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Lass es ein Ende haben: Friedrich Merz greift im Bundestag die Scholz-Regierung an.

© dpa/Christoph Soeder

In Deutschland brennt der Baum: Koalition und Opposition liefern ein unwürdiges Schauspiel

Das ist kaum noch auszuhalten. Aber man wird sich zu Weihnachten ja was wünschen dürfen: Dass es mit diesem Hin und Her so nicht weitergeht. Wann versteht die Politik?

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Absurd, das alles. Grotesk außerdem. Dieses Land wird gerade so sehr unter Wert regiert, dass man wie im Theater „Aufhören!“ in das Schauspiel hineinrufen möchte. Wenn nur die Alternative besser wäre. Die aber ist auch grauslich. Ob Weihnachtswünsche helfen?

Einer lautet schon mal, dass sich allesamt ihrer Verantwortung vergewissern. Die Ampelkoalition will den Stromverbrauch verteuern, das Tanken, das Heizen, das Fliegen auch, im Sozialbereich kürzen, an den Rentenzuschuss gehen, sie streicht die E-Auto-Förderung und die für den Agrardiesel, schaut, wo bei der Bundeswehr Geld zu holen ist. Sie hält daran fest, Protesten zum Trotz. Und wie sollen die Menschen, die wenig haben, das bezahlen? Wo ist die Opposition, die ihnen hilft?

Rot-Grün-Gelb macht gerade eine Schlagzeile nach der anderen. Nur keine gute. Aber die Union ist nicht besser. Die macht zusätzlich Angst.

Die stärkste Oppositionsfraktion hat einen Wortführer, Friedrich Merz, der wie in einer Zeitschleife gefangen zu sein scheint. Deutsche Leitkultur, für die er schon Ende der Neunzigerjahre des vorigen Jahrhunderts trommelte, jetzt recycelt mit Christbaum – das ist, wofür die CDU, wofür er gewählt werden will? Im Ernst?

Merz verhält sich, als wolle er die Jahre mit Merkel auslöschen

Heiliger Unernst! Als sollten die 16 Jahre mit Angela Merkel – seiner Parteifeindin – ganz unbedingt von Merz ausgelöscht werden. Zukunft lässt sich aber nicht mit der Vergangenheit gewinnen.

Wer das glaubt, ist nicht die hellste Kerze am Baum. Der setzt ihn vielmehr ganz in Flammen. In Deutschland brennt die Tanne, und die AfD steht daneben und wärmt sich.

Über diese Politik wird – übrigens auch von Gerichten – in einer Weise geurteilt, dass andere zu anderen Zeiten sich geschämt hätten. Wenigstens. Sie wären vielleicht sogar … zurückgetreten.

Die Politik hat offenkundig das Gefühl für die Menschen verloren, zumal für die mit weniger Geld. Und dann auch noch für die Jugend.

Stephan-Andreas Casdorff

Doch nicht diese Koalition; in ihrem „annus horribilis“ klammern sich die Partner nicht freundschaftlich aneinander, so viel Sympathie ist nicht, war nie, aber an die Macht. Und wie: ohne Rücksicht auf Verluste.

Die Opposition schustert alte Ideen zusammen

Was macht derweil die Opposition? Sie schustert alte Ideen zusammen. Anstatt Millionen verunsicherter Arbeitnehmer mitzunehmen, nicht nur Merz’ Unternehmerfreunde. Mitfühlender Konservativismus, das wär’s. Übrigens wurde der – Merz müsste das eigentlich gefallen – als Begriff in den Neunzigerjahren erfunden.

Stattdessen werden Populisten und Rechtsextreme immer stärker, sodass die demokratische Basis zu erodieren scheint. Weil die Koalition sich von Tag zu Tag hangelt und die Union einen nach dem anderen verstreichen lässt, ohne glaubwürdig zu dokumentieren, dass sie die Regierung im Wartestand ist.

Die Politik hat offenkundig das Gefühl für die Menschen verloren, zumal für die mit weniger Geld. Und dann auch noch für die Jugend. Dabei ist die doch willig. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung ist es 85 Prozent wichtig, Verantwortung zu übernehmen, 73 Prozent möchten einen Beitrag für die Gesellschaft leisten, in der sie leben. Die Werte nehmen zu! Da wäre was zu holen: Zukunft.

Deutschland wird dagegen weiter und weiter unter Wert regiert. Inzwischen drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, trotzt die gegenwärtig noch den Widrigkeiten von Krise und Krieg. Sie gehört unverändert regelmäßig zu den drei größten Export-, aber auch Importnationen der Welt. In Billionenhöhe. Kreativ, innovativ, produktiv, so ganz anders als ihre politische Klasse.

Stadt und Land sind in Aufruhr, weil die Bürger nicht mehr verstehen, wofür was gut sein soll. Der Frust vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland steigt. Die Landwirte werden zu den Lokführern des Widerstands. Deshalb nimmt die Radikalisierung zu, auch die im Urteil über Rot-Grün-Gelb.

Das neue Jahr bietet Koalition wie Opposition aber eine Chance, diese Schlagzeile zu produzieren: Wir haben verstanden. Das ist der größte Weihnachtswunsch. Denn frei nach Tucholsky: Das Publikum ist gar nicht so dumm. Es schaut dem unwürdigen Schauspiel sonst nicht mehr lange zu.

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