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Lasziv. Die Gräfin Doralice in Eduard von Keyserlings „Wellen“ (Regie Barbara Bürk) ist für Melanie Straub eine der wichtigsten der Potsdamer Zeit. Hier mit Dennis Herrmann.

© HL Böhme

ZUR PERSON: „Auf nach Moskau!“

Melanie Straub kam mit Tobias Wellemeyer ans HOT. Jetzt zieht sie weiter. Ein Abschiedsgespräch

Frau Straub, was war vor acht Jahren Ihr erster Eindruck von Potsdam?

Ich habe mich sehr auf die Stadt gefreut. Auf das Wasser, die Cafés, die Nähe zu Berlin. Durch meine Schwangerschaft war ich in der ersten Spielzeit nicht auf der Bühne zu sehen, musste aber über die Kollegen erfahren, wie schwierig doch die erste Zeit hier war.

Wie hat das Ensemble es aufgenommen, dass Sie in der letzten Spielzeit von Tobias Wellemeyer nicht mehr dabei sein werden?

Die Nicht-Verlängerung war zum Zeitpunkt, als mein Mann und Schauspielkollege Wolfgang Vogler und ich entschieden, nach Frankfurt am Main zu gehen, noch nicht bekannt. Natürlich gibt es starke Verbindungen durch die intensive lange Zusammenarbeit mit allen, und ein Abschied tut immer weh. Im Laufe der Jahre hat es aber auch immer Wechsel im Ensemble gegeben, und viele Kollegen teilen unsere Aufregung und Freude.

Sie werden das erste Mal frei arbeiten. Von der Schauspielschule gingen Sie direkt nach Magdeburg, dann nach Potsdam. Mischt sich da in die Freude auch Furcht?

Für mich war es eine bewusste Entscheidung, mein Festengagement hier in Potsdam zu beenden und in Zukunft in anderen Strukturen zu arbeiten. Es ist das erste Mal, dass ich in dieser Weise Verantwortung für mich übernehme, und das ist natürlich mit viel Freude verbunden, aber auch mit Angst. Ich habe manchmal Existenzängste, aber das Leben ist nicht sicher. Wir bauen uns Pseudo-Sicherheiten auf. Das zu wissen und zu sagen: Ich lebe und wage etwas, das ist das Wichtige, und die Suche und Neugier. Im Herbst werde ich als Gast am Schauspiel Frankfurt mit dem Regisseur Viktor Bodó arbeiten und anfangen eine Serie zu drehen – auf diese neuen Begegnungen freue ich mich. Und wer weiß, vielleicht kann ich in Zukunft hier in Potsdam in Projekten die Arbeit mit Anja Kozik und der Oxymoron Dance Company fortsetzen. Diese Ausflüge, wenn man es so nennen kann, in den Tanz, fand ich immer toll und sehr bereichernd.

Frankfurt bietet dafür sicher eine größere Spielwiese. Obwohl man als Hans Otto Theater die fabrik vor der Nase hat.

Das weiß ich noch nicht. Es gibt dort eine große lebendige Kulturszene, und ich bin gespannt darauf sie kennenzulernen. Hier kann man den Eindruck bekommen, dass jeder irgendwie seins macht.

Es gab und gibt wenige Berührungspunkte zwischen dem Großen Haus und den kleinen Häusern in der Schiffbauergasse.

Der Reiz auf diesem Gelände liegt darin, dass jeder sein eigenes starkes Profil hat. Und wenn aus diesen Qualitäten ein gemeinsames Projekt entsteht, finde ich das faszinierend – und das ist es für alle Beteiligten, auch für die Zuschauer, so habe ich das erlebt. Ich würde mir wünschen, dass in Zukunft solche Projekte noch mehr gefördert werden. Das würde dieses Quartier schon noch einmal sehr beleben. Aber für so etwas scheint es noch nicht die Zeit zu sein. Die wird vielleicht noch kommen.

Woran liegt diese Distanz? Gibt es Berührungsängste zwischen den Häusern?

Berührungsängste habe ich hier überhaupt nicht gesehen, eher eine große Offenheit. Eine große Lust und Neugier auf die Nachbarn.

Ihre großen Auftritte hier begannen 2011, mit „Eine Familie“. Gibt es eine Rolle, die Ihnen am wichtigsten war?

