zum Hauptinhalt
Solange die Verantwortlichen in der Ukraine keinen Grund sehen, EU-Europa als Machtfaktor ernst zu nehmen, muss sich die EU zu einer Form von Machtpolitik entschließen.

© dpa

Gewalt in der Ukraine: Höchste Zeit für Machtpolitik

Noch sehen die Verantwortlichen in der Ukraine anscheinend keinen Grund, EU-Europa als Machtfaktor ernst zu nehmen. Deshalb muss sich die Europäische Union für eine Machtpolitik entschließen, die verstanden wird: Sanktionen.

Kiew liegt näher an Berlin als die Bretagne, Rom oder Helsinki. In Kiew brennen die Straßen, sterben Menschen, werden Hunderte krankenhausreif geprügelt. Eine Stadt am Rande des Bürgerkriegs, mitten in Europa. Die Hauptschuld an dieser Eskalation trägt Präsident Janukowitsch. Auslöser war die Weigerung, das Parlament am Dienstag über die Rückkehr zur Verfassung von 2004 abstimmen zu lassen. Die gibt dem Präsidenten weniger Rechte als die heute gültige; unter anderem könnte er nicht mehr nach Belieben den Regierungschef und Minister entlassen. Diese Änderung gehört zu den Kompromissen, die einen friedlichen Weg aus dem Belagerungszustand um die Regierungsgebäude im Herzen der Stadt weisen sollen.

Deshalb muss die EU sich nun zu einer Form von Machtpolitik entschließen, die die Verantwortlichen in Kiew und Moskau ernst nehmen: Sanktionen. Nicht allgemeine Sanktionen gegen die ukrainische Wirtschaft; denn die würden die Bürger treffen, also auch jene, die seit Monaten auf bewundernswerte Weise in Eis und Kälte ausharren, um ihren Wunsch nach Zugehörigkeit zu Europa zu manifestieren. Die EU sollte auf ihrem Sonderrat an diesem Donnerstag gezielte Sanktionen gegen die Amtsträger beschließen, die an der Entscheidung zur Gewalt beteiligt sind. Schmerzhaft spüren würden die es, wenn ihre Konten im Ausland eingefroren werden und sie nicht mehr in Länder reisen dürften, in die sie ihre Kinder zum Studium schicken.

Die Gewalt in Kiew muss gestoppt werden

Gewiss, am dringendsten ist es, die Gewalt zu stoppen. Die Appelle sind nicht falsch. Aber sie bewirken wenig, solange die Verantwortlichen keinen Grund sehen, EU-Europa als Machtfaktor ernst zu nehmen. Am Freitag war Außenminister Steinmeier in Moskau. Am Montag hatte die Bundeskanzlerin die ukrainischen Oppositionsführer zu Gast und versprach ihnen Unterstützung. Einen Tag später versucht Präsident Janukowitsch eine gewaltsame Lösung zu erzwingen. Auch das ist eine Machtdemonstration: wie die Führungen in Kiew und Moskau die Bereitschaft und Fähigkeit Deutschlands und der EU bewerten, harte Machtpolitik in der Ukraine zu betreiben. Folglich müssen sich Berlin und Brüssel jetzt erst einmal durch Taten wie die gezielten Sanktionen Respekt verschaffen. Dann haben Gespräche mehr Aussicht auf Erfolg.

Die Ukraine ist in einer verzweifelten wirtschaftlichen Lage

Nachhaltig entspannen lässt sich der Konflikt zwischen dem Ostteil, der sich nach Russland orientiert, und dem Westteil, der seine Zukunft in Europa sucht, nur durch eine langfristige Stabilisierungsstrategie. Die muss neben den Sanktionen positive Anreize enthalten. Die Ukraine ist in einer verzweifelten wirtschaftlichen Lage – ganz unabhängig davon, ob Janukowitsch sich halten oder die Opposition einen raschen Machtwechsel erzwingen kann. Das Land muss sich zudem aus der Abhängigkeit von russischem Gas befreien – durch eine Reverse-flow-Pipeline, die das Gas von der Slowakei aus liefert. Beides erfordert Zeit und Geld. So gesehen ist die Frage, ob die Opposition vorgezogene Wahlen in fünf, sechs Monaten erzwingen kann oder sie regulär in 13 Monaten stattfinden, nicht entscheidend. Strategisch wichtiger sind Vorkehrungen, dass diese Wahlen frei und fair ablaufen. Das sollte eine Bedingung für Überbrückungskredite sein.

Zudem sollten Deutschland und die EU engere Kontakte zu den Wirtschaftsbossen der Ukraine suchen. Auf den ersten Blick sind diese Oligarchen nicht die Speerspitze der Demokratisierung. Aber eines wollen sie gewiss nicht: Verhältnisse wie in Russland, wo die politische Führung entscheidet, welcher Oligarch im Gefängnis landet. In der Ukraine ist es heute umgekehrt: Die Oligarchen bestimmen, wer in die Regierung kommt. Auf Dauer wird sich diese spezielle ukrainische Art der Oligarchie nicht halten. Und dann ist die europäische Option mit einer Legalisierung der Vermögen und Rechtssicherheit für die Oligarchen attraktiver als das russische Modell. Auch kurzfristig haben sie und Europa gemeinsame Interessen: die Gewalt stoppen. Die ist noch schlechter für die Geschäfte als der Boykott ukrainischer Waren, den Russland in diesem Kampf einsetzt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false