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Mehr Pragmatismus, bitte! : Die Reformdebatte zur Schuldenbremse ist ein Streit um des Kaisers Bart

Die Debatte um die Schuldenbegrenzung wirkt völlig überhöht. Weder eine Aufhebung ist realistisch noch ein Festhalten am Status quo. Also wäre Pragmatismus angesagt.

Ein Kommentar von Albert Funk

Die SPD macht Druck, die Grünen machen Druck, die FDP hält’s aus. Im Hintergrund schaut die Union zu, was sich in der Ampel tut, und wartet ab. Der Streit um die Schuldenbremse im Grundgesetz kann sich auf diese Weise noch länger hinziehen.

Die Meldungen vom Dienstag gehören in die Kategorie „mehr vom Gleichen“. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) malt wieder das Riesengeldpaket für die Wirtschaft an die Wand, eine „wuchtige Entlastung“ über verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten, die dann, weil sie zu Steuerausfällen führen, letztlich über mehr Schulden finanziert werden müssten.

Als zusätzliches Lockmittel für FDP und Union bietet er eine etwas laxere Anwendung des Lieferkettengesetzes an, das die Wirtschaft für ein Bürokratiemonster hält.

Aus der SPD wiederum kommt ein Vorschlag des Wirtschaftsforums der Partei, in dem eine Rückkehr zur „goldenen Regel“ vorgeschlagen wird – also die Bindung der Verschuldung an Investitionen. Ähnliches haben auch die Wirtschaftsweisen und der Wissenschaftlerbeirat von Habecks Ministerium schon vorgetragen.

Kaum jemand will die Schuldenbremse „schleifen“

Man kann den nun schon seit Monaten währenden Schuldenbremsenzwist als eine Debatte um eine grundlegende Neuausrichtung der deutschen Haushalts- und Finanzpolitik überhöhen – aber auch nur als einen Streit um des Kaisers Bart sehen.

Denn um die Abschaffung der Schuldenregel geht es nicht. Praktisch niemand will die Schuldenbremse „schleifen“. Es geht allein darum, ob und wie weit sie für eine höhere Kreditaufnahme ausgeweitet werden sollte.

Die Frontlinien zwischen den wesentlichen Beteiligten sind bekannt. SPD und Grüne plädieren in unterschiedlicher Dringlichkeit für Möglichkeiten einer höheren Staatsverschuldung. Die CDU ist gespalten – die Parteiführung um Friedrich Merz ist gegen jede Reform, zumindest bisher, während auf der Landesebene die Lockerungsübungen schon stattfinden.

Wie immer die nächste Regierung zusammengesetzt sein wird, es spricht einiges dafür, dass eine Reform der Schuldenbremse ein Punkt in der Koalitionsvereinbarung sein wird.

Albert Funk

Mehrere Regierungschefs, allen voran Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner, halten einen vergrößerten Spielraum für nötig oder jedenfalls für akzeptabel. Die CSU steht bei Merz. Die FDP stilisiert ihren Widerstand zum Alleinstellungsmerkmal.

Streit bis zur Wahl?

Und so könnte es bleiben bis zur Bundestagswahl im September 2025. Offenkundig wird das Thema als profilierungstauglich gesehen. Allerdings deutet die relative Zurückhaltung bei SPD und Grünen, was maximale Lösungen angeht, sowie die interne Uneindeutigkeit in der CDU darauf hin, dass es spätestens nach der Wahl zu einem Miteinander kommen wird. Wie immer die nächste Regierung zusammengesetzt sein wird, es spricht einiges dafür, dass eine Reform der Schuldenbremse ein Punkt in der Koalitionsvereinbarung sein wird.

Die Frage wäre dann vor allem, ob man beim System der gegenwärtigen Schuldenbremse bleibt oder wieder zurückgeht zur jahrzehntelang gültigen Bindung an Investitionen. Von der hat sich die Politik in relativer Einmütigkeit 2009 getrennt, weil sie als zu wenig flexibel galt. Die sachlich ungebundene, aber eben gedeckelte neue Schuldenregelung galt im Vergleich mit der immer streitbehafteten Investitionsbindung als Fortschritt.

0,35
Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr beträgt der Verschuldungsspielraum für den Bund.

Wobei der Umbruch damals nur für Bund und Länder galt. In den Kommunen blieb es dabei, dass investive Vorhaben auch mit Investitionskrediten finanziert werden. Für einen wesentlichen Teil der staatlichen Investitionen, ob nun Straßen, Brücken, Schulen, wird also die alte Regel angewendet.

Punkte einer Reform

Einiges spricht dennoch dafür, die bestehende Schuldenbremse für Bund und Länder beizubehalten und neu zu justieren – eben weil sie flexibler ist. Die möglichen Punkte sind bekannt: Eine andere Regelung beim Ausstieg aus einer hohen Kreditfinanzierung in Notlagen, eine praktikable Lösung für kleinere Notlagenfonds wie die diversen Sondervermögen zur Fluthilfe, zuletzt im Ahrtal, einen größeren dauerhaften Verschuldungsspielraum für den Bund als die bisher jährlich möglichen 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, eine ähnliche Regelung für die Länder, die 2009 darauf verzichtet hatten.

Das Verfahren, das damals gewählt worden war, könnte nun auch wieder belebt werden: eine Reformkommission von Bundestag und Bundesrat. Einige Landespolitiker haben das schon gefordert, andere lehnen es (noch) ab, unter anderem wegen der Befürchtung, dass weitere föderale Finanzthemen dann auch wieder auf die Tagesordnung kämen. Der Bundeskanzler, heißt es, ist auch dagegen.

Aber ein Verschieben des Streits in ein Reformgremium, jetzt oder bald, hätte auch etwas für sich. Der offene Streit wäre reduziert, es gäbe eine sachliche Debatte ohne Vorbedingungen, die nötige Zweidrittelmehrheit ließe sich so verlässlich vorbereiten. Denn ob nach der Bundestagswahl nicht auch eine Blockadesituation bestehen könnte, ist unklar.

Noch ein Vorteil einer Kommission: Die beiden Hauptgegner einer Reform, Merz und Lindner, wären entweder eingebunden (der CDU-Chef ist Oppositionsführer im Bundestag) oder aber außen vor (Lindner als Regierungsmitglied hätte keinen Status als Kommissionsmitglied). Was jeweils ein Vorteil sein könnte.

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