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Eine Stadt ist nie Stein, ist immer das, was Menschen aus ihr machen. In „Istanbul, mon amour“, einer Produktion des HOT-Jugendclubs, wird aus der unübersichtlichen Metropole ein Ort für zarte Begegnungen.

© Fanny Belling/HOT

Kultur: Zwischen 1001 Plastikstühlen

Am Freitag hat die HOT-Jugendclub-Produktion „Istanbul, mon amour“ in der Reithalle Premiere

Es ist eine Liebeserklärung. Eine Liebeserklärung an eine Stadt, die schön und hässlich zugleich ist, sinnlich und aufregend, verunsichernd und verstörend: „Ich kann den guten Geist spüren, der Moscheen, Synagogen und Kirchen durchströmt und frage mich, ob es den viel beschworenen Kampf der Kulturen und Religionen überhaupt gibt. Wer will uns das glauben machen? Und warum?“

Und ja, es gibt zahlreiche Liebeserklärungen an Orte, die doch nur Kolosse aus Beton mit der Funktion sind, Abertausenden Menschen ein Dach über dem Kopf zu bieten. Doch ganz so einfach muss es bei künstlerischen Annäherungen an urbane Orte nicht immer zugehen. Schon Peter Fox hat ja mit der Berlin-Hymne „Schwarz zu Blau“ ein lebendiges Klangbild einer Stadt geschaffen, in der das Schöne und das Hässliche nah beieinander liegen.

In der aktuellen Produktion des Theaterjugendclubs des Hans Otto Theaters, aus dem auch das oben genannte Zitat stammt, ist es nun Istanbul: „Istanbul, mon amour“ heißt das Stück, das am Freitag Premiere in der Reithalle hat.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine Gruppe junger Frauen, die gerade in Istanbul ankommen. Sie landen im asiatischen Teil der Stadt, am Flughafen Sabiha Gökçen. Dort also, wo die Billigflieger landen. Von dort geht es weiter in ein Hostel: das klassische Reiseprogramm eben. Erst einmal. Doch im Hostel treffen sie auf zwei türkische Mädchen, die in Berlin aufgewachsen sind, dann stößt noch ein Junge dazu. Gemeinsam tingelt diese Gruppe von Leuten, die sich gerade ers gefunden haben durch die Metropole – und ganz nebenbei entspinnt sich eine zarte Liebesgeschichte, die auf die Stadt übertragen wird. Nicht in tausendundeiner Nacht, sondern an einem Tag und in einer Nacht wird diese Geschichte erzählt. Istanbul, mon amour.

Grundlage für dieses Theaterstück war die Istanbul-Sinfonie des türkischen Komponisten Fazil Say, die am kommenden Samstag, einen Tag nach der Premiere, im Nikolaisaal aufgeführt wird. Seit kurzer Zeit gibt es auch einen Jugendclub im Nikolaisaal, den „Hörclub Kreativ“: Hier entstand die Musik zum Stück. Auli Eberle, die den Hörclub leitet, kam auf den HOT-Jugendclub zu, gemeinsam wurde das Konzept entwickelt: Auf Grundlage der Istanbul-Sinfonie sollte ein Theaterstück realisiert werden, jedoch keine bloße Kopie der Sinfonie: „Das ist kein Abklatsch, sondern eine Inspirationsquelle“, sagt Auli Eberle.

Acht Musiker und elf Schauspieler sind an dem Stück beteiligt, was nicht immer problemlos lief: „Wir waren noch nie komplett zu einer Probe“, gesteht Theaterpädagogin Manuela Gerlach, die zusammen mit Clara Liepsch das Stück leitet. Einfacher ist es mit der Zeit auch nicht geworden: Clara Liepsch hat vor wenigen Wochen eine kurzfristige Zusage für ein Schauspielstudium in München bekommen und lebt mittlerweile dort, dann kam auch noch die Grippewelle dazu. Dennoch: von Panik keine Spur.

„Wir wollten unbedingt türkische Mitspieler haben, außerdem sollten alle bestenfalls schon mal in Istanbul gewesen sein“, sagt Manuela Gerlach, die selbst kurz vor der Stückentwicklung in Istanbul war. Die Rekrutierung türkischer Mitspieler sei aber dann nicht so einfach gewesen: „Das war eine Odyssee, wir haben Dönerläden abgeklappert und waren in der türkischen Botschaft in Berlin.“ Drei sind es letztendlich geworden, die jetzt im Stück mitspielen.

In den Winterferien gab es einen Kompositionsworkshop mit Sinem Altan, einer türkischen Komponistin, die in zwei Welten zu Hause ist: sowohl in der klassischen als auch in der Straßenmusik. Innerhalb von drei Tagen wurden fertige Stücke komponiert, mit soundmalerischen Effekten, ein Stück hatte einen so starken Ohrwurmcharakter, dass es die Titelmelodie in den Umbauphasen wurde.

Überhaupt sei die Musik überwältigend: „Als ich die Musik das erste Mal hörte, war ich sprachlos und hatte Tränen in den Augen“, sagt Ildiko, die die Rolle der Erzählerin hat. Die Atmosphäre Istanbuls findet sich im Stück dann auch auf mehreren Ebenen, auf musikalischer, dramaturgischer – und im Bühnenbild, das von Gisela Hillmann entworfen wurde. Aber wie bekommt man eine Moschee oder eine Brücke auf die Bühne, wie eine Fähre? „Als ich in Istanbul war, tauchten überall Plastikstühle auf“, sagt Manuela Gerlach, die Theaterpädagogin. Also habe man die Plastikstühle ins Bühnenbild integriert – und schnell festgestellt, dass man damit alles nachbauen kann, sogar den Bosporus. Und auf den kommt es an, denn nichts ist so symbolisch wie dieser Punkt, an dem sich Europa und Asien, Orient und Okzident treffen – und an dem der so oft zitierte Kampf der Kulturen und Religionen einfach verblasst, weil er nur ein Konstrukt in den Köpfen ist. Allein das ist schon eine Liebeserklärung wert.

„Istanbul, mon amour“ hat am Freitag, 13. März, 19.30 Uhr Premiere, diese Vorstellung ist bereits ausverkauft. Weitere Vorstellungen gibt es am 15. und 26. März. Die Istanbul-Sinfonie von Fazil Say wird am Samstag, 14. März, um 19.30 Uhr im Nikolaisaal aufgeführt

Oliver Dietrich

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