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Diesmal keine Beitragserhöhung durch die Hintertür. Es bleibt bei der bisherigen Bemessungsgrenze.

© Nicolas Armer/dpa

Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds verzögert: Bei den Krankenkassen wird es eng

Mitten in der Coronakrise hat das Bundesamt für Soziale Sicherung den Krankenkassen Liquidität entzogen. Dabei sind deren Einnahmen um zehn Prozent gesunken.

Im Bundesamt für soziale Sicherung (BAS) liefen die Telefone heiß, weil die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht wie gewohnt flossen. Auch in der zuständigen Fachabteilung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) hagelte es Beschwerden aus den Zentralen gesetzlicher Krankenkassen. Mitten in der Coronakrise hat das Bundesamt den Versicherern Liquidität entzogen. Dabei sind deren Einnahmen im März auch um zehn Prozent gesunken.

Wie kam es dazu? Das BAS ist dafür zuständig, dass die Kassen jeden Monat die ihnen zustehenden Zuweisungen erhalten. 2020 sind es 21 Milliarden Euro, die nach den Regeln des morbiditätsorientierten Finanzausgleichs an die mehr als 100 Kassen Monat für Monat verteilt werden. Dies geschieht in mehreren Tranchen. Rechtlich hat das BAS dazu einen Monat Zeit. Das heißt: Das Geld für April muss Mitte Mai ausgezahlt sein.

In der Praxis hat sich aber seit langem eingebürgert, dass das Amt die Gelder zügig überweist - ganz einfach deshalb, weil es gehalten ist, die Beiträge der Versicherten möglichst kurz auf Girokonten zu lagern, auf denen sie bekanntlich seit einigen Jahren Negativzinsen kosten. Zum ersten Zahlungstermin wird daher in der Regel bereits ein Drittel ausgezahlt. Im März waren das 6,9 Milliarden Euro, ausgeschüttet am 16. des Monats. Die letzte Tranche floss Ende März. Die erste Zahlung für April wurde in einer Mitteilung vom 12. März., die dem Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health vorliegt, für den 16. April angekündigt. Dass diese nicht ganz so hoch ausfallen würde, erfuhren die Kassen jedoch nicht.

Einnahmeentwicklung verzögert Auszahlung bis Mai

Der entsprechende Bescheid kam erst vergangenen Mittwoch, einen Tag vor der geplanten Auszahlung und er hatte es in sich: „Aufgrund der Einnahmenentwicklung des Gesundheitsfonds und zusätzlicher Ausgaben für Ausgleichszahlungen“ werde die Auszahlung der monatlichen Zuweisungen erst im Mai abgeschlossen werden können. Zudem könnten die Zahlbeträge „deutlich von den Vormonatswerten“ abweichen, heißt es darin. Die erste Auszahlung am 16. April werde daher 2,8 Milliarden Euro betragen.

Das BAS hat damit ungerührt und ohne Vorwarnung seine eigenen aktuellen Liquiditätsprobleme an die Krankenkassen weitergereicht. Und das obwohl es, anders als die Kassen, auch Kredite aufnehmen darf.

Dabei wurde nicht bedacht, dass selbst Kassen, die noch über hohe Rücklagen verfügen, einen solchen Verlust fest erwarteter Einnahmen nur schwer verkraften können. Denn auch die Versicherer haben ein umfangreiches Finanzmanagement aufgebaut, um Strafzinsen zu vermeiden. Sie müssen nun in einer extrem angespannten Marktsituation Anlagen zu schlechten Konditionen liquidieren. Außerdem müssen sie einen nicht unerheblichen Teil der Hilfen an Kliniken und andere Leistungsanbieter zur Bewältigung der Corona-Krise überweisen.

Kassen sind gezwungen, Klinikrechnungen ohne Prüfung zu bezahlen 

Während der Fonds aktuell kleinere Tranchen später überweist, wurden die Kassen gerade verpflichtet, Krankenhausrechnungen ohne Prüfung binnen fünf Tagen zu überweisen. Auch einer dieser Beschlüsse, der ihre Finanzplanung über den Haufen geworfen hat Die Liquiditätsreserve, Anfang Januar noch über zehn Milliarden Euro schwer, wurde in der Corona-Krise von der Politik als Eier legende Woll-Milch-Sau auserkoren. Aus ihr werden zum Beispiel die für 2020 auf 2,8 Milliarden Euro geschätzten Ausgleichzahlungen für leer bleibende Krankenhausbetten finanziert. Das Geld soll aus dem Bundeshaushalt erstattet werden, sobald die entsprechenden Nachtragshaushalte verabschiedet sind. Dies gilt auch für die gerade beschlossene Einmalhilfe für Heilmittelerbringer von rund einer Milliarde Euro. Die 1,5 Milliarden Euro für zusätzliche Intensivbetten, die ebenfalls aus der Reserve zu finanzieren, erstattet der Bund dagegen nicht.

