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Das „Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser“ will die Bildsprache beim Thema Häusliche Gewalt ändern: Der Tagesspiegel hat entschieden, eines der Fotos zu drucken.

© Celina Löschau / Neue Schule für Fotografie Berlin / Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser (NbF e.V.)

Frauenhäuser am Limit: „Wir erleben eine große Verzweiflung, weil es viel zu wenig Plätze gibt“

Seit Jahren steigt die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt. Die Sozialwissenschaftlerin Maren Küster sagt, das liege auch an einer „ganz großen gesellschaftlichen Ignoranz“.

Jedes Jahr gibt es neue, erschreckende Zahlen zu häuslicher Gewalt. Wie kann es denn sein, dass trotzdem so wenig passiert, um sie zu bekämpfen?
Die Zahlen steigen kontinuierlich, sie bilden aber nur ein Hellfeld ab. Ob die Zahlen auch im Dunkelfeld steigen, wissen wir nicht, aber ganz klar gibt es ein Problem. Wir haben eine gesellschaftliche Kultur, die immer noch in alten Rollenbildern verhaftet ist und nicht wahrhaben will, dass es strukturelle Gewalt gegen Frauen in Partnerschaften gibt, also patriarchale Verhältnisse.

Warum nimmt unsere Gesellschaft hin, dass Gewalt gegen Frauen ausgeübt wird? In den vergangenen Jahren hat sich doch gesellschaftlich viel verändert.
Studien zeigen leider das Gegenteil. Deutschland ist nicht so progressiv, wie es gern wäre. In unserer Gesellschaft nehmen manche Männer in einer Partnerschaft an, dass sie die Frau kontrollieren dürfen und dann auch Gewalt einsetzen dürfen, wenn sie sich nicht so verhält, wie sie meinen, dass sie sich verhalten sollte. Wir wissen, dass der gefährlichste Moment der ist, in dem eine Frau versucht, den Mann zu verlassen. Dann können auch Femizide passieren. 

Femizide sind Morde an Frauen, die geschehen, weil sie Frauen sind. Meist kommt der Begriff im Zusammenhang mit Gewalt gegen Frauen in anderen Ländern vor, selten wird er mit Deutschland in Verbindung gebracht. 
Wir haben eine ganz große gesellschaftliche Ignoranz. Wenn wir uns die Medienberichterstattung anschauen, wird oft über ein Familiendrama oder eine Tragödie gesprochen. Als ob etwas ganz erschreckend und plötzlich geschehen sei. In den allermeisten Fällen aber gibt es die Gewaltstrukturen in der Beziehung schon lange, oft ist die Gewalt Behörden sogar bekannt. Aber es passiert nichts, weil es als privates Problem gilt. 

Warum ist es für betroffene Frauen so schwer, sich aus gewalttätigen Beziehungen zu lösen?
Häusliche Gewalt ist ein System von verschiedenen Gewaltformen, wovon physische Gewalt, das klassische blaue Auge, nur der sichtbarste Teil ist. Dahinter steht vor allem der Wille des Mannes zur Kontrolle und Macht. Oft isoliert er die Frau. Er sagt zum Beispiel, ich mag deine Freundinnen nicht, lass uns doch zu Hause bleiben. So fängt es an. Dann verliert die Frau Freunde, die sie zum Beispiel in dem Gefühl, dass etwas an der Beziehung nicht richtig ist, bestärken könnten. Der Blick von außen auf die Manipulation fehlt.

Jede von uns kennt garantiert eine Person oder mehr, die Täter sind.

Maren Küster, Mitarbeiterin des Netzwerks der brandenburgischen Frauenhäuser

Was erleben Sie, wenn die Frauen bei Ihnen in den Frauenhäusern ankommen?
Wir erleben eine große Verzweiflung, weil es viel zu wenig Plätze für betroffene Frauen gibt. Oft müssen Frauenhäuser betroffenen Frauen sagen, dass sie sie gerade nicht aufnehmen können. Dann telefonieren sie herum und schauen, ob es an einem anderen Ort einen Platz gibt. Das sind aber nur Notlösungen. Eigentlich dürfte das so nicht sein. 

Was wünschen Sie sich?
Wenn Frauen und Kinder ins Frauenhaus fliehen, bedeutet das, dass sie aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen werden. Wir haben in Deutschland seit zwanzig Jahren das Gewaltschutzgesetz, das hat die Prämisse: Wer schlägt, geht. Das wird aber nicht ausreichend umgesetzt. Wenn es einen Fall von häuslicher Gewalt gibt, in den die Polizei involviert ist, wäre es eigentlich Aufgabe der Polizei, den Täter des Platzes zu verweisen. Dann soll die Frau Zeit haben, zu überlegen, wie sie vorgeht.

Was braucht es, um die Gewalt gegen Frauen effektiv zu bekämpfen? 
Langfristig brauchen wir mehr Prävention: Empowernde Mädchenarbeit kann verhindern, dass Mädchen und Frauen überhaupt in gewaltvollen Beziehungen landen. Vor allem aber müssen wir einen kritischeren Blick auf Männlichkeiten werfen, also wie gewaltvolle Rollenbilder weitergegeben werden. Wir brauchen dringend mehr geschlechterreflektierende Kinder- und Jugendarbeit.

Warum kommen wir da nicht weiter?
Wir haben ganz große Scheuklappen auf, weil es ein Bereich ist, der einen selbst in Frage stellt. Jede dritte Frau ist in ihrem Leben von Gewalt betroffen, jede vierte Frau von partnerschaftlicher Gewalt. Das macht Angst. Jede von uns ist entweder selbst betroffen oder kennt garantiert mindestens eine Person, die Gewalt erfahren hat. Wir kennen aber auch garantiert eine Person oder mehr, die Täter sind. In unserem engsten Umfeld. Da müssen wir alle hinschauen und Verantwortung übernehmen.

Noch immer fehlt der Rechtsrahmen für die Finanzierung von Frauenhäusern. Was erwarten Sie von der Regierung?
 Wir fordern eine bundeseinheitliche Finanzierung, die nicht vom Einzelfall abhängt. Bis jetzt ist das System der Finanzierung von Frauenschutzeinrichtungen ein wahnsinniger Flickenteppich. Es fehlt eine Gesamtstrategie für die Bundesrepublik. Sobald eine Landesgrenze überschritten wird, wird es hoch kompliziert.

Wir brauchen zudem ein anderes Umgangsrecht, weil es immer noch Richterinnen und Richter gibt, die auch bei massiver Gewalt entscheiden, dass die Täter ihre Kinder sehen dürfen. Dann heißt es: Er hat doch nur die Frau geschlagen. 

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