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Putin am 5. Juli bei einem Treffen mit Artyom Zdunov, dem Leiter der Republik Mordwinien.

© Mikhail KLIMENTYEV / SPUTNIK / AFP

Wiederaufbau-Gipfel in Lugano: Putin ist bereits der Gewinner – denn der Westen wird zahlen

Um die Ukraine wiederaufzubauen, muss der Westen gewaltige Summen aufbringen. Russland dagegen geht das Geld für Rüstung so schnell nicht aus. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Im schweizerischen Lugano, da, wo die Welt besonders heil zu sein scheint, haben 40 Nationen und internationale Organisationen beraten, wie ein Wiederaufbauprogramm für die Ukraine aussehen könnte. Es war keine Geberkonferenz im klassischen Sinne. Es ging um den politischen Rahmen.

Zu befürchten ist, dass bei dieser Tagung die Realitäten aus den Augen verloren gingen. Nun kann man einwenden, dass sich grundlegend Neues nur schaffen lässt, wenn eine Vision da ist. Und natürlich verdient die Ukraine in ihrem bewundernswerten Widerstand gegen den russischen Überfall jede Unterstützung. Zu den Fakten, die die Unterstützer der Ukraine aber begreifen müssen, gehört aber die Einsicht: Russland ist Kriegsgewinnler.

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Russisches Militär hat ein dynamisches Nachbarland in Schutt und Asche gelegt und vermutlich auf viele Jahre in seiner Entwicklung zurückgeworfen. Es hat die Ukraine nicht nur, wie EU-Präsidentin Ursula von der Leyen feststellte, militärisch, politisch und wirtschaftlich zerstören wollen, sondern auch dessen kulturelle Identität auszulöschen versucht.

Offizielles Kriegsziel ist außerdem die fast erreichte, von Moskau als Befreiung deklarierte, Annexion des Donbass, des Ostens der Ukraine. Auch wenn am Ende dieses Konfliktes ein durch Verhandlungen erreichter politischer Schwebezustand wie jetzt auf der seit 2014 annektieren Halbinsel Krim stehen wird – zu glauben, dass Russland diese Gebiete einfach räumt, wenn es nicht zuvor militärisch empfindlich geschwächt worden ist, wäre eine Illusion.

Wiederaufbau braucht eine Billion Euro

Die ukrainische Regierung hat in Lugano die These vertreten, mit dem beschlagnahmten Vermögen russischer Oligarchen in der ganzen Welt ließen sich 750 Milliarden Euro für den Wiederaufbau des Landes erlösen. Dass dies gelingen könnte, ist eine Fiktion.

Tatsächlich werden für den Wiederaufbau der Ukraine eher 1000 bis 1500 Milliarden benötigt, und diese gewaltige Summe wird von den westlichen Industrienationen aufgebracht werden müssen. Damit aber fehlen den Geldgebern genau diese Mittel zur Entwicklung der eigenen Infrastruktur – und wie marode die ist, erleben wir Tag für Tag.

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Russland ist also ein doppelter Sieger. Es schwächt die Ukraine und den Westen. Dass es selbst viel Geld in die Rüstung stecken muss, ist kein Problem. Putins Reich ist eine Diktatur, in der die Bürger nicht gegen die Führung revoltieren können und zudem von der Propaganda in einem Zustand permanenter Unmündigkeit gehalten werden.

Putin hat unbegrenzt viel Geld für Rüstung

Gerade ist Putin dabei, sich von der Duma einen Freibrief geben zu lassen. Zur Stärkung der militärischen Kräfte kann er dann ohne weitere Legitimierung Mittel in unbeschränkter Höhe beanspruchen.

Dafür, und zur sozialen Abfederung von Kriegsfolgen, etwa zur Unterstützung von Kriegerwitwen oder Waisen, wird immer Geld da sein. Denn Putin kann das russische Gas und das russische Öl auch dann weltweit gut verkaufen, wenn der Westen es nicht mehr abnimmt.

Wenn die westliche Welt nicht jede Glaubwürdigkeit verlieren will, kann sie Putins Rückkehr in die Welt internationaler Gespräche nicht akzeptieren. Es geht nicht um eine Ächtung Russlands – es geht um eine Blockade des Systems Putin. Es geht, ganz banal, um Selbstachtung.

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