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700 Jahre Werder (Havel): Das Dritte Reich im Festumzug

Beim Stadtjubiläum in Werder (Havel) soll auch ein Wehrmachtssoldat an den Zuschauern vorbeifahren. Brandenburgs Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus rät den Organisatoren, auf diese Darbietung zu verzichten.

Werder (Havel) - 700 Jahre Stadtgeschichte will Werder in seinem Festumzug am 16. Juli zeigen – und damit auch 700 Jahre deutsche Geschichte. Dazu sollen 55 Szenen dienen, in denen Werderaner Vereinsmitglieder und andere Mitwirkende in historischer Kleidung auftreten, von der mittelalterlichen Magdtracht bis zum FDJ-Blauhemd. Auch an die NS-Zeit will Werder in Form einer Festumzugsszene erinnern.

Zur Illustration soll ein Soldat in Uniform auftreten, der in einem Wehrmachtswagen stur geradeaus blickend vorbeifährt. Neben dem Wagen sollen Personen marschieren, die als angehende Luftwaffenpiloten der ehemaligen Werderaner Fliegerschule oder als Heimatvertriebene verkleidet sind. Unter den Zuschauern sollen, während die Szene vorbeirollt, Informationshefte verteilt werden, die „eindrücklich auf die Hintergründe eingehen“, heißt es in einer Pressemitteilung der Stadt. Also wie „junge Piloten zu verbrecherischen Kampfeinsätzen geschickt wurden“ und „die Verfolgung und Ermordung Andersdenkender und der jüdischen Mitbürger“.

Erst war sogar ein SA-Offizier geplant

Die geplante Darstellung erschien zunächst nicht jedem in der Stadt angemessen. „Mit großem Unverständnis haben wir den Plan zum Festumzug zur 700-Jahrfeier in Werder (Havel) eingesehen“, heißt es etwa in einem Brief, den Die Linke Werder, am Donnerstag an Bürgermeisterin Manuela Saß (CDU), richtete. Denn zuvor war noch weitaus mehr als ein Wehrmachtssoldat vorgesehen. Die Linke schrieb deshalb: „Das geplante Bild im Festumzug mit einem SA-Mann im Auto ruft bei uns große Empörung hervor.“. Es gebe andere Möglichkeiten der Darstellung, die deutlich machten, dass nicht den Tätern, sondern den Opfern Aufmerksamkeit gebühre und dass Werder eine „Stadt des Friedens“ sei.

Auf PNN-Anfrage rudert der Linke-Ortsvorsitzende Peter Hinze am Freitag jedoch zurück. Nach dem Widerspruch der Linken sei inzwischen „kein SA-Offizier mehr geplant, sondern ein Mann in Wehrmachtsuniform mit neutralen Metallplatten auf den Schultern und ohne jegliche Nazi-Symbole“. Diese Variante fände er in Ordnung, sagte Hinze. Die Linke hätte sich am Festkomitee aus Zeitgründen nicht beteiligt, sonst hätte man dort vielleicht die Richtung der Darstellung grundsätzlich anders gesteuert, erklärt der örtliche Linke-Chef.

Grüne-Vertreterin Elke Rietz, die die Darstellung zuvor ebenfalls als unangemessen betrachtet hatte, sieht das Problem nach Diskussionen mit anderen Stadtpolitikern und Mitgliedern des Festkomitees nur noch darin, dass die Szene am Zuganfang noch unkommentiert an den Zuschauern vorbeifahren soll, bevor im Laufe des Zuges die Informationshefte verteilt werden. „Erst nachdem der Umzug rund 500 Meter weit unterwegs gewesen ist, werden die Informationen ausgehändigt“, sagt Rietz. Grundsätzlich habe sie allerdings keine Bedenken mehr bei der Darstellung, denn das Festkomitee habe sich schließlich „viel Mühe gegeben“.

Stadthistoriker vergleicht Mittelalter mit Nazizeit

Bei der Stadt versteht man die Aufregung ohnehin nicht: Als „ungeheuerliche Unterstellung“ bezeichnet Werders Erster Beigeordneter Christian Große (CDU) die Vorwürfe aus dem Brief der Linken, es solle einem menschenverachtenden Regime eine Plattform geboten werden.

Stadthistoriker Baldur Martin, der die Umzugsszene als Festkomitee-Mitglied mitentwarf, beschreibt, wie es zu der Idee kam: „Ich wollte eigentlich nur bis 1930 gehen, weil ich schon vorausgesehen habe, dass es derartige Diskussionen geben würde“, sagt der 75-Jährige. In einer der Planungsrunden sei jedoch ein anderes Komitee-Mitglied aufgesprungen und habe begeistert gerufen, dass er für die Szene zur DDR noch ein FDJ-Blauhemd habe. Daraufhin habe er, Martin, gesagt, wenn die DDR im Umzug vorkomme, müsse auch das NS-Regime dabei sein. Er habe sich daraufhin über Darstellungsmöglichkeiten informiert und eine Uniform aufgetrieben, die bereits bei einem historischen Umzug in Lehnin zum Einsatz gekommen sei.

Auf die Frage, ob es grundsätzlich angemessen sei, das NS-Regime bei einem Festumzug darzustellen, wird Martin ungeduldig und zieht einen Vergleich: Es seien ja auch Folterszenen aus dem Mittelalter dabei. „Da kann man auch sagen, darf man nicht zeigen, ist nichts für Kinder“, empört sich der Stadtchroniker, so als wäre Gewalt im Mittelalter dasselbe wie Nazi-Terror, Krieg und systematischer Völkermord im Dritten Reich. „Aber dann braucht man auch gar keinen historischen Umzug zu machen.“ Er fände es traurig, dass die Arbeit der vielen Engagierten, die sich ehrenamtlich an der Planung beteiligt hätten, nun „so in den Dreck gezogen“ werde.

Aktionsbündnis: NS-Zeit wird banalisiert

Für Jonas Frykmann vom Brandenburger Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sind die Planungen in Werder nichts Ungewöhnliches: „So etwas gibt es immer mal wieder im Zuge von Dorfjubiläen“, sagt der Rechtsextremismus-Experte. Er empfehle jedoch, die bildliche Darstellung der NS-Zeit in Festumzügen einfach wegzulassen. „Die Menschen gehen zu Umzügen, um sich zu amüsieren, darum kann man dem Thema in diesem Rahmen einfach nicht richtig gerecht werden“, sagt Frykmann. „Auch wenn man mit den besten Absichten an die Sache herangeht: Die Zeit und das Leiden der Opfer werden automatisch banalisiert.“

Im August 2016 hatte ein Festumzug im sächsischen Colmnitz bundesweit Aufsehen erregt, weil ein Anhänger einer Organisation von Militärtechnikfreunden dort einen Koffer mit einem Hakenkreuz zur Schau gestellt hatte. Die Staatsanwaltschaft prüfte den Fall damals wegen des Vorwurfs, der Mann habe in der Öffentlichkeit verfassungswidrige Symbole gezeigt. Sie kam allerdings zu dem Schluss dass dies „im Zusammenhang mit dem historischen Festumzug nicht strafbar“ gewesen sei.

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