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Exil-Iraner protestieren vor der iranischen Botschaft in Berlin.

© dpa / Paul Zinken

Nach dem Tod von Mahsa Amini: Die Wut der Iraner

Eine junge Frau wird von iranischen Sittenwächtern festgenommen und stirbt in Polizeigewahrsam. Nun gehen Empörte auf die Straße. Wie reagiert das Regime?

Ein angeblich „unislamisch“ getragenes Kopftuch ist Mahsa Amini zum Verhängnis geworden. Der offenbar gewaltsame Tod der 22-Jährigen durch iranische Sittenwächter versetzt das Land in Aufruhr.

Seit Tagen gibt es in mehreren Städten heftige Proteste. Sie richten sich gegen die Brutalität der Religionspolizei, aber auch gegen die Herrscherclique und deren rigide Vorstellungen von Moral und Gehorsam. Die Wut auf die Machthaber scheint groß zu sein.

Frauen im Iran müssen seit der Revolution von 1979 in der Öffentlichkeit ihr Haar verhüllen. Viele legen jedoch nur ein lockeres Tuch um, das ihr Haar größtenteils frei lässt.

Seit Demonstrationen gegen die Kopfbedeckung vor fünf Jahren und besonders seit dem Amtsantritt des Hardliners Raisi im vergangenen Jahr setzt die Religionspolizei den Kopftuchzwang immer häufiger mit aggressiven Mitteln durch. Regimegegner rufen deshalb Frauen auf, ihren Kopf in der Öffentlichkeit nicht zu verhüllen.

Viele Iranerinnen tragen ein Tuch als lockere Kopfbedeckung.

© REUTERS / WANA NEWS AGENCY

Auch Mahsa Amini trug ein lockeres Kopftuch, wie Fotos von ihr in den sozialen Medien zeigen. Ob sie die strenge Form der Kopfbedeckung aus politischen Gründen ablehnte, ist nicht bekannt.

Die junge Frau lebte in Saqez im west-iranischen Kurdengebiet und war mit ihren Eltern auf Besuch in Teheran, als sie am vorigen Dienstag festgenommen und dann auf ein Polizeirevier gebracht wurde.

Die Sittenwächter hätten sie zwingen wollen, ihr Haar nach den Regeln der Islamischen Republik ganz zu verhüllen, erklärte Amnesty International.

Die Behörden sprechen von Herzversagen als Todesursache

Die Religionspolizisten verprügelten Amini nach ihrer Festnahme in einem Bus, wie mehrere Medien unter Berufung auf Augenzeugen melden. Die junge Frau fiel ins Koma und starb drei Tage später in einem Krankenhaus. Die Behörden erklären den Tod mit Herzversagen.

Ein „unislamisch“ getragenes Kopftuch wurde Mahsa Amini zum Verhängnis.

© Foto: Reuters/Iran Wire/Uncredited

Doch ihre Familie betont, sie habe keine Herzerkrankungen gehabt. Iran International, ein Medium der Exil-Opposition, berichtet unter Berufung auf Krankenhauskreise, Amini habe schwere Kopfverletzungen durch Schläge erlitten. Sie sei bereits bei Einlieferung in die Klinik hirntot gewesen.

Frauen sollen sich als Zeichen des Zorns Haare abgeschnitten haben

Am Sonnabend nahmen Hunderte Menschen an Aminis Beisetzung in Saqez teil und riefen Parolen gegen das Regime. Frauen legten als Zeichen des Zorns das Kopftuch ab, wie die britische BBC meldete. Andere sollen sich die Haare abgeschnitten haben.

Am Sonntagabend feuerten Polizisten Tränengas auf Demonstranten in Sanandaj, der Hauptstadt der iranischen Provinz Kurdistan. Auch vor dem Krankenhaus in Teheran, in dem Amini starb, gab es Proteste. Am Sonntag gingen Studenten der Teheraner Universität auf die Straße, berichteten Aktivisten.

Prominente iranische Künstler und Sportler verdammten das Vorgehen der Religionspolizei. Die Behörden drosselten das Internet, um die Verbreitung von Videos und Demonstrationsaufrufen zu erschweren.

Der Sicherheitsapparat fühlt sich stark.

Guido Steinberg, Stiftung Wissenschaft und Politik

Die Unruhen stellen Beobachtern zufolge allerdings keine unmittelbare Gefahr für Raisis Regierung dar. „Allein die Tatsache, dass die Moralpolizei glaubt, sie könne ungestraft eine junge Frau von der Straße zerren und misshandeln, zeigt, wie stark sich der Sicherheitsapparat fühlt“, sagt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Und: Die Führung der Islamischen Republik konnte in den vergangenen Jahren wesentlich größere Proteste mit Gewalt niederschlagen.

Irans Präsident Raisi gilt als Hardliner.

© IMAGO/SNA / IMAGO/Alexandr Demyanchuk

Dass Raisi noch während einer Auslandsreise eine Untersuchung von Aminis Tod anordnete, könnte aber ein Hinweis darauf sein, dass die Mullahs beunruhigt sind. Allerdings ist unklar, ob es dem Präsidenten um ehrliche Aufklärung geht oder ob er die Öffentlichkeit beruhigen will, ohne die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Iran-Experte Steinberg jedenfalls hält sieht in Raisis Ankündigung nur Kosmetik. „Für das Regime geht es um große Themen wie das Atomabkommen, die Wirtschaftskrise oder die Beziehungen zu Russland und China. Aus Sicht der Machthaber ist der Tod einer jungen Frau kaum mehr als ein kleines Ärgernis.“

Jeder zweite Bürger im Iran ist jünger als 30 Jahre

Im Iran ist mehr als jeder zweite Bürger jünger als 30 Jahre und hat daher kein anderes Regierungssystem erlebt als die Islamische Republik. Die Islamisierung des Landes seit der Revolution vor mehr als 40 Jahren hat die meisten jungen Iraner jedoch nicht zu Anhängern des Regimes gemacht, im Gegenteil.

Viele von ihnen sind nach Einschätzung von Experten wegen Korruption, Arbeitslosigkeit und der Wirtschaftskrise desillusioniert und wollen das Land verlassen; in Deutschland gehören Iraner zu den größten Gruppen von Asylbewerbern.

Zwischen dem Regime und vielen jungen Iranern klaffe ein breiter Graben, sagt Lena Loch von der Denkfabrik Friends of Europe. Mahsa Aminis Tod könnte ihn vergrößert haben.

Ein große Kluft herrscht ebenfalls zwischen dem Regime und der kurdischen Minderheit. Amini war Kurdin und hieß Jina Emini. Kurden werden im Iran verfolgt, kriminalisiert und zur Assimilation gezwungen.

Die Provinz Kurdistan, dort lebte die junge Frau, hat eine besonders hohe Arbeitslosenquote, der Zugang zu Bildung ist schwierig. Immer wieder kommt es zu willkürlichen Verhaftungen durch die Behörden.

Festnahmen gab es auch bei Aminis Begräbnis. Kurdische Parteien im Iran haben wegen des Todes der 22-Jährigen zu einem Generalstreik aufgerufen – als Zeichen des Protests.

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