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POSITIONEN: Fleischlos fröhlich

Warum wir schleunigst einen Vegetarier-Tag einführen müssen

Wer nicht gerade rundum gefestigter Vegetarier ist, kennt den plötzlichen Heißhunger auf eine Currywurst oder ein saftiges Steak. Überhaupt hat es der irrationale Sekunden-Hunger aus unerfindlichen Gründen nicht selten auf Schokolade und auf Fleisch abgesehen. Jedenfalls habe ich kaum je gehört, dass jemand sagt: „Aaahh, jetzt eine schöne Portion Sojagyros das wär’s!“ Warum auch? Sojagyros täuscht zwar optisch perfekt an, schmeckt aber, wenn es schlecht gemacht ist, wie nachgewürzte Knete.

Ist die Fleischlust dem Menschen gegeben wie eine archaische Mitgift aus vorgeschichtlichen Zeiten? Vegetarisches Essen gilt – trotz BSE, Dioxin-Skandal und skandalöser Massentierhaltung – immer noch als unvollständig. „Der Mensch ist kein Beilagenesser“ heißt es im Buch mit dem Titel „Fleisch ist mein Gemüse“. Aber warum steht Spinat mit Spiegelei so schlecht im Kurs, obwohl er inoffizielles Kinderlieblingsgericht Nr. 1 ist, nach, Sie wissen schon, Spaghetti mit roter Soße? Und was ist aus dem guten alten Kartoffelpuffer mit Apfelmus geworden? Dabei sind solche und viele andere Gerichte die Rehabilitation des Vegetarischen schlechthin, denn eines ist klar: Mit dem Wasser, das für die Produktion von einem Kilo Fleisch verbraucht wird, kann man ein Jahr lang duschen. Aber allein aus dieser Einsicht verzichten leider die wenigsten auf Fleisch. Doch Fleischverzicht schmeckt auch!

Statt um langweilige Ersatzlösungen oder moralische Appelle muss es darum gehen, Freude und Kreativität beim vegetarischen Kochen zu wecken – sodass die Synapsen im entscheidenden Moment nicht auf „Currywurst“ programmiert sind, sondern auf „Griesbrei mit Zucker und Zimt“, „Quiche mit Wintergemüse“ oder „Ingwer-Kürbissuppe“. Fleischlos essen geht fröhlich und lustvoll. Und wer sich nicht für den Vollverzicht entscheiden mag: Der Sonntagsbraten vom zertifizierten Bio-Büffel kann ja am Wochenende auf den Tisch, und mein Biobauer schickt das Stück für den Tafelspitz sogar direkt nach Hause.

Eine Promo-Maßnahme für den fröhlichen Vegetarismus wäre deshalb doch ein „Veggie-Day“. Natürlich nur, wenn er kreativ ist: In Bremen läuft die Veggie-Day-Initiative seit letztem Jahr, jeden Donnerstag sind Kantinen, Restaurants und Privathaushalte aufgerufen, freiwillig auf Fleischessen zu verzichten. Nicht nur wegen der Gesundheit. Nicht nur wegen der Tiere. Nicht nur wegen des Klimas. Sondern eben auch deswegen, weil es schmeckt. Vorbild für Bremen ist die belgische Stadt Gent, dort gibt es seit Mai 2009 einen Veggie-Day. Die in Gent aufgestellte Rechnung ist imposant: Wenn die 240 000 Bürger der Stadt einmal in der Woche ganz auf Fleisch und Fleischprodukte verzichten, bedeutet das die Ersparnis der CO2-Emissionen von 18 000 Autos im Jahr. Das fühlt sich auch gut an.

Und in Berlin? Hier gibt es an Ganztagsschulen mindestens an zwei Tagen in der Woche ausschließlich Vegetarisches (vorausgesetzt, es wird nur ein Gericht angeboten). Das ist ein kleiner Anfang, kann allerdings ein Ritual nicht ersetzen. Mehr Mut ist angebracht. Wäre es nicht schön, wenn es bundesweit neben dem Fußball-Samstag, dem Kirch- oder-Ausschlaf-Sonntag auch einen Veggie-Donnerstag oder, traditionell, -Freitag gäbe?

Ich stelle mir vor, wie die Kollegen auf dem Weg in die Kantine angeregt rätseln, was sich der Koch wohl diesmal ausgedacht hat und von eigenen Versuchen berichten: „Also ich habe am Wochenende Nudeln mit Rote-Beete-Gorgonzola-Sauce ausprobiert.“ Und der andere: „Ich Ofengemüse mit Kräuterschmand.“ Ein Ritual wäre geschaffen und müsste immer aufs Neue mit kreativen Ideen gefüllt werden. Nur ein letztes psychologisches Problem wäre dann noch zu lösen: Viele Menschen essen Fleisch nicht, obwohl es ungesund ist, sondern weil es ungesund ist. Die Currywurst mit „Pommes Schranke“ hat da oft dieselbe Funktion wie die am Schreibtisch verschlungene Tafel Schokolade: Sie ist die kleine Sünde, die einem das Gefühl individueller Freiheit gibt.

Der fröhliche Vegetarismus ist schlau und weiß, dass in dieser Situation gesunde Hülsenfrüchte wenig ausrichten können. Aber: Ein schöner Kaiserschmarrn macht mindestens so platt wie der größte Burger. Herrlich!

Die Autorin ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Katrin Göring-Eckardt

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