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Kultur: Zwischen Zweifeln und Zettelwolken

Zweimal Kunst im Container ab morgigem Samstag in der Schiffbauergasse erleben

Der Komiker Mike Krüger hat einmal gefragt: „Ist das Kunst oder kann das weg?“ Angesichts der neuen Ausstellung am Ufer des Tiefen Sees auf der Rasenfläche zwischen Oracle und VW-Design-Center mag man ebenso grübeln. Wieder einmal werden Container aufgestellt, drei nackte Blechbüchsen versperren die freie Sicht aufs Wasser: Hat man sie bei der letzten Bauaktion vergessen? Tatsächlich habe sogar Ministerpräsident Platzeck persönlich die sterile Atmosphäre des Areals rund um die Schiffbauergasse bedauert und sich mehr „Patina“ für das Gelände gewünscht. Es dürfe ruhig mal etwas schmutzig wirken, interpretiert Erik Bruinenberg, Kurator der neuen Ausstellung im TAZ III Container auf dem Schirrhof diesen Wunsch. Und so kann am Samstag der Besucher gleich zu drei Eröffnungen pilgern, die unterschiedlicher nicht sein könnten und zumindest den Anspruch auf Interaktivität erfüllen, wie es sich die Stadt wünscht, die hier Fördergelder ausschüttet.

Wenn die Leute nicht zur Kunst kommen, kommt die Kunst zu ihnen, so der Gedanke hinter den Containern, bestätigt Bruinenberg. Im Fall der TAZ-Container auf dem Schirrhof, die von umliegenden Veranstaltungen profitieren, funktioniert das gut, 200 bis 300 Besucher kommen regelmäßig an Wochenenden. Den Container betreten kann man auch mit Bierflasche oder Zigarette in der Hand, Bruinenberg habe hier sogar schon mal Kondome gefunden, sagt er und lacht. „Wir wollen diese Freiheit.“ 20 000 Euro aus dem Marketing-Topf der Schiffbauergasse hat er für die Saison bekommen. Die neue Ausstellung ist die fünfte, eine ungarische Fotografin hat mit ihren wunderbaren, großen Bildern den engen langen Raum bestückt. Ein gewagtes Experiment. Um die fünf etwa ein mal eineinhalb Meter großen Fotografien genussvoll zu betrachten, muss man sich fast an die gegenüberliegende Wand drücken. Die aufgezwungene Nähe fordert eine intime Auseinandersetzung mit dem Thema heraus. Weglaufen unmöglich. „Doubt“ hat Csilla Babinszky ihre Arbeiten genannt. Zweifel. Erst bei genauerem Hinsehen erschließt sich das Warum: Jede der stark vergrößerten Kopien von erotischen Postkarten aus den zwanziger Jahren ist bearbeitet, sämtliche Figuren, ob Frau, ob Mann, tragen Babinszkys eigenen Kopf. Die Sauberkeit der praktischen Abwicklung ist verblüffend, steht aber nicht im Vordergrund. „Ich will mit der eigenen Wahrnehmung spielen, verwirren: Sehe ich, was ich sehen will oder was wirklich existiert? Und was ist Realität eigentlich?“, fragt die Fotografin aus Budapest.

Keine dreihundert Meter weiter die Einladung zu „Dialoge+2“. Die Absicht der blechernen Provokation inmitten der klinisch sauberen Uferlandschaft zwischen Hans Otto Theater und Marktwirtschaft erschließt sich nicht von selbst. Was zum Teil auch daran liegen mag, dass nichts da ist. Anne Metzen von „Standard Euro“ hat zwei der drei Container mit ihrem Archiv für sogenannte „Freie Standards“ bestückt, saubere Holzkisten sind im Innenraum gestapelt. Sie beinhalten Bilder und einen Index, werden aber nur auf Verlangen geöffnet. Manche Kisten sind auch leer, Metzen weiß das nicht so ganz genau. Sie sammelt Information von immer wiederkehrenden Ereignissen oder prägnanten Einzelevents, Mustern, Bildkonen, die sich den Menschen eingeprägt haben und im Unterbewusstsein zu „Standards“ geworden sind. Vom kleinen Alltagsgeschehen bis zur Weltgeschichte. Um „Wolken“ geht es nun in Potsdam, zwei Kisten mit berühmten Wolkenbildern sind aufgeklappt und können eingesehen werden. Im Nebencontainer kleben drei Pressemitteilungen ihres eigenen „Instituts für fiktive Forschung“, in denen sie die Ermittlung des Standards des Wolkenbilds ankündigt. Um die Flüchtigkeit dieser Gebilde zu dokumentieren, wird sie während der Öffnungszeiten Papier zerreißen und eine Zettelwolke anhäufen, im weiteren Verlauf alle Schnipsel abstempeln, nummerieren und in Kisten verpacken.

8000 Euro Gesamtförderung hat die Stadt in die „Dialoge +2“ gesteckt, die Jury wäre begeistert gewesen, sagt Birgit-Katharine Seemann, Fachbereichsleiterin für Kultur. „Damit der Betrachter sein Schubladendenken hinterfragt und in den Kunstdiskurs einsteigt“, hofft auch Kuratorin Isolde Nagel. Sie hat im dritten Container den Berliner Künstler Roland Stratmann untergebracht. Sein Thema: Migration. Über 1000 Plastiktüten hat er außen auf die Wände geknüpft, leicht mit Luft gefüllt bewegen sie sich mit dem Wind. Die Namen auf der Flucht umgekommener Menschen stehen auf den transparenten Tüten. Im Innenraum erkennt der Betrachter erst nach einigem Warten auf 21 vermeintlich leeren Bildtafeln die flüchtigen Umrisse menschlicher Portraits. „Hemelenhel“, Afrikaans für Himmel und Hölle, hat er seine Arbeit betitelt.

Vernissage von „Dialoge+2“ und „Doubt“ am morgigen Samstag um 17 und 20 Uhr auf dem Gelände der Schiffbauergasse

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