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Angriff. Prorussische Kämpfer an einem ihrer Kontrollposten in der Nähe der Stadt Slowjansk.

© AFP

Ukraine: Freiwillige an die Front

An den Kämpfen in der Ostukraine beteiligen sich immer mehr Freiwillige. Beim Kiewer Freiwilligenbataillon „Donezk“ sollen mittlerweile etwa 1200 Männer unter Waffen stehen.

Kaum ein Abend vergeht, an dem die ukrainischen Fernsehsender nicht irgendeine Einheit freiwilliger Kämpfer im Einsatz im Osten der Ukraine zeigen. Unterschiedliche Einheiten stehen sich dort gegenüber, bei einigen ist nicht klar, wen sie bekämpfen.
Beim Freiwilligenbataillon „Donezk“ sollen mittlerweile etwa 1200 Männer unter Waffen stehen. In einem großen Militärcamp bei Kiew werden die angehenden Soldaten für ihren Einsatz im Osten vorbereitet. „Dort erwartet sie eine neue Art von Krieg“, beschreibt Semen Sementschenko, Kommandeur des Bataillons „Donezk“, die Aufgabe. Alleine bei seinem Stützpunkt würden sich täglich 100 bis 150 Männer melden. Nach einem Gesundheitscheck blieben die meisten gleich da und würden ausgebildet. Sementschenko stammt aus Donezk, wurde aber in Russland geboren, jetzt „ist er Soldat der Ukraine“, wie er sagt.
Wie die meisten Freiwilligenheere würde auch seine Truppe „ausschließlich für das Vaterland kämpfen“, beteuert Sementschenko zwar. Doch gibt es Hinweise darauf, dass der Gouverneur von Dnipropetrowsk, der Oligarch Igor Kolomoiskij, Hauptfinanzier des Bataillons „Donezk“ ist. In den seit Wochen schwer umkämpften Städten Slowjansk, Donezk oder Kramatorsk stehen die jungen Ukrainer oft kampf- und kriegserfahrenen Männern gegenüber. Vor allem die Kämpfer der prorussischen Einheit „Wostok“ (Osten) und „Oplot“ (Bollwerk) stammen zu 80 Prozent nicht aus der Ukraine, sondern aus Russland und anderen GUS-Staaten.
Die Gegner des Bataillons „Donezk“ und der Nationalgarde der Ukraine sind Freiwilligenverbände wie die „Armee des Südostens“ und die „Russisch-Orthodoxe Armee“. Die Anführer der beiden Gruppen stammen aus Russland. Igor Girkin (Kampfname: „der Schütze“) ist russischer Staatsbürger und Militärstratege. Alexander Borodaj, Ministerpräsident der selbst ernannten „Volksrepublik Donezk“, hat ebenfalls die russische Staatsangehörigkeit. Beide Männer waren nachweislich an der Besetzung der Krim durch russische Streitkräfte beteiligt und sind nach dem Anschluss der Halbinsel an Russland direkt in den Osten der Ukraine abkommandiert worden.

Verdacht gegen Janukowitsch-Vertrauten

Unter den prorussischen Einheiten in der Ostukraine finden sich reihenweise Mitarbeiter des ukrainischen Innenministeriums, ehemalige Elitesoldaten und Polizeikräfte, die bis zum Sturz von Viktor Janukowitsch dem ehemaligen Staatschef eng verbunden waren. Janukowitsch und seine Partei haben den Donbass fast 15 Jahre lang kontrolliert. Beobachter vermuten, dass der Ex-Präsident aus seinem Exil im russischen Rostow am Don einen Teil der Separatisten bezahlt.
Unter den Janukowitsch-Vertrauten ist auch der Parlamentsabgeordnete und Fraktionschef der ehemaligen Regierungspartei „Partei der Regionen“, Alexander Jefremow. Der Politiker stammt aus Lugansk, seit Wochen sieht er sich Gerüchten ausgesetzt, wonach er einen Teil der Separatisten steuern würde. Unter anderem wird ihm Sabotage am Lugansker Flughafen vorgeworfen. Der Airport ist derzeit geschlossen, weil wichtige technische Anlagen zerstört wurden. Diesen Angriff soll Jefremow angeordnet haben.
Unterdessen drohte in Moskau der Chef der Ermittlungsbehörde bei der russischen Generalstaatsanwaltschaft, Alexander Bastrykin, dass die Verantwortlichen nach den Kriegsverbrechen in der Ostukraine zur Rechenschaft gezogen würden. „Wir werden sie selbst auf dem Meeresgrund finden“, sagte Bastrykin. Bei der Generalstaatsanwaltschaft besteht seit Ende Mai eine Sonderabteilung, die sich auch mit verbotenen Mitteln und Methoden der Kriegsführung befasst. Nach deren Erkenntnissen setzt die ukrainische Nationalgarde, in der auch Paramilitärs der radikalnationalistischen Bewegung „Rechter Sektor“ kämpfen, in der Ostukraine Mehrfachraketenwerfer vom Typ „Grad“, Haubitzen und mobile Mörser ein. In Lugansk und Slowjansk liegen, wie in Reportagen russischer TV-Sender zu sehen ist, bereits ganze Straßenzüge in Trümmern.
Der neue Präsident Petro Poroschenko will einen Waffenstillstand, mehrfach hat er das angekündigt. Derzeit wird versucht, einen Dialog mit allen Beteiligten zu beginnen. Poroschenko will nun auch mit den Separatisten verhandeln, fraglich ist nur, ob die Gegenseite gesprächsbereit ist. Allerdings funktioniert der von Poroschenko zugesagte Korridor, über den Zivilisten die umkämpften Gebiete verlassen können, bisher nicht. Bei den Kämpfen starben bereits hunderte Menschen, tausende suchten in Russland Zuflucht. Der Westen, rügt der einflussreiche russische Außenpolitikexperte Lukjanow, ignoriere das und hoffe offenbar, Russland werde sich provozieren lassen.

Russlands Außenminister Sergei Lawrow versuchte daher am Mittwochabend in einem Telefonat seinen US-Amtskollegen John Kerry dafür zu gewinnen, gemeinsam Bedingungen für eine Feuereinstellung und die Lösung akuter humanitärer Probleme auszuhandeln. Dabei wies er erneut auf die „große Bedeutung direkter Verhandlungen der verfeindeten Seiten“ hin, wie es in einer Mitteilung des Moskauer Außenamtes hieß.

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