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Kooperation mit der Türkei: „Uns fehlt das türkische Personal“

Der Vizepräsident der Uni Potsdam, Robert Seckler, über den zögerlichen Aufbau der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul, geschasste Forscher, fehlende Dekane und wo die rote Linie für die Potsdamer Uni verläuft

Herr Seckler, die Türkei ist für kritische Wissenschaftler derzeit nicht die erste Wahl. Wie ist die Stimmung an der Türkisch-Deutschen Universität?

Ich war im März zuletzt dort zur Tagung des Wissenschaftlichen Kollegiums. Die Stimmung war trotz aller Umstände gut. Man freut sich, dass ab Frühjahr 2018 der Campus verfügbar ist, auf dem zurzeit noch eifrig gebaut wird. Das Sprachenzentrum und das Rektorat sind bereits fertig. Ab kommendem Jahr sind dann zumindest die Raumprobleme gelöst, bisher lief vieles nur provisorisch.

In der vergangenen Woche wurden in der Türkei erneut Akademiker verhaftet. Auch an der TDU?

Nicht, dass ich wüsste. Ich habe den Eindruck, dass das Vorhaben so etwas wie Welpenschutz genießt. Im Moment läuft es sehr gut, der Dialog mit dem türkischen Hochschulrat verläuft sehr konstruktiv. Der Lenkungsausschuss arbeitet, es wurden neue Termine vereinbart – was früher alleine schon schwierig war. An der TDU geben die Kollegen in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Veranstaltungen, in denen überraschend offen miteinander diskutiert wird – beispielsweise auch über Verfassungsvergleiche zwischen der Türkei und Westeuropa. Ich sehe jetzt keine direkten Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit im Sinne von Lehrverboten oder Ähnlichem.

Was wäre die rote Linie für Sie?

Wenn beispielsweise die Evolution aus dem Curriculum der Hochschulen gestrichen werden sollte: Dann ist es vorbei! Für die Schulbücher wurde diese Einschränkung ja bereits gemacht, mit dem nicht nachvollziehbaren Verweis auf das junge Alter der Schüler. An der TDU sehe ich solche Einschränkungen, wie gesagt, bislang nicht. Auch wenn ich natürlich nicht wissen kann, was in den Köpfen der Kollegen vorgeht. In autoritären Regimen beginnt die Zensur ja meist schon in den Köpfen. In den Natur- und Ingenieurwissenschaften spielen politische Fragen naturgemäß aber eine untergeordnete Rolle.

Ist der Rektor der TDU noch im Amt?

Das ist er – Rektor Halil Akkanat ist für uns der erste Ansprechpartner und die verlässlichste Größe an der Hochschule. In der schwierigen politischen Lage hat er außerordentlich umsichtig agiert. Er unternimmt für seine Mitarbeiter, was er kann. Wir hoffen, dass er nach Ende seiner Amtszeit wieder bestellt wird. Wenn wir ihn nicht mehr hätten, wäre das ein herber Verlust.

Der Rektor hatte die Maßnahmen Erdogans gegen die Wissenschaft – die Suspendierung von Dekanen, das Schließen von Hochschulen und das Entlassen von Dozenten – als Abwehr von Gefahren vom türkischen Staat gerechtfertigt. Ist er für das Projekt überhaupt noch tragbar?

Professor Akkanat ist sicher kein Hardliner. Er hat das im Sommer 2016 unter dem Eindruck des blutigen Putschversuchs geäußert und in der Annahme, Akademiker, nicht Militärs seien die Drahtzieher gewesen. Ich kann das nicht nachvollziehen, aber ich schätze Herrn Akkanat als besonnenen Kollegen und wichtigen Partner.

Sind die suspendierten Mitarbeiter wieder an der Hochschule?

Von den sechs Mitarbeitern, die 2016 suspendiert wurden, sind tatsächlich fünf endgültig entlassen worden, einer ist im Ausland geblieben. Begründet wurde die Entlassung mit dem Vorwurf der Nähe zur Gülen-Bewegung, die von der türkischen Regierung für den Putsch verantwortlich gemacht wird. Einer der beiden entlassenen Assistenzprofessoren hat in der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät gearbeitet, die von der Uni Potsdam mitaufgebaut wird.

Das dürfte ein schmerzlicher Einschnitt für das Projekt sein.

Sicher, aber es hatte keine größeren Auswirkungen auf den Betrieb der TDU. Drei der Betroffenen waren Doktoranden, also nicht in leitenden Positionen. Auch lässt sich sagen, dass im Vergleich zu anderen türkischen Hochschulen an der TDU nur eine relativ kleine Anzahl betroffen ist. Es gab viele Überprüfungen, aber am Ende wurden nur fünf Mitarbeiter für unhaltbar befunden.

Auch die Dekane mussten gehen.

Das betraf alle türkischen Hochschulen, sie mussten 2016 zurücktreten, um sich wegen einer möglichen Beteiligung am Putschversuch überprüfen zu lassen.

