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Kippt das Gericht am Ende den Nachtragsetat 2021 doch noch?

© dpa/Uli Deck

Update

Karlsruhe lehnt Eilantrag zu Ampel-Etat ab: Union scheitert vor dem Bundesverfassungsgericht – vorerst

Ein Verschiebemanöver der Koalition im Umfang von 60 Milliarden Euro missfiel der Union. Sie reichte Klage ein. Die Richter wollen nun genauer hinschauen.

| Update:

Die Unions-Fraktion im Bundestag ist mit ihrem Versuch gescheitert, über einen Antrag auf einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht eine umstrittene Haushaltsentscheidung der Ampel-Koalition zu stoppen.

Es geht bei dem Verfahren in Karlsruhe um den Nachtragsetat für 2021, mit dem SPD, Grüne und FDP kurz nach ihrem Regierungsantritt im Dezember vergangenen Jahres Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro, die eigentlich zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie reserviert waren, auf den Energie- und Klimafonds (EKF) übertragen haben.

Nach Ansicht der CDU/CSU-Abgeordneten ist das verfassungswidrig gewesen, weshalb sie im Februar einen sogenannten Normenkontrollantrag in Karlsruhe einreichten – verbunden mit dem Antrag auf einstweilige Anordnung.

Den lehnte das Gericht in seinem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss ab. Zwar heißt es dort, in der Hauptsache sei der Antrag „zwar weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet“. Eine Folgenabwägung hat dem Gericht zufolge aber ergeben, dass es nachteiliger wäre, dem Eilantrag stattzugeben.

Konkret lautet die Begründung, „dass die Nachteile bei Erlass einer einstweiligen Anordnung und späterem Misserfolg“ der eigentlichen Klage „die Nachteile überwiegen, die bei einem Unterlassen der einstweiligen Anordnung und späterem Erfolg des Antrags in der Hauptsache einträten“. Daraus lässt sich schließen, dass die Richter durchaus Gründe sehen, im Hauptsacheverfahren zumindest teilweise zu einer Entscheidung gegen das Vorgehen der Ampel-Koalition zu kommen.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sprach in einer ersten Stellungnahme von einer guten Nachricht für all jene, die mit Fördermitteln aus dem EKF unterstützt würden. Das Geld kann nun weiterhin ausgezahlt werden, etwa für Haussanierungen. Darauf hatte auch das Gericht selbst abgehoben bei der Ablehnung des Eilantrags.  

Wir erwarten wichtige Richtungsweisungen für Bund und Länder.

Christian Lindner, Bundesfinanzminister (FDP)

Lindner verwies allerdings auch darauf, dass dieser Nachtragsetat für 2021 Bestandteil des Koalitionsvertrages der Ampel sei, er mithin noch vom jetzigen Kanzler Olaf Scholz (SPD) als Bundesfinanzminister konzipiert worden ist. Scholz könne sich nun bestärkt fühlen, sagte Lindner. Das Gericht habe sich Auslegungen zur Schuldenbremse im Grundgesetz vorbehalten, die wichtig sein könnten für die weitere Anwendung. „Wir erwarten wichtige Richtungsweisungen für Bund und Länder“, sagte der Finanzminister.

Der Grünen-Abgeordnete Sven Christian Kindler sagte: „Wir sind überzeugt, dass der Haushalt verfassungsfest und zudem ökonomisch notwendig ist und dass das auch im Hauptsacheverfahren bestätigt wird.“ Die schwerwiegenden ökonomischen Folgen der Pandemie würden noch viele Jahre anhalten, „weswegen es richtig war, dass der Haushaltsgesetzgeber dafür Vorsorge getroffen und Planungssicherheit für wichtige volkswirtschaftliche Investitionen sichergestellt hat“.

SPD fordert, Union solle Klage zurückziehen

Der SPD-Haushaltspolitiker Dennis Rohde sprach ebenfalls von einem „guten Tag“. „Die Union hätte mit ihrem Antrag sowohl der Beseitigung der Corona-Folgen wie auch dem Weg zur Energieunabhängigkeit nachhaltig geschadet. Es ist gut, dass die Merz-CDU heute gescheitert ist.“ Er hoffe, dass die Union „nun zur Vernunft findet und die Fraktion ihren Antrag zurückzieht“.

