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Hubert Aiwanger (Freie Wähler) steht stark in der Kritik. Ihm wird vorgeworfen, während seiner Schulzeit ein antisemitisches Flugblatt verteilt zu haben.

© picture alliance / SvenSimon/Frank Hoermann/SVEN SIMON

Überblick zur Aiwanger-Affäre : Steht Söders Bayern-Koalition vor dem Bruch?

Bayern Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger steht heftig in der Kritik, da er in seinem damaligen Schulranzen ein antisemitisches Flugblatt hatte. Nicht nur Söder fordert Aufklärung.

Knapp sechs Wochen vor der Landtagswahl erhöht Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in der Flugblatt-Affäre den Druck auf seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Söder ließ für Dienstagvormittag eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses einberufen.

Der Ministerpräsident hat sich zu der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt in der Sache jüngst nicht mehr geäußert. Somit ist offen, ob Söder die Darstellung Aiwangers für glaubwürdig und überzeugend hält. Gleiches gilt mit Blick auf die Selbstbezichtigung von Aiwangers Bruder Helmut, er habe das Flugblatt aus dem Schuljahr 1987/88 verfasst.

Söders Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) ließ Distanz zum Agieren Aiwangers erkennen. „Wir haben die Erklärung zur Kenntnis genommen. Aber es bleiben viele Fragen offen“, sagte Herrmann. Diese könne nur Hubert Aiwanger persönlich beantworten. „Wir erwarten, dass dies zeitnah geschieht.“

Söders Vertrauter zeigt Distanz

Die Vorwürfe seien zu ernst, als dass sich ein stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich äußere und entscheidende Fragen unbeantwortet lasse. Er müsse sich über die schriftliche Stellungnahme hinaus persönlich und umfassend erklären. „Es geht um das Ansehen Bayerns.“

Sollte Söder gar die Koalition platzen lassen? Offen. Mit einem solchen Schritt würde Söder eine Machtoption für die Zeit nach der Wahl gefährden. Im März hatte der CSU-Chef ein Bündnis mit den Grünen faktisch ausgeschlossen.

Widerlich, abscheulich und menschenverachtend.

Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär

Aiwanger hatte am Samstag schriftlich zurückgewiesen, als Minderjähriger zu Schulzeiten in den 1980er Jahren das Flugblatt verfasst zu haben, über das die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hatte. Wenig später räumte Aiwangers Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben. Vize-Ministerpräsident Aiwanger wollte sich am Montag nicht zu der Debatte äußern.

Aiwangers Bruder wollte Lehrer „auf die Palme bringen“

„Das ist jetzt nicht die aktuellste Thematik“, sagte er nach einem Bericht des Bayerischen Rundfunks im unterfränkischen Miltenberg. Auf die Frage, ob er damals das Flugblatt verteilt habe, entgegnete er: „Nächste Frage.“ Er sage zu der gesamten Thematik „derzeit nichts mehr“.

Aiwangers Bruder Helmut sagte am Montag, er habe mit dem Flugblatt seine Lehrer provozieren wollen. „Ich habe das Schriftstück nicht erstellt, um Nazis zu verherrlichen, den Holocaust zu leugnen oder Hass und Gewalt zu schüren“, sagte er der Mediengruppe Bayern.

Er sprach stattdessen von einer „stark überspitzten Form der Satire“ und einer „Jugendsünde“. Er berichtete von seiner schwierigen Schulzeit, weshalb er sich „irgendwie wehren“ und seine Lehrer „so richtig auf die Palme bringen“ wollte. Das Schriftstück habe er aus Protest verfasst, nachdem er sitzengeblieben war, sagte Helmut Aiwanger.

„Stasi-Methoden“ und „Schmutzkampagne“

„Ich schäme mich für diese Tat und bitte vor allem meinen Bruder um Verzeihung für die damals verursachten Schwierigkeiten, die auch noch nach 35 Jahren nachwirken“, erklärte Helmut Aiwanger weiter. Das antisemitische Flugblatt sei zu Schulzeiten im Ranzen des heutigen Ministers womöglich deshalb gefunden worden, weil der es wieder einsammeln wollte.

„Ich bin mir nicht mehr ganz sicher“, sagte Helmut Aiwanger den Zeitungen der Mediengruppe Bayern am Montag: „Aber ich glaube, dass Hubert sie wieder eingesammelt hat, um zu deeskalieren.“ Die Berichterstattung über das antisemitische Flugblatt zeuge von „Stasi-Methoden“ und einer „Schmutzkampagne“.

Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte zuvor berichtet, dass Hubert Aiwanger im Verdacht stehe, als Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst und Kopien an seiner Schule ausgelegt zu haben. Sie sollen in seiner Schultasche gefunden worden sein.

CSU erhöht Druck auf Aiwanger

CDU, CSU und Kanzler Olaf Scholz (SPD) riefen nach Aufklärung. Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte der „Augsburger Allgemeinen“, es gebe noch „Klärungsbedarf“. Der bayerische Antisemitismusbeauftragte und Ex-Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) sagte: „Es gibt hier sicher weitere Fragen. So etwa: Wer hat das Flugblatt verteilt? Die weitere Klärung bietet hier Raum.“

Der Vizepräsident des Landtages, Karl Freller (CSU), sagte im Deutschlandfunk, es seien noch viele Fragen offen – auch bei der Urheberschaft, zu der sich Aiwangers älterer Bruder bekannt hat. Das „Verteilen“ eines solchen Flugblatts sei „nahe am Verfassen“, sagte Freller. Dieses Pamphlet sei „so unsäglich und widerwärtig“, dass man nicht von einem dummen Jugendstreich sprechen könne.

Auch die CDU fordert Aufklärung

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte am Montag, die Inhalte des Flugblatts seien „widerlich, abscheulich und menschenverachtend“. Nun gelte es, aufzuklären. Es gebe eine historische Verantwortung, „dass wir jüdisches Leben in Deutschland schützen und Judenhass bekämpfen“, ergänzte Linnemann.

Aus Sicht von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) muss „alles umfassend und sofort aufgeklärt werden, und es müsste dann gegebenenfalls auch politische Konsequenzen haben“, sagte Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner am Montag in Berlin.

In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. CSU und Freie Wähler koalieren. Umfragen zufolge braucht die CSU auch künftig einen Koalitionspartner.

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