Sind sie nun zurück?

Nein. Das ist ein sehr zögerlicher Prozess. Die beiden Dekane der Natur- und den Ingenieurwissenschaften sind an die Hochschulen zurückgekehrt, von denen sie zuvor gekommen waren. Nach wie vor haben wir in beiden Fakultäten nur amtierende Dekane. Es war von Anfang an schwierig, deutschsprachiges Leitungspersonal für diese Hochschule zu finden. Als ich 2013 zu dem Projekt kam, war man bereits auf der Suche nach Dekanen, die dann zum Teil nur von anderen Hochschulen ausgeliehen wurden.

Hat sich das Klima an der TDU geändert? Es soll nicht mehr so offen sein.

Das gilt insgesamt für die wissenschaftlichen Einrichtungen in der Türkei. Der Riss, der durch die türkische Gesellschaft geht, ist überall spürbar. Allerorts gibt es eben auch Befürworter des Regimes, ganz sicher auch an der TDU. Ich habe den Eindruck, dass über Politik zurzeit einfach nicht gesprochen wird. Aber solch ein Verhalten kennt man ja aus anderen autoritären Gesellschaften.

Wurden an den Hochschulen gezielt linientreue Leute eingesetzt?

Ich würde es anders ausdrücken: Es wurden gezielt nicht-linientreue Mitarbeiter entlassen. Die Gülen-Bewegung war lange Zeit mit Erdogans AKP verbandelt. In der Türkei war die Situation lange so, dass man nur schwerlich ins Bildungssystem hineinkam, wenn man hier nicht dabei war. Das hatte die AKP und Erdogan geduldet, bis es einen Bruch gab – dafür rächt sich Erdogan jetzt. Dafür, dass die Gülen-Bewegung hinter dem Putsch steckt, haben wir aber bis heute keine Beweise gesehen.

Im vergangenen November waren Sie in großer Sorge um den weiteren Aufbau der TDU. Und heute?

Es ist nicht wesentlich besser geworden. Es ist sehr schwer, Personal zu finden. Für die wichtigen Sprachkurse, die alle Studierenden durchlaufen müssen, gibt es kaum Bewerbungen von Lehrpersonal. Insgesamt ist es in der jetzigen Situation ausgesprochen schwierig, hochkarätige Wissenschaftler, die sehr gut Deutsch können, dazu zu motivieren, nach Istanbul zu gehen. Da gibt es grundsätzlich auch nicht so viele, die in Frage kommen. Für den dritten Studiengang Energiewissenschaften und -Technologien, an dem die Türkei ein großes Interesse hat, fehlt uns von der türkischen Seite das Personal, um ihn in diesem Jahr noch starten zu können.

Es ist nicht absehbar, dass sich die politische Lage in der Türkei kurzfristig ändert. Wäre es nicht eine Option, aus dem Vorhaben auszusteigen, um ein Zeichen zu setzen?

Im Gegenteil: Wir wollen das Vorhaben aufrechterhalten. Die Kontakte in Wissenschaft und Bildung sind die letzten, die in so einer Situation abbrechen. Deutschland hat auch mit anderen autoritären Staaten gute wissenschaftliche Kontakte. Wir bemühen uns, an dem Projekt festzuhalten, weil das letztlich auch eine Möglichkeit ist, wenn auch nur bedingt, Einfluss zu nehmen.

Ist das Projekt in seiner Gesamtheit in Gefahr?

Im Moment nicht. Aktuell sieht es so aus, dass das Vorhaben sowohl bei der türkischen Regierung als auch beim Hochschulrat Unterstützung hat. Auf deutscher Seite hat die Mitgliederversammlung des Konsortiums einstimmig beschlossen, dass es wichtig ist, die Kontakte zu halten und das Projekt weiter zu betreiben – so lange die Wissenschaftsfreiheit nicht bedroht ist.

Wie geht es weiter?

Das Projekt ist langfristig angelegt, die Bundesregierung will auf lange Zeit in dem Vorhaben engagiert bleiben. Das Engagement der deutschen Hochschulen wird in der Aufbauphase nun größer sein, als wenn die Hochschule später läuft. Wenn die Bedingungen stimmen, wird die deutsche Seite beteiligt bleiben.

Wieso ist das Vorhaben so wichtig?

Die wissenschaftlichen Kontakte sind sehr wichtig für uns. Und wir hoffen natürlich auch, dass wir darüber den ein oder anderen hochqualifizierten Nachwuchswissenschaftler zu uns holen können. Die Türkei ist eben auch ein riesiges Reservoir an Talenten. Und die werden an der gemeinsamen Hochschule nun ausgebildet – zum Vorteil beider Seiten.

Robert Seckler (Jg. 1954), Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs der Uni Potsdan, koordiniert den Aufbau der Naturwissenschaftlichen

Fakultät der TDU.

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