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Filigranes Bauwerk: Danh Vos Installation „Tropeaolum“ in der Rotunde der Bourse du Commerce.

© Bernhard Schulz

Kunst zum Klima in der Pariser Bourse: Willkommen in der neuen Wirklichkeit

„Vor dem Sturm“: Die neueste Ausstellung im gewaltigen Privatmuseum des Multimilliardärs François Pinault widmet sich den Verheerungen durch das Wetter.

Unwetter, Stürme, Starkregen, all das ist häufiger und heftiger geworden. Je genauer wir das Wetter erfassen können, desto mehr entzieht es sich allen Voraussagen. „Die Störung des Wetters ist zu unserem Hier und Jetzt geworden“, konstatiert Emma Lavigne angesichts dieser neuen Wirklichkeit.

Die Direktorin der Sammlung Pinault hat für die neue Präsentation in der Bourse de Commerce unter dem überdeutlichen Titel „Vor dem Sturm“ Arbeiten gewählt, die der Verunsicherung angesichts der unbeherrschbaren Naturphänomene künstlerischen Ausdruck geben. Und weil die zum Privatmuseum des Multimilliardärs François Pinault umgebaute, ehemalige Handelsbörse von Paris sehr viel Platz bietet, sind auch die gewählten Arbeiten entsprechend groß.

Die vom Architekten Tadao Ando mit einer Rundmauer aus Beton versehene Rotunde der Börse unter der weitgespannten Glaskuppel bietet der Installation von Danh Vo, „Tropeaolum“, den nötigen neutralen Hintergrund. Die Ansammlung von abgeschlagenen Baumstämmen und Ästen, die in hölzernen Gitterkästen so etwas wie Halt finden, breitet sich in alle Richtungen.

Der seit 2006 erst in Berlin und seit 2017 im brandenburgischen Stechlin lebende Danh Vo, Kind einer Familie vietnamesischer Boat People , kombiniert Natürliches und Künstliches, Abgestorbenes und Lebendiges in einer Installation, die den Zustand der Natur lediglich beschreibt.

Solche Haltung ist kennzeichnend für die Werkauswahl. In der raumbreiten Videoinstallation von Hicham Berrada, „Vorahnung“, wird der Betrachter Zeuge ungeahnter Vorgänge wohl auf dem Meeresgrund. Tatsächlich handelt es sich um die gigantische Vergrößerung und Verlangsamung chemischer Reaktionen an korrodierenden Metallen in einem kleinen Wasserkasten.

Der im nordfranzösischen Roubaix lebende gebürtige Marrokaner Berrada versteht sich weniger als Künstler denn als „Beweger von Energien“, wie er sagt, der sichtbar macht, was ohne Eingriffe vor sich geht. Das zahlreiche Publikum der Bourse folgt dem Schauspiel auf der viele Meter breiten Projektionswand in stummer Begeisterung.

Eine Welt ohne menschliches Zutun, das ist ungefähr der rote Faden, der sich durch die sehr stringente Werkauswahl zieht. Von Felix Gonzalez-Torres aus Kuba sind Fotos vom Pariser Doppelgrab von Gertrude Stein und ihrer Lebensgefährtin Alice B. Toklas zu sehen. Ob die Blumen darauf schön sind oder eher bedrohlich, bleibt dem Betrachter überlassen.

Tacita Dean bannt die grandiosen Gebilde sich auftürmender Gewitterwolken in Kreidezeichnungen auf großformatige Tafeln. Die studierte Biologin Anicka Yi hängt leuchtende Lampions auf, in denen es merkwürdig summt. Doch die vermeintlich darin gefangenen Insekten sind künstlich, „robotisch“ nennt sie der Katalog.

Der Brasilianer Jonathas de Andrade zeigt in dem Video „Der Fisch“ die Rituale von Flussfischern im Urwald, die den gefangenen Fisch geradezu zärtlich an sich drücken, bis dieser verendet; ein Ritual zwischen Tötung und Feier des Lebendigen. Der Künstler wird hier zum Ethnologen; oder der Ethnologe zum Künstler.

Danh Vos Installation „Tropeaolum“ in der Rotunde der Bourse du Commerce.

© Bernhard Schulz

Pierre Huyghe schließlich zeigt ein Video, aufgenommen in einem verlassenen Stadtpark von Kassel, in dem ein Hund streunt und jagt, der Kamera unangenehm nah, mehr Wildtier als Hausgenosse. Der inzwischen 60-jährige Pariser gehört zum engsten Kreis der von Pinault geschätzten Künstler, wie auch der 2011 verstorbene Cy Twombly.

Dessen zehnteiliger Zyklus der „Krönung der Sesostris“ wirkt indessen eher als Antithese zur Ausstellung ringsum: als energische Behauptung menschlichen Schöpfertums über die Kräfte der Natur, deren Eigenständigkeit die anderen Künstler doch gerade konstatieren.

Beunruhigend ist diese Ausstellung und vor allem widersprüchlich. Denn schon ihr von Tadao Ando so glänzend hergerichtetes Domizil, die ehemalige Handelsbörse aus der Zeit der ungehemmten kolonialen Entfaltung des französischen „Mutterlandes“, ist die Antithese zu den jetzt gezeigten Werken. In ihrem Katalogbeitrag ruft Emma Lavigne Caspar David Friedrichs Gemälde „Das Eismeer“ als künstlerischen Kronzeugen auf.

Ob das angemessen ist, sei dahingestellt; jedenfalls überlässt Friedrich der Natur, auch wo er sie als übermächtig darstellt, nicht den Vorrang, sondern bleibt der alleinige Schöpfer seines Werks. Unter den gegenwärtigen Künstlern hingegen ist eine Tendenz auszumachen, nur mehr aufzuzeichnen und wiederzugeben, was außerhalb  menschlicher Einflussnahme vonstatten geht.

Ein Rückzug angesichts der Verheerungen, die der Mensch angerichtet hat und weiter anrichtet, und die die jetzige Zeit als eine „vor dem Sturm“ erscheinen lassen, wie es der Ausstellungstitel behauptet.

Paris, Bourse du Commerce, Installation von Danh Vo bis 24. April, die übrige Ausstellung bis 11. September. Täglich 11-19 Uhr. Katalog 45 €.

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