Wir sind zuversichtlich, was den Ausgang des weiteren Verfahrens angeht.

Mathias Middelberg, Unions-Fraktionsvize

Das will diese aber nicht tun. Der für Haushalt und Finanzen zuständige Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg sagte nach der Entscheidung, seine Fraktion bleibe „zuversichtlich, was den Ausgang der Hauptsache angeht“, also das weitere Verfahren. Er erwartet, dass der Zweite Senat des Gerichts 2023 endgültig urteilt.

Middelberg verwies darauf, dass die Richter ausführlich Fragen angemeldet und Zweifel geäußert hätten. Auf elf von 24 Seiten hätten die Richter schon konkrete Punkte für das Hauptsacheverfahren angesprochen. Eine solche Ausführlichkeit sei bei der Ablehnung eines Eilantrags ungewöhnlich.

„Ampel betreibt Vorratswirtschaft“

Trotz der Ablehnung des Unions-Antrags sei es „ein Warntag für den Bundesfinanzminister und die Haushaltspolitik der Ampel-Koalition“, sagte Middelberg. Diese werde immer mehr zu einer schuldenfinanzierten „Vorratswirtschaft“, die dem Jährlichkeitsprinzip in der Haushaltspolitik widerspreche. Der CDU-Politiker betonte, dass gerade dieser Punkt im Beschluss des Gerichts aufgegriffen werde.

Hohe Kreditaufnahme: Was Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner zur Krisenbewältigung unternehmen, wird die Bundeshaushalte auf Jahrzehnte hinaus belasten.

© Imago/Thomas Trutschel/photothek.de

Der Zweite Senat hält es in der Tat für geboten, sich mit den „Prinzipien der Jährlichkeit und Jährigkeit“ im Rahmen der Schuldenbremse auseinanderzusetzen, welche die Unions-Fraktion verletzt sieht. Das Gericht will demnach klären, ob und wie weit diese Prinzipien – dass ein Etat grundsätzlich nur für ein Jahr gilt – auch bei Notlagensituationen wie der Pandemie oder der Energiekrise gelten und ob sie gegebenenfalls „durch den Einsatz von Sondervermögen umgangen werden“ könnten.

Der EKF ist ein solches Sondervermögen, auch Nebenhaushalt genannt. Im Gerichtsbeschluss heißt es, es sei „nicht von vornherein ausgeschlossen“, dass die Zuführung von Kreditermächtigungen an den EKF „nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben an eine notlagenbedingte Kreditaufnahme entspricht“. Mit der Notlage der Pandemie hat die Ampel das Manöver begründet.

Haushalten mit Sondervermögen

Ein weiteres Sondervermögen ist der gerade aufgelegte Wirtschaftsstabilisierungsfonds mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro, aus denen im kommenden Jahr die Energiepreisbremsen finanziert werden sollen. Die Kreditermächtigung dafür ist allerdings auf das Jahr 2022 gebucht worden – in dem weiterhin die Notlagenklausel der Schuldenbremse genutzt wird, während Lindner 2023 wieder zur Einhaltung der Schuldenregel zurückkehren will.

Von Interesse wird auch sein, dass das Gericht sich mit dem Prinzip der „Vorherigkeit“ auseinandersetzen will. Das besagt, dass ein Etat vor dem Jahr beschlossen sein muss, für das er gilt. Besonders in Wahljahren wird dieses Prinzip oft nicht eingehalten – der Bundesetat für 2022 etwa wurde erst im Juni vom Bundestag beschlossen.

Im Fall des Nachtragsetats 2021 der Ampel fiel der endgültige Beschluss im Bundestag allerdings erst im Februar 2022 – also faktisch nach Abschluss des Haushaltsjahres, für das er gilt. Nach Ansicht des Gerichts ist es „nicht von der Hand zu weisen“, dass der Zeitpunkt der Verabschiedung“ des Nachtragsetats gegen den in der Verfassung verankerten Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit verstoßen könnte.

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