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Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wirbt im Bundesrat für eine Zustimmung zu seinen Energieplänen.

© Fotostand

Putins Krieg erzwingt Tag der Entscheidungen: Habecks Zumutungen und zwei Nato-Beitritte im Eilverfahren

Selten gab es so große und wichtige Entscheidungen vor der politischen Sommerpause. Alles eine Folge der Zeitenwende. Doch reicht das? Ein Überblick.

Robert Habeck macht aus seinem Dilemma keinen Hehl. „Das ist ein Gesetzespaket voller Zumutungen“, betont der Wirtschaftsminister vor den Ministerpräsidenten im Bundesrat. Der Konsens, den es im Moment gebe, der werde in der zweiten Jahreshälfte noch einmal strapaziert werden. „Was die Preise angeht, was aber auch den Ausbau von erneuerbaren Energien und Leitungen angeht.“

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Der russische Präsident Wladimir Putin habe aber die europäische Friedensordnung zerstört. „Er benutzt Energie als Waffe, die fossilen Rohstoffmärkte explodieren wegen Putin. Dieses Paket ist eine Antwort auf diese Aggression.“

Selten hat es so eine Fülle tiefgreifender Entscheidungen vor einer parlamentarischen Sommerpause gegeben, die alle mit der von Putin heraufbeschworenen militärischen und ökonomischen Zeitenwende zusammenhängen.

Das Zittern vor dem Gas-Stopp

Wegen der Drosselungen der Lieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 und dem befürchteten längerfristigen Lieferstopp ab kommender Woche haben Bundestag und Bundesrat den Weg dafür freigemacht, mehr Kohlekraftwerke zur Stromerzeugung zu nutzen. Auch solche, die schon vom Netz gegangen sind.

Ziel ist es, so Gas einzusparen und einzuspeichern. Gleichzeitig werden staatliche Hilfen für angeschlagene Energieunternehmen wie Uniper erleichtert, der Konzern ist besonders stark im russischen Erdgasgeschäft aktiv und muss nun für sehr viel Geld das Gas woanders einkaufen.

Kurz nach dem Beschluss von Bundestag und Bundesrat für eine Reform des Energiesicherungsgesetzes hat Uniper staatliche Hilfe angefordert, befristet könnte der Bund einsteigen. Der Gasimporteur schlägt zudem vor, Preissprünge an Kunden weitergeben zu können.

Als Option kann ein Umlagesystem geschaffen werden, damit die gestiegenen Einkaufspreise gleichmäßiger an Kunden weitergegeben werden können – aber die Bundesregierung versucht das wegen der ohnehin erheblichen Preissteigerungen zu vermeiden. Uniper spielt eine zentrale Rolle für die deutsche Energieversorgung und beliefert viele Stadtwerke.

Zeitenwende zulasten des Klimas?

Gerade für die Grünen ist es schmerzhaft, aber sie stemmen sich mit aller Macht gegen einen weiteren Hebel, die Verlängerung der Laufzeiten der letzten drei Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland, die trotz der neuen Lage planmäßig Ende des Jahres vom Netz gehen sollen.

„Wir rufen die Gasersatz-Reserve ab, sobald das Gesetz in Kraft getreten ist“, hat Habeck angekündigt. „Das bedeutet – so ehrlich muss man sein – dann für eine Übergangszeit mehr Kohlekraftwerke. Das ist bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwendig, um den Gasverbrauch zu senken. Wir müssen und wir werden alles daransetzen, im Sommer und Herbst so viel Gas wie möglich einzuspeichern.“

Die Gasspeicher müssten zum Winter voll sein. Kanzler Olaf Scholz (SPD) betont, auch die verbliebenen drei Atomkraftwerke sollen im Sommer möglichst viel Strom produzieren, um den Gasverbrauch massiv zu senken. Denn das soll auch die massiven Preissprünge etwas mildern.

