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Eine U-Bahn fährt in den Bahnhof Zoologischer Garten ein.

© dpa / Foto: dpa/Jörg Carstensen

Berlin bekommt das 29-Euro-Ticket: Trotz aller Mängel ein großer Gewinn

Die politische Verantwortlichen hatten von einigem keine Ahnung und handelten ungeschickt. Und doch ist es ein Erfolg, dass am Ende das 29-Euro-Ticket möglich wurde.

Ein Kommentar von Christian Latz

Am Ende musste Berlin noch einmal zittern. Noch Stunden vor der geplanten Verständigung stand das 29-Euro-Ticket im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) auf der Kippe. Ein wenig mehr Blockade aus den Brandenburger Kommunen und schon wäre der Plan, bereits zum 1. Oktober ein vergünstigtes Abonnement für den Tarifbereich AB anzubieten, gescheitert.

Letztlich ging es gut aus, Berlin bekommt in zwei Wochen das neue Ticket. Doch die Hängepartie kurz vor dem zeitlichen Ultimo steht exemplarisch für ein Ticketangebot, dessen Entstehung und Wirkung voll von Problemen ist.

Dass es den Fahrschein zum 1. Oktober geben kann, ist eigentlich ein Wunder. Erst Ende August und damit viel zu spät präsentierte Berlins SPD-Spitze die Idee, mit einem Neun-Euro-Ticket die Berliner zu entlasten. Offenbar in Unkenntnis darüber, dass auch für ein solches Hauptstadt-Vorhaben das Land Brandenburg und die dortigen Kommunen im VBB zustimmen müssen. Genauso düpiert wie die Berliner Koalitionspartner war daher auch die Regierung im Nachbarbundesland.

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Gewonnen hat das Gießkannen-Prinzip

Man hatte selbst unter Genossen versäumt, Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke zu informieren. Eine negative Dynamik, die seither nie mehr aus den Verhandlungen rund um das Ticket verschwand. Dabei liegt schon hier der größte Konstruktionsfehler: Ein neues Ticket-Angebot zu konzipieren ohne Brandenburg mitzudenken, mit all seinen Pendlern in der Bahn und im Auto, das zeugt von verkehrspolitischer Kurzsichtigkeit.

Ein klarer Beweis für Nichtwissen ist auch, dass man annahm, das Angebot im Eiltempo einführen zu können. Dabei rauchen bei BVG und S-Bahn seit Wochen die Köpfe, wie man den Tarif so schnell in die Systeme einspeisen kann und wie die Abrechnungen mit bestehenden Abonnenten gelingen sollen. Noch immer haben viele Dauerkunden ihre Erstattung für das im Juni eingeführte Neun-Euro-Ticket nicht auf dem Konto. Beim 29-Euro-Ticket dürfte das Prozedere eher noch länger brauchen. Auch die erst in dieser Woche bekannt gewordene Konstruktion, dass der Fahrschein nur als Abo mit Sonderkündigungsrecht zu erwerben ist, soll die Tarifplaner in den Verkehrsunternehmen einige Nerven kosten, ist zu hören.

Während der allgemeine Abopreis für die Kunden unabhängig von ihrem Einkommen nun mehr als halbiert wird, verharrt das Berliner Sozialticket bei 27,90 Euro. Noch mehr Änderungen wären im VBB wohl nicht durchsetzbar gewesen. Doch es mutet schräg an, dass jene, die unter den steigenden Preisen mit am meisten leiden, nicht entlastet werden. Gewonnen hat das Gießkannen-Prinzip.

Franziska Giffey (l., SPD), Berlins Regierende Bürgermeisterin, und Bettina Jarasch (Bündnis90/Die Grünen), Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, kommen aus dem Roten Rathaus, um ein Statement zu dem in Berlin geplanten 29-Euro-Ticket abzugeben.

© Foto: dpa/Jens Kalaene

Dennoch wäre es falsch, von einem Flop zu sprechen. „Es war das, was möglich ist“, sagte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) nach der Entscheidung am Donnerstag. Und das ist in der aktuellen Situation besser als all die perfekt durchdachten Pläne, die letztlich in der Schublade verstauben.

Am wichtigsten ist dabei der soziale Aspekt. Das 29-Euro-Ticket schafft schnell Entlastung. Nicht alle Abonnenten sind darauf angewiesen. Doch viele Menschen können die gut hundert Euro Ersparnis innerhalb der drei Monate gerade sehr gut gebrauchen. Der Charme ist, wie unkompliziert diese Hilfe bei den Bürger:innen ankommt. Kein Antrag, keine Steuererklärung erst im kommenden Jahr ist dafür nötig.

Es braucht einen Ausbau des Netzes

Und doch ist auch der verkehrliche Aspekt nicht zu unterschätzen. Die Probleme bleiben zunächst die gleichen wie im Sommer des Neun-Euro-Tickets: Für einen durchschlagenden Erfolg der Mobilitätswende braucht es einen Ausbau des Netzes. Ein Bus alle 20 Minuten am Berliner Stadtrand verleitet niemanden zum Umstieg.

Und doch dürfte es gerade in Berlin einige Menschen geben, die auch angesichts anhaltend hoher Spritpreise und eines grundsätzlich guten Nahverkehrs Bus und Bahn für mehr als einen Sonntagsausflug nutzen könnten. Und vielleicht bleiben sie ab Januar dabei, sollte es dann ein vergünstigtes ÖPNV-Ticket für ganz Deutschland geben. Ihr Abonnement jedenfalls läuft weiter. Zwar gibt es ein Sonderkündigungsrecht für das 29-Euro-Ticket Ende Dezember. Doch nicht alle dürften davon Gebrauch machen. Das klingt immer noch ein wenig nach Abo-Falle. Gerade im Verkehr ist es aber so: Nur Gewöhnung verändert das Verhalten nachhaltig.

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