hochgehen, der Knall breitet sich dumpf, aber laut über das ganze Gelände aus“, so Hoffmann. Auf dem Kellerboden liegen noch Schienen, auf denen einst Essensvorräte der hauseigenen Gärten und der Schlachterei in kleinen Wagen durch die Gänge bugsiert wurden. Dem Gleis folgend geht es zum Kellerausgang, einem etwa 100 Meter vom Küchenhaus entfernten Aufgang nebst Lastenaufzug, groß genug, um darin ganze Schweine zu befördern. Riesige rostige Zahnräder zeugen von dem Berg von Lebensmitteln, der in der Küche täglich verarbeitet wurde. Aufzug und Treppe sind mit Fachwerk überdacht, selbst an solch kleinen Details haben die Architekten nicht gespart.

Durch den dichten Wald geht es weiter in das 60 Hektar große Viertel der Heilstätten kurz vor der Autobahnauffahrt hinein, vorbei an der ehemaligen Wäscherei, die trotz imposanter Ausmaße bald zu klein für die Heilstätten war. Ihr Hauptraum diente seit den 1930er-Jahren als Hörsaal, in dem Chirurgen der Berliner Charité, die regelmäßig in den Heilstätten operierten, Fachvorträge hielten. In den Nebenräumen fanden Tierversuche statt, erzählt Hoffmann und jagt dem Zuhörer damit Schauer über den Rücken.

Gruselfans drehen Videos im Stil von "Blair Witch Projekt"

Passend taucht auch schon die Chirurgie auf, das mit einer Länge von rund 160 Metern größte Gebäude auf dem Areal: Dort sollen in den letzten Wochen der beiden Weltkriege, in denen das Gelände als Lazarett diente, Operationen ohne Betäubungen vorgenommen worden sein. Auch einige der dabei Verstorbenen sollen noch heute durch die Hallen wandeln.

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Auf ihre Spuren begeben sich im Dämmerlicht regelmäßig ganze Grusel-Gruppen, die ihre Abenteuer im Internet präsentieren. Ein Kult ist um die Heilstätten entstanden, allein ein mit wackeliger Handkamera im Stil von „Blair Witch Projekt“ gedrehtes Video aus der Serie „Schattenwelten“ schafft es auf Youtube auf fast 30.000 Klicks. Auf Facebook präsentieren sich Gestalten wie der „Schleicher von Beelitz“, der regelmäßig als maskierter Geist, teilweise mit einer Sense bewaffnet, in den Ruinen der Lungenheilanstalt Besucher erschreckt. Er postet auch Videos, wie er auf einem alten Klavier schaurige Melodien spielt, die durch die feuchten Mauern hallen. Mehr als 3000 Nutzern gefällt seine Seite.

Dach von Frauenklinik ist  teilweise eingestürzt

„Wenn wir nur wüssten, wer der Schleicher ist, könnten wir ja mit ihm zusammenarbeiten“, sagt Georg Hoffmann vor dem Haupteingang der majestätischen Chirurgie, die er als Schloss bezeichnet. Eigentlich ist das Haus mit tonnenschweren Betonplatten gegen Eindringlinge gesichert, doch seit Unbekannte vor zwei Wochen den Eingang mit einem Bagger freiräumten und dabei das Eingangsportal abgerissen haben (PNN berichteten), kommt man in das Haus, in dem die Patienten nach der Operation in nach Süden ausgerichteten Einzelzimmern gepflegt und bei gutem Wetter zur schnelleren Heilung auf einen Wandelgang geschoben wurden. 
Neben dem Fahrstuhlschacht, in dem noch die verrostete Gondel hängt, führt eine verfallene Treppe in das Obergeschoss. Teilweise fehlen gleich drei Stufen, beherzte Sprünge sind nötig, um nach oben zu gelangen. Bleibt nur die Hoffnung, dass die nächste erreichbare Stufe dem standhält. An der benachbarten Frauenklinik ist erst vor wenigen Tagen ein Teil des Daches eingestürzt, nachdem Bäume jahrelang auf tragende Balken gedrückt haben, erzählt Hoffmann, während er im Anzug die Ruine erklimmt.

Oben angekommen, steht man sofort auf einer der beiden Dachterrassen, die sich jeweils auf einem der Seitenflügel erstrecken. „Hier haben wohl die Ärzte mit den Krankenschwestern nach den Operationen entspannt“, erzählt der Geschäftsführer. Noch heute werden dort Partys gefeiert, leere Bierflaschen zeugen davon. Erinnerungen werden wach an eine kleine Feier, die im Jahr 2008 ein schreckliches Ende fand: Ein Fotograf mit Hang zum Morbiden, der sich mit seinem Modell zum Fotoshooting verabredet hatte, soll sie mit einer Bratpfanne auf den Kopf geschlagen, gewürgt und anschließend Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt haben, während die Frau unter ihm starb. Der Fotograf wurde wegen Mordes zu zehn Jahren Haft verurteilt. Der Mann blieb stets bei seiner Schilderung, dass es sich um einen Unfall bei Sado-Maso-Spielen gehandelt habe. Der Fall ist heute ein weiteres Puzzlestück des Heilstätten-Mythos. Die Geschichten in Verbindung mit dem Verfall locken zunehmend auch Filmproduktionen an. Im Hauptgang der einstigen Frauenklinik tritt Georg Hoffmann gegen eine bemalte, augenscheinlich mit Stuck verzierte Wand. Ein dumpfer Hall kommt zurück. „Die Kulissenbildner haben den Durchgang zum großen Saal verschlossen.“ Sie scheinen ihr Handwerk zu verstehen, der Übergang zwischen Mauerwerk und bemaltem Sperrholz ist nicht zu erkennen. Die einstige reale Pracht des Hauses kann man an Resten des verzierten Treppengeländers und des Stucks im Treppenhaus noch erahnen, als ausgebrannte Treppe des Hotels Adlon diente es im gleichnamigen Film.

Wer die Stufen erklimmt, betritt Waldboden. Die Ruine wird seit 70 Jahren von der Natur zurückerobert, auf ihrem Dach stehen ausgewachsene Kiefern. Teilweise scheinen sie die rostigen Stahlträger der Dachkonstruktion, um die herum sie gewachsen sind, zu umarmen. „Ein Szenario, als ob die Menschheit die Erde verlassen hat“, sagt Georg Hoffmann mit verträumt schweifendem Blick.

Lesen Sie weiter:

Wo die Lunge endlich Luft bekam - Die Geschichte der Beelitzer Heilstätten lesen Sie HIER.

 

Über den Ruinen schweben - Was zukünftig mit dem Gelände passieren soll lesen Sie HIER.

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