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Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Treffen mit Regierungschefs der Länder im Sommer 2021.

© Christian Mang/Reuters/Pool/dpa

Protokolle der Bund-Länder-Konferenzen in der Pandemie: An den „informelle Beratungen“ im Kanzleramt ist nichts geheim

Im Urteil zur Herausgabe der Dokumente wirft das Berliner Verwaltungsgericht der Regierung vor, die Treffen dem Informationsfreiheitsgesetz entziehen zu wollen

Nach seiner Entscheidung zur Herausgabe der Protokolle der Bund-Länder-Konferenzen in der Corona-Pandemie hat das Berliner Verwaltungsgericht am Dienstag die Urteilsgründe veröffentlicht. Demnach geht das Gericht – anders als das Bundeskanzleramt – nicht davon aus, dass die Beratungsverläufe in dem Gremium wegen seiner Nähe zu Regierungsentscheidungen dauerhaft geschützt gehören. „Die Bund-Länder-Konferenz ist kein kollegiales Verfassungsorgan mit einem Willensbildungsprozess und einer Entscheidungsautonomie“, heißt es in dem Urteil (Az.: VG 2 K 155/21). Vielmehr handele es sich um „informelle Beratungen zwischen Regierungs- und Behördenvertretern“ einschließlich gelegentlich hinzugezogener Experten. Die rechtlich nicht bindenden Beschlüsse seien „eine bloße Entscheidungsgrundlage“ für die Regierungen in Bund und Ländern gewesen.

Wie berichtet, hat das Verwaltungsgericht das Bundeskanzleramt vergangenen Donnerstag verpflichtet, fünf Sitzungsprotokolle insbesondere aus der Lockdown-Zeit im Frühjahr 2020 herauszugeben. Das Urteil erging auf eine Klage des Tagesspiegels nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG), demzufolge amtliche Informationen von Behörden für die Öffentlichkeit grundsätzlich zugänglich sein müssen. Die Treffen der Regierungschefs aus Bund und Ländern dienten zur Koordination der Schutzmaßnahmen in den Pandemiejahren 2020 und 2021. Ebenso wie die frühere Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte das Bundeskanzleramt die Akten auch unter dem neuen Regierungschef Olaf Scholz (SPD) dauerhaft unter Verschluss halten.

Die Regierung befürchtet „öffentlichen Rechtfertigungsdruck“ für die Teilnehmer

Die Bundesregierung hatte im Prozess vorgetragen, die Kurzprotokolle seien ausschließlich zur internen Unterrichtung innerhalb des Bundeskanzleramts gefertigt worden. Es seien die Ergebnisse, zum Teil aber auch skizzenhaft einzelne Zwischenstände oder Beratungsabläufe mit Positionen und Vorschlägen der Teilnehmer festgehalten. Durch die Herausgabe könne bei entsprechender Berichterstattung eine neue und „ungewollte Dynamik“ entstehen. Zu befürchten sei ein „öffentlicher Rechtfertigungsdruck“; die Teilnehmer hätten nicht mit einer Veröffentlichung rechnen müssen und könnten gehemmt sein, neue, unabgestimmte Vorschläge einzubringen.

Von dieser Argumentation hat das Gericht in seinem Urteil wenig gelten lassen. Es trat auch der Ansicht des Kanzleramts entgegen, dass die Beratungen noch förmlich andauern könnten. Vielmehr habe es sich um ein „situationsbezogenes Format“ gehandelt, das „nach Lage der Pandemie“ einberufen und mittlerweile eingestellt worden sei. Es gebe daher „keinen Dauer-Beratungsprozess“, wie das Kanzleramt behauptet hatte, um die Offenlegung der Protokolle auch noch Jahre danach verweigern zu können.

Wie künftige Beratungen beeinträchtigt sein sollen, habe das Kanzleramt nicht dargelegt

Die Konferenzen, so das Gericht, seien vom IFG als „Beratungen von Behörden“ erfasst. Es sei nicht erkennbar, dass und wie derartige Beratungen durch die Freigabe der Protokolle beeinträchtigt sein könnten. Das Kanzleramt habe einerseits versäumt darzulegen, welche Passagen in welchen Protokollen den eigentlichen Vorgang der behördlichen Willensbildung abbildeten. Zum anderen sei mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes eine neue Lage eingetreten, da Beratungen jetzt vor allem im Bundestag stattzufinden hätten. Das Kanzleramt lasse auch außer Acht, dass künftige Beratungen wegen des Impffortschritts und neuer Virusvarianten auf geänderte Umstände treffen.

Ohnehin wirft das Gericht dem Kanzleramt vor, die Zurückhaltung der Protokolle nur schlagwortartig gerechtfertigt zu haben: Die „abstrakte Argumentation“, für künftige Besprechungen zwischen Bund und Ländern im Rahmen der Pandemiebekämpfung sei ein geschützter vertraulicher Bereich erforderlich, „läuft darauf hinaus, die Beratungen zwischen dem Bund und den Ländern in Pandemiezeiten ganz generell dem Informationsfreiheitsgesetz zu entziehen“. Dies könne nicht überzeugen.  

Die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) wurde nicht zugelassen. Das Kanzleramt kann jedoch noch innerhalb eines Monats einen Zulassungsantrag stellen, über den das OVG entscheiden muss.

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