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Jens Spahn hat mit einem einzigen Wort Wirbel bei Schulen, Eltern und Kindern ausgelöst.

© John Macdougall/REUTERS

Wie weiter nach den Sommerferien?: Die Angst vor der Wiederholung alter Fehler

Dass ein Wort Unruhe auslösen kann, erfuhr Jens Spahn, als er "Wechselunterricht" sagte. Die Debatte über Schule passt nicht zur realen Lage. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Gerd Appenzeller

Jens Spahn, der Gesundheitsminister, benutzte das Wort bei einer Online-Diskussion. Da ging es auch um die Frage, was nach den Sommerferien an Maßnahmen denkbar sei, sollten die Inzidenzen wieder in die Höhe gehen. Neben den üblichen Schutzmaßnahmen, Maske tragen, Abstand wahren, Testen, nannte er den Wechselunterricht. Im Nachhinein war er wohl selber erschrocken über das aufgeregte Echo. Er habe nicht dafür plädiert, sondern nur Optionen benannt, stellte er klar. Und Anordnen kann er so etwas ja ohnehin nicht.

„Wechselunterricht“ war über Monate hinweg für Eltern und Kinder ein Zustand, der alle Beteiligten an den Rand des Nervenzusammenbruchs brachte. Nicht ganz so schlimm wie der komplette Digitalunterricht von zu Hause, aber eben doch vertane Zeit. Für Eltern, die ihren Berufen nicht nachgehen konnten. Vor allem aber für die Mädchen und Jungen, die weitgehend des normalen Lebens Heranwachsender beraubt wurden.

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Über die psychischen Folgen der Teilisolation für die jungen Menschen ist viel geschrieben worden. Über Depressionen, jenes Gefühl der Hoffnungslosigkeit, das sich wie eine große, graue, schwere Decke über den Menschen legt. Die Aussetzung des Präsenzunterrichts sollte also nicht erwogen werden, bevor nicht alle anderen Maßnahmen umgesetzt wurden, die als unstrittig gelten. Und vor allem sollten aktuelle Erkenntnisse über die Gefährdung von Schulkindern beachtet werden.?

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Inzwischen sind die Lehrerinnen und Lehrer geimpft. Sie laufen also nicht mehr Gefahr, von infizierten Kindern angesteckt zu werden. Heute weiß man auch, dass Kinder nicht jene Super-Spreader sind, vor denen Großeltern geschützt werden müssten.

„Das Virus ist ein großes Problem – für Erwachsene"

Auch die Kinder selbst sind nicht die Träger des Risikos, wie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gerade Nikolaus Haas, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Intensivmediziner am Klinikum der Universität München erklärte: „Das Virus ist ein großes Problem – für Erwachsene. Wir hätten Schulen nicht schließen und Kinder nicht kasernieren müssen.“ Und er sagte: „Wir müssen allen Kindern klarmachen, dass für sie von Corona keine Gefahr ausgeht.“

Aber wenn die Kinder nicht gefährdet, und die Lehrerinnen und Lehrer geimpft sind: Was soll dann die neuerliche Debatte? Hängt das damit zusammen, dass ungeachtet aller anderen Bekundungen in der Gesamtbevölkerung die Impfquote immer noch nicht groß genug ist, um jene Herdenimmunität zu erreichen, ohne die das Virus nicht besiegt werden kann? Oder sind die Luftfiltergeräte noch immer nicht installiert, die im Hinblick auf die kommende kalte Jahreszeit notwendig sein werden?

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Oder ist es etwas wie der geradezu abenteuerliche Streit zwei Berliner Bezirken, wo Fördermittel zur Anschaffung von Luftfiltern für zwei Kitas nicht beantragt werden, weil die Gelder nicht für alle reichen?

Nach der abenteuerlichen Devise, dass man niemand helfen darf, wenn man nicht allen helfen kann. Feststeht jedenfalls eins: Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass Länder und Kommunen umsetzen, was unstrittig ist, und wir nicht am Ende womöglich nur deshalb wieder beim Wechselunterricht landen, weil an anderer Stelle die Organisation versagte.

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