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Kirchenbesucher nehmen in der Leonhardskirche in Stuttgart an einem öffentlichen Segnungsgottesdienst teil.

© dpa/Christoph Schmidt

Massiv Kirchenaustritte: Evangelische Kirche verliert 2022 fast drei Prozent ihrer Mitglieder

Die Zahl der Taufen nahm zuletzt wieder zu, doch der Mitgliederverlust der evangelischen Kirche steigt weiter an. Auch in Berlin und Brandenburg.

Diese Zahlen sind katastrophal. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat 2022 fast drei Prozent ihrer Mitgliedschaft verloren. Insgesamt gehören nur noch 19,1 Millionen Menschen einer der 20 evangelischen Landeskirchen an.

Vor allem die Zahl der Kirchenaustritte ist massiv gestiegen: Sie lag 2022 mit 380.000 Menschen um ein Drittel höher als im Jahr 2021 – und übertrifft erneut die Zahl der Todesfälle unter den Mitgliedern, die bei 365.000 lag.

Einen deutlichen Anstieg gab es bei der Zahl der Taufen, die bei 165.000 lag, und wieder das Niveau der Vor-Corona-Jahre erreicht hatte, während die Zahl der Wiedereintritte konstant bei 19.000 lag.

In der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) sehen die Werte nicht besser aus: Die Mitgliederzahl der EKBO sank von 862.000 Protestanten in Berlin, Brandenburg und Ostsachsen im Jahr 2021 überproportional um 3,4 Prozent auf 833.000 im vergangenen Jahr.

24. Juni soll bundesweiter Tauftag sein

„Die jüngste Entwicklung der Mitgliedschaftszahlen ist bedrückend, nicht zuletzt für alle, die sich haupt- und ehrenamtlich in der evangelischen Kirche engagieren“, sagte die Ratsvorsitzende der EKD, Anette Kurschus. „Sie ist zugleich aber auch der Auftrag, die Hoffnungsbotschaft des Evangeliums noch stärker ins Zentrum zu rücken und auf sie zu setzen.“

Deswegen soll der 24. Juni in diesem Jahr als bundesweiter Tauftag gefeiert werden: Unter dem Hashtag „#deinetaufe“ lädt die evangelische Kirche an diesem Tag zu Tauffesten und Taufgottesdiensten ein, die sich nach EKD-Angaben auch an Menschen richten sollen, die während der Corona-Jahre keine Gelegenheit hatten, Taufe zu feiern. Dennoch bekannte der evangelische Landesbischof Christian Stäblein am Dienstag, dass ihn jeder einzelne Austritt „schmerze“.

Aber warum laufen der Kirche die Menschen eigentlich in Scharen davon? Kurschus zitierte am Dienstag eine Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, wonach eine „Kosten-Nutzen-Abwägung“ der Kirchenmitglieder dabei eine wesentliche Rolle spiele.

Die Antworten der EKD wirken hilflos

Tatsächlich hatte auch der jüngst vorgestellte Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung ergeben, dass Religion bei der Bewältigung der Corona-Krise kaum eine Rolle spielte. Die Menschen wissen nicht mehr, warum sie überhaupt in der Kirche bleiben und Kirchensteuern zahlen sollen.

Annette Kurschus, Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei Anne Will.

© action press/Müller-Stauffenberg

Doch die Antworten der EKD darauf wirken hilflos: „Neben der Schaffung passgenauer Angebote für alle Generationen und Lebensphasen, muss es uns gelingen, auch den Wert deutlich zu machen, den die formelle Mitgliedschaft für unsere Gemeinschaft auf so vielen Ebenen, in der Stadt und auf dem Land und für die Gesellschaft insgesamt hat“, sagte Kurschus.

Solche Formulierungen verwenden die jeweiligen EKD-Ratsvorsitzenden schon seit vielen Jahren, und zwar immer dann, wenn sie ihre Mitgliederzahlen veröffentlichen.

Doch das ganze restliche Jahr über redet in der Kirche kaum jemand über das Thema Mitgliedschaft. Evangelische Synoden beschäftigen sich derzeit lieber mit Konzepten zum Kampf gegen den Klimawandel und Diskussionen zur Friedensethik, als sich darüber Gedanken zu machen, wie man Mitglieder halten und werben kann.

Ohne die gottesdienstlichen und gemeindlichen Angebote wäre das gesellschaftliche Klima ein anderes.

 Ratsvorsitzende der EKD, Anette Kurschus

Es ist lange her, dass ein Berliner Kirchenkreis auf eigene Initiative eine eigene Kampagne mit dem Slogan „Willkommen in der Kirche“ startete und die EKD mit Plakaten darauf aufmerksam machte, dass jedes Pfarramt eine Kircheneintrittsstelle sei. Immerhin, es gibt einige Überlegungen dazu, wie es weitergehen kann. Die Landesbischöfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, spricht sich schon seit einigen Jahren dafür aus, über neue Formen der Kirchenmitgliedschaft nachzudenken.

Und in mehreren Landeskirchen gibt es neuerdings „Kasualagenturen“: Wer die Bindung an eine Kirchengemeinde scheut, kann bei teils sehr spontanen Gottesdiensten eine Taufe oder Trauung erhalten. Da gibt es dann die spontane Taufe auf dem Alsterdampfer oder die „Trauung to Go“ am Valentinstag.

Ob das allerdings tatsächlich dazu führt, dass sich Menschen mit ihrer Kirche verbunden fühlen, oder ob nicht gerade solche Angebote langfristigen Bindungen entgegenwirken, ist derzeit noch eine offene Frage.

„Ohne Seelsorge und Diakonie und ohne die gottesdienstlichen und gemeindlichen Angebote in den rund 20.000 Kirchen und Kapellen wäre das gesellschaftliche Klima ein anderes“, sagte Kurschus am Dienstag. Doch gehen die Kirchenaustritte unvermindert weiter, wird man schon in zehn Jahren die Wahrheit hinter dieser Thesen sehen können.

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