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Meinung: Vom Bürsten der Fische

„Wenn Parteien ihre Mitglieder befragen, ist das Risiko groß“

Peer Steinbrück spricht Klartext: „Der Fisch ist noch nicht gebürstet.“ Das ist seine Antwort auf die Frage, wie das SPD-Mitgliedervotum zur großen Koalition denn ausgehen werde. Ein Selbstläufer sei die Befragung nicht, meint der Ex-Kanzlerkandidat jetzt in der „Zeit“. Jeder in der Partei werde das Ergebnis aber akzeptieren müssen – egal, wie knapp es auch ausfalle.

Damit weist Steinbrück auf einen interessanten Punkt hin: Was würde es bedeuten, wenn zum Beispiel 52 von 100 befragten SPD- Mitgliedern ein Bündnis mit Angela Merkel befürworten, 48 aber gleichzeitig dagegen sind?

Deutschlands Bürger werden am 15. Dezember, wenn die SPD das Ergebnis bekannt gibt, wissen wollen, ob Merkel mit den Stimmen von SPD-Abgeordneten wieder zur Kanzlerin gewählt werden kann. Für die SPD selbst aber ist eine andere Frage vielleicht entscheidender: Wie groß wird der Anteil jener Mitglieder sein, die nach der Abstimmung Verlierer sind?

In einem kürzlich erschienenen Buch über die Geschichte der Mehrheitsentscheidung kommt der Historiker Egon Flaig zu dem Schluss, dass die Mehrheitsregel nicht nur kollektive Handlungsfähigkeit hergestellt, sondern überhaupt erst dem Gedanken der Gleichheit zum Durchbruch verholfen habe. Das ist einerseits darin begründet, dass alle Beteiligten dasselbe Stimmrecht haben – im Fall des Mitgliedervotums also die Stimme des Parteivorsitzenden gleich viel wiegt wie die Stimme irgendeiner Karteileiche. Andererseits aber folgt aus dem Gleichheitsanspruch: Durch die Abstimmung hat auch die Meinung der Minderheit eine Form gefunden. Ähnlich wie die Opposition in Parlamenten hat sie ebenfalls ein Recht darauf, gehört und wahrgenommen zu werden – obwohl sie nicht mitregiert.

So gesehen bezahlen Parteien für ihre durchaus ehrenwerte Direktdemokratie einen Preis. Denn in der öffentlichen Auseinandersetzung sind andere Tugenden gefragt: Klarheit, Zuverlässigkeit, Berechenbarkeit. Umgekehrt wird eine Partei am ehesten dann von den Wählern links liegen gelassen, wenn nicht mehr klar ist, wo sie steht. Zum Beispiel begann der Abstieg der SPD in bundesweiten Umfragen unter die 30-Prozent- Marke nicht mit der Verkündung der Agenda-Politik. Er setzte erst 2008 ein, als die Partei in Berlin mit Merkel regierte und in Hessen gleichzeitig eine rot-rot-grüne Wende versuchte.

Das soll nicht heißen, dass eine vorhandene Spaltung nicht auch ins Positive gekehrt werden kann. Dann nämlich, wenn abweichende Meinungen bewusst als Teil eines größeren, gesamtgesellschaftlichen Zweifels interpretiert werden. Vor einer solchen Situation stand vor zwei Jahren die FDP. Deren Mitglieder sollten darüber abstimmen, ob die Partei in der Regierung den Euro-Rettungsschirm ESM mitträgt. Das Ergebnis ging so knapp aus, wie es Steinbrück jetzt für die SPD befürchtet: 54,5 Prozent der gültigen Stimmen waren für den ESM. Parteichef Philipp Rösler sprach von einem „starken Votum der Parteibasis“.

Genau das war es jedoch nicht: Tausende Stimmzettel waren ungültig, weil die Wahlanleitung missverständlich war, außerdem hatte sich überhaupt nur jedes dritte FDP-Mitglied beteiligt – vermutlich aus Angst, die eigene Führung zu desavouieren. Allerdings war offensichtlich geworden, dass die euroskeptische Strömung in der FDP aus mehr Mitgliedern bestand als aus einigen wenigen ewiggestrigen Nationalliberalen. Dies hinderte Spitzenkräfte von Guido Westerwelle bis Rainer Brüderle nicht an der Aussage, sie seien erleichtert darüber, dass die FDP eine „proeuropäische Partei“ geblieben sei. Darum ging es aber nicht. Im Ergebnis hatte der Umgang mit der Basisentscheidung nicht zu mehr Meinungsvielfalt geführt, sondern zu weniger. Und es ist nicht vermessen zu behaupten, dass es die FDP wieder in den Bundestag geschafft hätte, wenn die Parteiführung die eurokritischen Wähler nicht allein der AfD überlassen hätte.

Im aktuellen Fall der SPD ist die Sache noch etwas komplizierter. Vordergründig geht es zwar nur um den Koalitionsvertrag, doch genauso kann die Abstimmung als Ventil aufgefasst werden, mit dem Parteimitglieder generell Dampf ablassen können: Über die Agenda-Reformen zum Beispiel, über die Führungsmannschaft von Steinmeier bis Gabriel oder über die rot-rot-grünen Winkelzüge.

Aus der SPD-Führung heißt es, man gehe fest davon aus, dass die einfachen Parteimitglieder vernünftiger denken als die eigenen Funktionäre. Was immer das heißen mag.

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