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Die größte Demonstration der DDR-Geschichte endete am 4. November mit einer Kundgebung auf dem Alexanderplatz.

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Mauerfall-Gedenken: 9. November? 4. November!

Bei der Großdemonstration am 4. November wurde auf dem Podium über eine Reform der DDR geredet. Die Straße wollte da schon deren Abschaffung. Auch das ist ein Symbol.

Kennst Du den 4.11.1989 – die Frage geht an eine gebildete, politisch denkende Mittdreißigerin. Ihre Antwort kommt schnell: Kenne ich nicht. Wir nähern uns seiner 25-jährigen Wiederkehr. Die Antwort hat weniger mit generationstypischem Desinteresse als damit zu tun, dass dem Datum die Eindeutigkeit fehlt, auch wenn sich damals in Ostberlin fast eine Million Menschen zu einer Demonstration versammelt hatten. Mangels Eindeutigkeit ist der 4. November 1989 nicht präsent wie der 17. Juni 1953, der 9. Oktober und der 9. November 1989 – auch der 1938! Sie haben sich in die deutsche Geschichte eingekerbt. Der Volksaufstand der Ostberliner Bauarbeiter, der Freiheitsmarsch der Leipziger, der Mauerfall, die sogenannte „Reichskristallnacht“. Dem gegenüber ist der 4.11.1989 ein spektakuläres Signal ohne eindeutige Botschaft.

Uwe Lehmann-Brauns ist Anwalt und Mitglied der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus Berlin.

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Fünf Tage vor dem Fall der Mauer kamen Hunderttausende zusammen. Sie wollten die DDR als Demokratie behalten

Fünf Tage vor dem Fall der Mauer kamen Hunderttausende im damaligen Ostberlin zusammen und äußerten sich kritisch zu der von der SED beherrschten Politik, ohne, wie üblich daran gehindert, verprügelt, verhaftet und eingesperrt zu werden. Initiiert hatten die Versammlung Schauspieler und das Neue Forum. Die SED versuchte zunächst, die Versammlung zu verhindern, als das nicht gelang, sie zu begleiten und zu instrumentalisieren. Auf dem Podium mit 26 Rednern standen Menschen, die nicht zusammengehörten, mit dreierlei verschiedenen Interessen. Zu Wort kamen Markus Wolf, Chef der Auslandsspionage der DDR, zu dessen erfolgreichsten Coup der Sturz Willy Brandts gehörte, dem er den Spitzel Guillaume verpasst hatte. Vom Podium herab redeten das Politbüro-Mitglied Schabowski, der Vorsitzende der DDR-Rechtsanwälte Gysi, der sich artig vor den Hunderttausenden bei der Volkspolizei bedankte, ferner Bisky und andere gleichen Sinnes. Ihnen ging es darum, die DDR zu retten und dem Nachfolger Honeckers, Krenz, die Wende gegen den historischen Wind zu ermöglichen. Ausdrücklich darum bat der Wittenberger Pfarrer Schorlemer. Zu Worte kamen dann Schriftsteller: Heiner Müller, Stefan Heym, Christa Wolf, Schauspieler wie Ekkehard Schall, Jan Josef Liefers, Ulrich Mühe, Johanna Schall, und Marianne Birthler. Sie wollten die DDR als Demokratie und Rechtsstaat behalten.

Auf dem Podium ging es um Reformen, auf der Straße um die Revolution. Die Straße wollte die DDR abschaffen

Keine Reden hielt eine dritte Gruppe, auf dem Podium nicht vertreten, anwesend auf der Straße, sie wollte die DDR nicht bessern, sondern gar nicht mehr und artikulierten sich mit Beifall, Buh-Rufen, Spott-Parolen und -Plakaten. Das bekannteste: das mit Krenz und den großen Zähnen. Oben auf dem Podium ging es um Reformen, unten auf der Straße um die Revolution. Die SED hatte vorgesorgt und den Zugang zum Brandenburger Tor und zur Mauer gesperrt. Auch hatte sie den Antrag Bärbel Bohleys, Wolf Biermann auftreten zu lassen, abgelehnt. Sie fürchtete, dass mit seinem Auftritt die Versammlung aus dem Ruder laufen würde. Polizei und Stasi waren deshalb allenthalben präsent. Fünf Tage später fiel die Mauer, die friedliche Revolution fegte die „Diktatur des Proletariats“ aus dem von ihr besetzten Teil Deutschlands. Der 4. November 1989 blieb ein mehrdeutiges Signal für das, was sich am 9. November vollzog und am 3. Oktober 1990 vollendete.

Uwe Lehmann-Brauns ist Anwalt und Mitglied der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus Berlin.

Uwe Lehmann-Brauns

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