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Politik: Drei Wünsche an den Comandante

Ihr Präsident wird heute 80 – die Kubaner überleben seit Jahrzehnten nur mit Tricks, Beziehungen und genauer Kalkulation

Seit sechs Uhr früh sitzt José auf seinem Mopedtaxi und kutschiert Kunden durch Havanna. Inzwischen ist es neun Uhr abends, die drückende Hitze des Tages weicht einer schwülen, moskitoverseuchten Tropennacht. Doch noch hat José die 35 konvertiblen Peso CUC (entspricht in etwa 35 Euro) nicht zusammen, die er jeden Tag an den Staat abliefern muss.

Andernfalls drohen ihm Sanktionen oder gar der Lizenzentzug. Deswegen wartet er noch immer vor dem Hotel Nacional auf Kundschaft, und wir kommen ihm gerade recht. Doch die Fahrt durch die schlaglochübersäten, finsteren Gassen Havannas wird für alle Beteiligten zur Tortur. Das Motorrad knattert ohrenbetäubend und schafft die Steigungen nur mühsam. José ist der Auspuff kaputt gegangen, mangels Ersatzteilen hat er ihn nicht reparieren können.

Als wir ankommen, zeigt er uns seine verrußten Hände. „Es tut mir leid, aber so ist Kuba. Ich bin jetzt 42, habe Ingenieurwissenschaften studiert, und schau, wo ich heute bin“, sagt er mit gebrochener Stimme. Er fährt Taxi, um an Devisen zu kommen, und träumt vom Reisen. „Ich war noch nie weg von hier, selbst wenn ich das nötige Geld dafür hätte, bekomme ich keine Ausreiseerlaubnis.“

Vom Staat wird José mit 350 kubanischen Pesos monatlich entlohnt, umgerechnet 14 Euro. Jedes Essen in einem der schön restaurierten Staatsrestaurants in der Altstadt kostet mehr. Das Gehalt reicht gerade so fürs Nötigste: Essen, Wasser und Transport. Grundnahrungsmittel bezieht er wie alle Kubaner in den staatlichen Lebensmittelläden „bodegas“ gegen Lebensmittelkarten, die so genannten „libretas“. Ausländischen Besuchern fallen die „bodegas“ vor allem durch ihre fast leeren Regale auf. Viele Dinge sind seit Monaten nicht geliefert oder von Schwarzmarkthändlern abgezweigt worden. Auch wenn es das tägliche Brötchen pro Person, die zweieinhalb Kilogramm Reis, dreieinhalb Kilo Zucker, 500 Gramm Bohnen, einen halben Liter Öl, sieben Eier, 500 Gramm Huhn, die Tube Zahncreme, die Seife und 200 Gramm Kaffee pro Monat und Person wirklich gibt, reicht das nicht für eine Familie. Gemüse, Gewürze und Obst müssen sie sich auf privaten Bauernmärkten besorgen oder über Bekannte.

Josés wichtigste Einkunft ist daher das Trinkgeld der Touristen und die Provision, die er einsteckt, wenn er sie in einen Paladar – ein privates Restaurant im Wohnzimmer einer kubanischen Familie – oder in eine Privatunterkunft lotst. Gerne hätte er selber ein Restaurant oder eine Unterkunft aufgemacht, aber seit einiger Zeit ist es nahezu unmöglich, die Papiere dafür zu bekommen. Außerdem wohnt José mit Frau und Kind in einem gesichtslosen Betonblock etwas außerhalb des Stadtzentrums, wohin sich kaum ein Tourist verirrt. Aber bei seinem Bekannten Edelberto ist noch Platz in einem Kolonialhaus in der Altstadt: 40 CUC kostet die Nacht in dem stickigen Hinterzimmer, das dessen Bruder für Touristen räumt. Jeden Monat 260 CUC muss Edelberto dem Staat Lizenzgebühren bezahlen – ob er die Bude voll hat oder nicht. „Das ist manchmal sehr schwierig“, schildert der freundliche Mulatte, der zu den Privilegierten auf Kuba gehört. Die überdimensionale Stereoanlage und der moderne Fernseher zeugen davon. Auf dessen Bildschirm zeigt gerade einer der vier staatlichen Kanäle alte Karikaturen aus dem früheren Ostblock. Will Edelberto CNN sehen, geht er zu einem Nachbarn – der hat auf seinem Dach eine selbst gebastelte Satellitenschüssel installiert, die die nur für die umliegenden Hotels bestimmten Signale der ausländischen Kanäle einfängt.

Über die Ferien ist Edelbertos Schwester aus Santiago de Cuba angereist. Weil sie sich die 100 kubanischen Pesos für den Inlandsflug nicht leisten konnte und der Zug ausgebucht war, reiste sie „auf kubanisch“; sie stellte sich an den Straßenrand und wartete auf eine Mitfahrgelegenheit. Drei Tage war sie unterwegs, verbrachte Nächte auf Lastwagen, wurde vom Platzregen bis auf die Haut durchnässt und wartete stundenlang am Straßenrand in der Hitze auf ein Fahrgelegenheit. Trotzdem ist sie froh, in der Hauptstadt zu sein. „Hier ist das Leben wesentlich besser als in der Provinz“, sagt sie.

Das Warenangebot in Havanna ist größer als auf dem Land. Aber die Preise auf den Bauernmärkten und in den staatlichen Devisenläden kann nur jemand bezahlen, der im Tourismus arbeitet oder dank ausländischer Verwandter über Devisen verfügt. So kostet auf dem Bauernmarkt ein Pfund Reis statt 24 Centavos sechs Peso. Für eine Flasche Tomatenpüree muss man 15 Peso zahlen.

Seit 1991 stellt der Staat keine verbilligte Kleidung, Bettwäsche, Handtücher und Haushaltsartikel mehr zur Verfügung. Eine Hose kostet nun 200 kubanische oder 50 konvertible Peso, ein paar Schuhe zwischen 80 und 150 konvertible Pesos. „Das ist eine Ausgabe, die gut kalkuliert sein muss“, sagt Edelbertos Schwester. Vor kurzem wurden noch die Strompreise erhöht. Diesen Monat flatterte ihr eine Rechnung über 450 Pesos ins Haus. „Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wie ich das bezahlen soll“, klagt sie. Hätte sie drei Wünsche an Fidel Castro frei, würde sie ihn um Reise- und Informationsfreiheit bitten, und darum, dass er den Kubanern mehr Raum für Eigeninitiative lässt, ohne sie mit Lizenzen, Steuern und Spitzeln zu schikanieren.

Jessica Müller[Havanna]

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