Aber das Hochfahren zusätzlicher, besonders klimaschädlicher Kohlekraftwerke ist nicht so einfach. Der Kraftwerksbetreiber Leag sieht derzeit noch große Fragezeichen für sein Braunkohlekraftwerk in Jänschwalde, eines der größten in Europa. „Es sind Hürden da, die wir nicht so einfach überwinden können“, sagt ein Sprecher der Lausitz Energie Kraftwerke AG (Leag).

Dabei gehe es um Emissionsvorgaben, die für die Kraftwerksblöcke nicht in der notwendigen Zeit erfüllt werden könnten, daher müsse der Bund eine Ausnahmeregelung für die Braunkohle treffen. „Wenn wir im Herbst zur Verfügung stehen sollen, kriegen wir es nicht ohne Ausnahmegenehmigung hin.“ Eine technische Nachrüstung sei bis zum Herbst nicht zu schaffen.

Das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde soll helfen, russisches Gas zu ersetzen.
Das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde soll helfen, russisches Gas zu ersetzen.

© Patrick Pleul/dpa

80 Prozent Ökostrom und Energiesparen

Im Bereich der erneuerbaren Energien wurde ein umfangreiches Gesetzespaket für einen schnelleren Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sonne gebilligt. Der Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms soll bis 2030 auf mindestens 80 Prozent gesteigert werden, derzeit liegt er knapp unter 50 Prozent.

Dafür sollen zwei Prozent der gesamten Bundesfläche an Land für Windräder ausgewiesen werden – mehr als eine Verdoppelung. Aber mehrere Bundesländer sperren sich bisher dagegen und setzen auf große Abstandsflächen zwischen Windrädern und Wohnsiedlungen, daher ist hier die Umsetzung noch völlig offen.

Habecks Ministerium spricht von der „größten energiepolitischen Novelle seit Jahrzehnten“. Die erneuerbaren Energien lägen künftig im öffentlichen Interesse und dienten der öffentlichen Sicherheit. „Das ist entscheidend, um das Tempo zu erhöhen“, so Habeck.

Den Bundesrat passierten insgesamt fünf Gesetzesnovellen zum Ausbau der Ökoenergie, neben den Flächenzielen für die Windkraft an Land und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren sehen Änderungen des Energiewirtschaftsrechts den schnelleren Ausbau von Stromnetzen und Elektroladesäulen und eine stärkere Kontrolle der Kraftstoffpreise vor.

Zudem wird bundesweit mit Blick auf den Winter und die Heizsaison an Vorgaben für Energieeinsparungen gearbeitet, Habeck nimmt da auch die Länder in die Pflicht. „Da ist auch auf der Landesebene etwas möglich, vielleicht sogar in der Summe mehr als auf Bundesebene.“ Er fordert etwa, die Heizvorschriften der öffentlichen Gebäude zu prüfen.

Freut sich über das Votum für den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht.
Freut sich über das Votum für den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht.

© Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Der Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands

Neben den ökonomischen und energiepolitischen Herausforderungen wurde von Bundestag und Bundesrat am Freitag auch eine politische Antwort in Richtung Moskau gegeben. Als einer der ersten der 30 bisherigen Nato-Mitgliedsstaaten hat Deutschland die Aufnahme Finnlands und Schwedens in das Bündnis ratifiziert.

Für die Nord-Erweiterung votierten im Bundestag SPD, Grüne, FDP und Union. Die AfD-Fraktion stimmte weitgehend zu, die Linke dagegen. Anschließend billigte auch der Bundesrat, die Kammer der Bundesländer, den Beitritt.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) betonte, Putin habe mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine bislang genau das Gegenteil dessen erreicht, was er eigentlich wollte. „Der Westen, den er so verachtet, wird stärker, nicht schwächer“. Über lange Zeit seien Finnen und Schweden überzeugt gewesen, dass gerade die Neutralität ihre Sicherheit garantieren würde. Finnland hat eine 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland.

Lambrecht betonte, mit der Aufnahme der beiden EU-Staaten in die Allianz verschiebe sich das Kräfteverhältnis: „Europas Kraft wird größer, und die USA werden entlastet.“ Damit die Aufnahme vollzogen ist, muss die Ratifizierung in allen Nato-Staaten erfolgen.

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