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Wolfgang Thierse (SPD), ehemaliger Vizepräsident des Deutschen Bundestages,

© dpa/Christoph Soeder

Exklusiv

Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse: „Der Staat hat die Pflicht, ein AfD-Verbot zu prüfen“

Wolfgang Thierse sieht die Gefahren eines Verbotsverfahrens gegen die AfD, hält eine Prüfung aber für geboten. Dass seine SPD in Sachsen bei unter fünf Prozent landen kann, sei „leider realistisch“.

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) plädiert trotz Bedenken für die Prüfung eines Verbotsverfahrens der AfD. „Wenn der Verfassungsschutz in drei Bundesländern die AfD als gesichert rechtsextremistisch einstuft, dann hat der Staat die Pflicht, ein Verbot der AfD zu prüfen“, sagte Thierse dem Tagesspiegel.

Man müsse „aber ganz nüchtern bedenken: Für ein Parteiverbot existieren in Deutschland hohe Hürden, ein Verbotsverfahren dauert lange, wohl viele Jahre, und die AfD würde dies propagandistisch erheblich ausschlachten, sich als Opfer stilisieren.“

Die Sozialdemokraten sind uneins über den Sinn, ein Verbot der radikal rechten AfD anzustreben. So wandte sich der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), gegen ein AfD-Verbotsverfahren und widersprach damit der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken. Ein Parteiverbot sei sehr schwer durchzusetzen und die juristischen Erfolgschancen betrachte er als gering, sagte Schneider der „Süddeutschen Zeitung“

Entscheidend sei aber die politische Dimension. „Wenn wir eine Partei verbieten, die uns nicht passt, die in Umfragen aber stabil vorne liegt, dann führt das zu einer noch größeren Solidarisierung mit ihr“, sagte Schneider. „Und das selbst von Leuten, die gar keine AfD-Sympathisanten oder -Wähler sind. Die Kollateralschäden wären sehr hoch.“ 

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FDP-Abgeordneter Hartewig bezeichnte Gefahr durch AfD als „enorm“

Gegen ein solches Prozedere wandte sich auch der FDP-Rechtspolitiker Philipp Hartewig. „Von einem Verbotsverfahren halte ich leider recht wenig, auch wenn die Gefahr durch die AfD enorm ist“, sagte Hartewig dem Tagesspiegel.

Der aus Sachsen stammende Bundestagsabgeordnete sagte: „Hier machen mir aus den Erfahrungen von vor Ort nicht nur Ergebnisse und Umfragen Sorgen, sondern vor allem deren absolute Deutungshoheit in einem Großteil der Meinungsbilder in der Bevölkerung.“ 

In der Debatte um ein AfD-Verbot wird immer auf zwei erfolglose Anläufe, die rechtsextreme NPD zu verbieten, verwiesen. So wies das Bundesverfassungsgericht den Antrag des Bundesrats auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Auflösung der NPD und ihrer Unterorganisationen vor sieben Jahren als unbegründet zurück.

Warum Karlsruhe ein NPD-Verbot verwarf

Die NPD vertrete ein „auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtetes politisches Konzept“ und wolle die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten autoritären Nationalstaat ersetzen, hieß es damals zur Begründung.

Sie arbeite gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, doch fehle es „an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt“. Auf gut Deutsch: Die NPD galt den Karlsruher Richtern als zu klein, um eine solche Wirkung zu entfalten.

Die AfD hingegen liegt in bundesweiten Umfragen auf Rang zwei nach der Union. Ein gutes halbes Jahr vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg kann sich die AfD Umfragen zufolge Hoffnung machen, als stärkste Kraft abzuschneiden.

AfD in Sachsen bei 37 Prozent

In Sachsen liegt sie einer Umfrage nach bei 37 Prozent; bei der Landtagswahl 2019 hatte sie 27,5 Prozent erzielt. Die CDU wurde bei 30 Prozent taxiert, die Grünen bei 8 Prozent, die Linke bei 7 Prozent, die SPD bei 3 Prozent.

Wenn wir bundesweit bei 14 Prozent liegen, ist ein Wert von unter fünf Prozent in Sachsen leider realistisch 

Wolfgang Thierse (SPD), Ex-Bundestagspräsident

Ex-Bundestagspräsident Thierse sieht in der Schwäche der SPD auch ein „dramatisches Problem“ für die CDU. „Die schlechten Umfragewerte der SPD in Sachsen überraschen nicht. Wenn wir bundesweit bei 14 Prozent liegen, ist ein Wert von unter fünf Prozent in Sachsen leider realistisch“, sagte Thierse. Die SPD habe sich seit 1990 in Sachsen immer besonders schwergetan; diese Kontinuität setze sich fort.

Thierse bezeichnet Kretschmers Kurs gegen die AfD als „erfolglos“

„Die Schwäche der SPD ist auch für die CDU ein dramatisches Problem. Das wird dort, glaube ich, noch unterschätzt“, sagte Thierse. Auf derzeitiger Umfragebasis müsse die CDU in Sachsen mit Grünen und Linken koalieren, um sich gegen die AfD durchzusetzen.

Die bisherige Strategie von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) gegen die AfD helfe nicht, „im Gegenteil: Sie ist erfolglos. Die AfD wird stärker und stärker.“  

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