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Blumen und Kerzen vor dem Eingangsbereich eines Gemeindehauses der Zeugen Jehovas.

© dpa/Christian Charisius

Update

Zweites Expertengutachten: Hamburger Amoktäter hatte „narzisstische Persönlichkeitsstörung“

Zwei Experten haben das Buch von Philipp F. analysiert. Zwar gebe es keine Hinweise auf geplante Gewalttaten, jedoch fänden sich Anzeichen für eine psychische Erkrankung.

| Update:

Der Hamburger Amokschütze hatte offenbar eine narzisstische Persönlichkeitsstörung. Dies geht aus einem zweiten Experten-Gutachten hervor, das die Ermittler zur Amoktat in einem Hamburger Königreichssaal der Zeugen Jehovas in Auftrag gegeben hatten. „Zeit online“ hatte zuerst über das Gutachten des Psychiaters Christoph Lenk berichtet.

Grundlage für seine Einschätzung ist das Buch, das der mutmaßliche Täter Philipp F. im Dezember 2022 veröffentlicht hatte. Allein aus dem Buch lasse sich den Informationen zufolge aber keine Gefährdung für die Allgemeinheit ableiten. 

Gutachter Lenk spricht den Informationen zufolge in Bezug auf F. von einem normal intelligenten Menschen, der sehr wahrscheinlich eine kombinierte Persönlichkeitsstörung vorwiegend mit narzisstischen Anteilen hatte. Neben der narzisstischen Störung hinterlässt F. dem Gutachten zufolge das Bild eines religiös verblendeten Menschen, der geglaubt habe, für die komplexen Probleme unserer Welt einfache Lösungen zu finden. Dennoch soll er der Einschätzung zufolge in vollem Bewusstsein gehandelt haben.

Hinweise auf eine andere psychische Erkrankung seien in dem Buch dagegen ebenso wenig zu erkennen wie ein Hass auf Frauen oder sonstige Gruppen, hieß es. Auch sah Lenk bei F. keine Hinweise auf eine Drogensucht. 

Erster Gutachter nennt Täter „religiösen Fanatiker“

Zuvor hatte ein Gutachter den 35-jährigen Täter Philipp F. einem Medienbericht zufolge auf Grundlage des veröffentlichten Buchs bereits als einen „religiösen Fanatiker“ eingestuft.

Das plausibelste Tatmotiv sei „Hass auf christliche Religionsgemeinschaften“, heißt es laut einer Mitteilung des Magazins „Der Spiegel“ vom Dienstag in der Analyse des Extremismusforschers Peter Neumann für die Hamburger Polizei.

Hinweise auf geplante Attentate fänden sich in dem rund zweieinhalb Monate vor der Tat veröffentlichten Buch allerdings ebenso wenig wie Gewaltaufrufe, sagte Neumann dem „Spiegel“. Es sei daher kein „Manifest“, wie es Täter in ähnlichen Fällen schon hinterlassen hätten. Ohne Kenntnis der späteren Ereignisse sei es sogar unmöglich, daraus auf einen bevorstehenden Angriff auf Zeugen Jehovas zu schließen. Die Religionsgemeinschaft komme in dem Buch von F. gar nicht vor.

F. hatte vor etwa eineinhalb Wochen während eines Gottesdiensts in einer Hamburger Gemeinde der Zeugen Jehovas sieben Menschen und anschließend sich selbst erschossen. Er hatte nach Angaben der Ermittlungsbehörden bis vor etwa eineinhalb Jahren selbst zu der Gemeinde gehört, verließ diese aber unter nicht abschließend geklärten Umständen. Neun Menschen wurden bei der Tat verletzt.

Täter hatte 300-seitiges Pamplet veröffentlicht

Im Dezember hatte F. im Selbstverlag ein rund 300-seitiges Buch mit dem Titel „Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan“ veröffentlicht, in dem er laut Medienberichten apokalyptische Ansichten und quasi-religiöse wirre Thesen ausbreitete. Wegen dieses Buchs stehen auch die Hamburger Behörden unter Druck.

F. war Sportschütze und besaß die Tatwaffe legal. Einige Wochen vor der Tat war bei der Waffenbehörde ein anonymer Hinweis auf F. eingegangen, der sich maßgeblich auf Besorgnis wegen des Buchs stützte.

Eine Internetsuche von Beamten führte laut Behörden aber nicht zu dem über eine Verkaufsplattform vertriebenen Buch, bei einer waffenrechtlichen Zuverlässigkeitskontrolle in F.s Wohnung wurden keine größeren Verstöße festgestellt.

Neumann zufolge macht die Untersuchung des Buchs deutlich, dass F. Wut auf christliche Religionsgemeinschaften empfunden habe, weil sie Gläubigen seiner Meinung nach „die Wahrheit“ vorenthielten.

Rückschlüsse auf rechtsextreme Gesinnungen oder frauenfeindliche Motive ließen sich dagegen nicht ziehen, schrieb der in London lehrende Experte für Terrorismus und Extremismus laut „Spiegel“ in seinem elfseitigen Gutachten für die Polizei in der Hansestadt.

Die Ermittler stufen das Verbrechen vom 9. März als Amoklauf ein, wobei das Motiv nach ihren Angaben bislang nicht abschließend geklärt ist. Sie halten nach früheren eigenen Angaben ein Verbrechen aus „Hass“ gegen die Zeugen Jehovas für möglich, ermitteln aber auch in andere Richtungen.

Unklar ist zudem, ob F. psychisch krank gewesen sein könnte. Entsprechende Hinweise gab es in dem anonymen Hinweis, es gab aber keine offizielle ärztliche Diagnose. (AFP)

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