Stand 15. April hat das BAS bereits 2,56 Milliarden Euro an die Bundesländer überwiesen, die das Geld an die „antragsberechtigten Krankenhäuser“ verteilen. Ein Klacks, sollte man meinen angesichts der hohen Reserve. Doch dem ist nicht so. Ein Teil des Geldes ist längerfristig angelegt, um Strafzinsen zu vermeiden. Außerdem fließen die Beitragseinnahmen unstet. Die höchsten Einnahmen hat der Fonds im zweiten Halbjahr, wenn die Beiträge von Urlaubs- und Weihnachtsgeld fließen. Im ersten Halbjahr schmilzt die Reserve daher schon immer deutlich zusammenDieses Jahr wegen Corona noch mehr.

Zehn Prozent Einnahmeminus im März

So zahlen Kurzarbeiter – bisher haben 470.000 Betriebe Kurzarbeit wegen des Shutdown angemeldet – bis zu 40 Prozent weniger Beiträge. Außerdem haben viele Unternehmen von der vorerst bis Ende April geltenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sozialabgaben komplett stunden zu lassen. Einnahmeminus im März: rund zehn Prozent. Im April könnte es noch mehr werden. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat bereits in einem Brandbrief die Verlängerung der Regelung angemahnt. Sehr wahrscheinlich, dass der Appell erhört wird. Fonds und Liquiditätsreserve geraten also derzeit auch auf der Einnahmeseite unter massiven Druck.

Grund genug für BAS-Präsident Frank Plate gegenüber dem Tagesspiegel Background zu beteuern, dass die Kassen um ihre Zuweisungen nicht fürchten müssen. Das BAS beobachte „in steter Abstimmung mit dem BMG“ die weitere Entwicklung. „Das Einnahmerisiko liegt nicht bei den Krankenkassen, sondern beim Gesundheitsfonds. Dessen Liqudität ist gesetzlich gesichert.“ Im Notfall durch Bundesdarlehen. Und es werde auch fristgerecht gezahlt, beteuert Plate – wenn auch später als gewohnt und in kleineren Tranchen. 

Die ganze Wahrheit ist das nicht. Denn auch die Kassen tragen ein Einnahmerisiko: Sie erlösen weniger Geld mit ihren im Durchschnitt bei 1,1 Prozent liegenden Zusatzbeiträgen wegen Kurzarbeit und Beitragsstundungen. Hinzu kommt das Ausgabenrisiko. Allein die nur von den Kassen zu tragenden Zusatzhilfen für die Kliniken summieren sich auf 3,5 Milliarden Euro in diesem Jahr. Hinzu kommen Mindereinnahmen von über einer Milliarde Euro, weil nur noch fünf Prozent der Rechnungen geprüft werden können und die gerade erst eingeführten Gebühren für Falschabrechnungen durch Kliniken gestrichen wurden.

Drohen schon bald höhere Beiträge?

Dagegen stehen aktuell noch niedrigere Leistungsausgaben außerhalb von Corona, weil Kliniken Behandlungen verschieben und die Zahl der Arzt- und Zahnarztbesuche eingebrochen ist. Doch diese Einbrüche müssen die Kassen mit Rettungsschirmen für die Mediziner zumindest zum Teil ausgleichen. Zudem dürften viele der ausgefallenen Leistungen bald nachgeholt werden. Gerade hat Gesundheitsminister Jens Spahn die Kliniken aufgefordert, langsam wieder zum normalen Geschäft zurückzukehren. Die Kassen fürchten deshalb eine Welle von Zusatzbeitragserhöhungen spätestens 2021, wenn die Politik nicht gegensteuert.

Spahn hat die Botschaft offenbar vernommen: Er hat die Chefin der GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, zusammen mit von ihr noch zu benennenden Kassenchefs für den 11. Mai zum Austausch über die Finanzlage eingeladen. 

Peter Thelen

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