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Andrij Melnyk, ehemaliger Botschafter der Ukraine in Deutschland, appelliert an die Verbündeten seines Landes, in Moskau eine Kompromissbereitschaft des Kreml auszuloten.

© dpa/Michael Kappeler

Forderung nach diplomatischen Initiativen: Ukraines Ex-Botschafter Melnyk löst heftige Debatte aus

Der frühere ukrainische Botschafter Andrij Melnyk wünscht sich geheime Gespräche mit Russland. SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner ist erleichtert, von CDU und FDP kommt harsche Kritik.

Zwei Jahre nach Beginn wird in Deutschland intensiv über eine diplomatische Lösung des Ukraine-Kriegs diskutiert. Auslöser ist ein Appell des früheren ukrainischen Botschafters in Deutschland, Andrij Melnyk, im Tagesspiegel.

Melnyk forderte die Verbündeten der Ukraine auf, in Moskau diskret auszuloten, „ob echte Kompromissbereitschaft besteht“. Man müsse etwa herausfinden, unter welchen Bedingungen und Garantien die Russen bereit wären, aus den besetzten Gebieten abzuziehen. Der 48-jährige Melnyk ist seit 2023 Botschafter der Ukraine in Brasilien.

Vor der UN-Vollversammlung betonte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Freitag die fehlende Verhandlungsbereitschaft von Russlands Präsident Wladimir Putin. Das Leiden könne morgen aufhören, „wenn der russische Präsident jetzt diesen Krieg beenden würde“, sagte sie.

Es sei eine Lüge zu sagen, dass der Westen die Ukraine von Verhandlungen abhalte, betonte Baerbock in einem Gastbeitrag für die „Bild“-Zeitung. „Fakt ist: Seit 731 Tagen arbeiten wir unermüdlich mit unseren internationalen Partnern daran, dass es in der Ukraine endlich wieder Frieden gibt.“

Auch die Ukraine habe in Istanbul mit Russland verhandelt und sei zu Zugeständnissen bereit gewesen – unter der Grundlage, „dass Russland seine Truppen zurückzieht“.

Zustimmung von der SPD

Der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner zeigte sich erleichtert über Melnyks Vorstoß. „Diplomatie hat nichts mit Appeasement zu tun“, sagte er dem Tagesspiegel. Man habe in Deutschland zu viele Entweder-oder-Debatten. Melnyks Äußerungen seien ein Zeichen, dass der bisherige Ansatz, Putin mit neuen Waffenlieferungen an den Verhandlungstisch zu zwingen, gescheitert sei.

Man müsse nun auch andere Wege beschreiten, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. „Ich finde es sehr positiv, wie stark sich Außenministerin Annalena Baerbock für eine friedliche Lösung im Nahen Osten engagiert. In der Ukraine ist das ebenso nötig, auch wenn es dort sicherlich noch schwieriger ist.“ Stegner lobte, dass Melnyk Initiativen des globalen Südens für mehr Diplomatie fordert. „Kanzler Olaf Scholz versucht schon lange, diese zu stärken – trotz teils harscher Kritik der Opposition“, sagte er.

Zugleich forderte Stegner einen Richtungswechsel in der deutschen Debatte: „Die Militarisierung hat stark zugenommen. Wir sehen einen Fieberwahn bis hin zu der Forderung nach Atomwaffen.“ Wer nach den Kosten frage und deshalb vor möglichen Einsparungen im Sozialbereich warne, werde verunglimpft, „obwohl das Ausspielen von äußerer und sozialer Sicherheit erkennbar nur Rechtsaußen-Parteien stärke“.

Diplomatie nur bei mehr Waffenlieferungen

Aus dem Bundestag gab es auch harsche Kritik an Melnyk. Er sei in Brasilien offensichtlich noch nicht zu voller Bedeutung gereift, „so dass er auch weiterhin in Deutschland Interviews geben muss“, sagte der FDP-Außenpolitiker Ulrich Lechte dem Tagesspiegel. Melnyk hasche nach Schlagzeilen und verschweige, dass die Diplomatie im Hintergrund weitergehe, um Russland zum Beenden der Kampfhandlungen zu bringen. „Dennoch bedarf es derzeit eher an Ausrüstung, Munition und Waffen für die ukrainischen Soldaten an der Front.“

Auch der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter zweifelte am Sinn von Friedensverhandlungen. Russland führe den Krieg gegen die Ukraine nicht seit zwei, sondern seit zehn Jahren. Die Friedensverhandlungen Minsk 1 und 2 nach der Annexion der Krim und der Besetzung des Donbass „haben Russland nur gestärkt und den brutalen Angriff seit 24. Februar 2022 erst ermöglicht“, betonte Kiesewetter.

Wir brauchen diplomatische Bemühungen, den Ukraine-Krieg zu beenden.

Anton Hofreiter, Ukraine-Experte der Grünen

In der öffentlichen Förderung nach Verhandlungen sieht Kiesewetter eine Schwächung der Ukraine. „Denn genau das zeigt Russland, dass es auf dem Weg ist, die gesamte Ukraine zu vernichten.“ Kiesewetter ist überzeugt, dass Putin gar nicht verhandeln will, denn für ihn laufe es gut. Gespräche im Hintergrund seien allerdings dennoch nötig, allein um die Rückkehr nach Russland verschleppter ukrainischer Kinder zu ermöglichen.

Putin zum Frieden zwingen

Der Ukraine-Experte der Grünen, Anton Hofreiter, verteidigte hingegen Melnyk. „Wir brauchen diplomatische Bemühungen, den Ukraine-Krieg zu beenden“, sagte er. „Der große Irrtum in Deutschland ist, dass wir Diplomatie als Alternative zu militärischem Druck sehen.“ Nötig sei beides. „Nur, wenn Putin unter Druck steht, wird er einem Frieden zustimmen.“

Ein Frieden mit Gebietsabtritten der Ukraine schloss Hofreiter allerdings – ebenso wie Melnyk – aus. „Eine solche Belohnung des Aggressors wäre ein fatales Signal für die Weltordnung“, sagte Hofreiter. „Vor allem aber würde Putin die Ukraine nach kurzer Zeit erneut angreifen“. Hofreiter sieht bei diesem Szenario zudem die Gefahr, dass Putin als Nächstes ein Nato-Land angreift.

Für Hofreiter sind Melnyks Aussagen vor allem ein Appell an den globalen Süden, Russland zum Frieden zu drängen.

Widersprüchlich findet Melnyks Vorschlag der grüne Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer. „Russland ist derzeit militärisch in der Offensive“, sagte er. Eine diplomatische Mission, die Russland auffordert, sich zurückzuziehen, sei deshalb derzeit aussichtslos. Man dürfe nicht den öffentlichen Eindruck zulassen, „die Diplomatie sei ein Weg zum Frieden, solange der Aggressor weiter in der Offensive ist.“

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