Herausragend für mich waren Doralice in „Wellen“ und Blanche in „Endstation Sehnsucht“. Weil diese Frauen viele Facetten haben. Weil in den Inszenierungen die Tiefe auch Humor haben darf. Beide Figuren und Arbeiten waren schauspielerisch eine große Herausforderung. Diese Blanche, was für eine vielschichtige Frau! Sie will „Zauber und keinen Realismus“. Ihr Älterwerden ist ein großes Problem für sie, und sie sucht Liebe und eine Berechtigung leben zu dürfen mit all ihren Fehlern. Leider sucht sie das in jemand anderem und nicht in sich. Aber wer macht das nicht? Ich liebe aber auch die Sprache der großen Klassiker, davon hätte ich gern mehr gespielt.

Die großen Klassiker haben Sie nicht in Potsdam, sondern davor in Magdeburg gespielt: Iphigenie, Effi Briest, Emilia Galotti.

Das stimmt. Ich habe hier in Potsdam aber auch die Katharina in der „Widerspenstigen Zähmung“ gespielt, allerdings in einer neuen Übersetzung, die fast umgangssprachlich war. Aber Kleist zum Beispiel, das wäre für mich persönlich eine echte Herausforderung der sprachlichen Durchdringung gewesen, der ich mich gern gestellt hätte. Das Schauspiel ist Handwerk, das mag ich, die griechischen Tragödien, der klassische Vers.

Sie schienen abonniert auf die Rolle der Zerbrechlichen, Verzagten.

Ich habe ja auch viele komische Rollen gespielt, aber im Grunde stimmt es. Die Hirnforscherin Vera Birkenbihl sagt, dass Schauspieler aufpassen müssen, wenn sie immer ängstliche oder zerbrochene Charaktere spielen – weil das etwas mit einem macht. Und das tut es wirklich. Das habe ich letztes Jahr gespürt. Ich liebe das Drama, die Tiefe, aber es verändert einen. Aber man ist bei der Rollenvergabe ja vom Blick der anderen abhängig, von dem, was sie in einem sehen.

Und irgendwann hat man dann einen bestimmten Stempel auf der Stirn.

Wenn es schlimm kommt, ja. Im Film ist das noch ausgeprägter und festgelegter als im Theater. Ich habe jetzt sogar überlegt, ob ich mir die Haare ganz kurz schneide. Nur um zu sagen: Nein, ich bin nicht nur dünn, lang und hab lange Haare. Oder wie es meine Figur Emily in „Geächtet“ an einer Stelle so schön sagt: „Wir lassen uns viel zu sehr von Äußerem beeinflussen.“ Je älter ich werde, desto mehr beschäftigt mich das.

Sie haben in Potsdam zwei Kinder bekommen. Hat das Muttersein Sie als Schauspielerin verändert?

Ja. Früher fiel es mir sehr schwer, Rollen nach der Probe an den Nagel zu hängen, abzuschalten. Das ist heute anders. Wenn man die Kinder abholt, dann zwingen die Kinder einen dazu. Früher waren das Theater und das Ensemble mein Leben, meine Familie. Jetzt gehe ich nach Hause zu meiner Familie.

Wie haben Sie die Kritik erlebt, die Ihre „Familie“ am Theater, vor allem Tobias Wellemeyer, in Potsdam erfahren hat?

Ich fand von Beginn an die Kritik hier in Potsdam, vor allem von Seiten der MAZ, unwürdig, zerstörend. Es ist immer so persönlich, was man als Schauspieler auf der Bühne zeigt. Eine dahingeworfene Kritik kann viel zerstören. Was Tobias Wellemeyer angeht, verstehe ich nicht, wie man ihn erst nach Potsdam holen konnte, um ihm dann vorzuwerfen, dass er macht, was er schon in Magdeburg gemacht hatte: zu viel Sozialkritik, zu viel Tiefe. Das hat mich sehr verwundert.

Und die Vorwürfe in Bezug auf die Ensembleführung im letzten Herbst?

Die Vorwürfe haben uns natürlich auch alle sehr beschäftigt. Das hatte in der Presse nichts zu suchen. Man arbeitet intensiv zusammen, man sucht in den Proben nach einer gemeinsamen künstlerischen Sprache, man streitet sich, man lacht, manchmal schreit man sich auch an – so ist das am Theater, ganz einfach weil wir sehr eng und persönlich miteinander arbeiten. Was die Arbeitsbedingungen der Schauspieler betrifft, sind das aber größere gesellschaftliche Fragen. Dass wir am Vortag erfahren, wann wir am nächsten Tag proben, ist schon eine große Herausforderung, gerade was die Planung für Familien betrifft. Dass Frauen weniger verdienen als Männer, darf auch nicht sein. Das sind die wichtigen Dinge, die in die Presse sollten.

Und die hiesige Presse war Ihrer Meinung nach von Vorneherein nicht offen für das, was Tobias Wellemeyer hier versuchte?

Doch, es gab Journalisten, die offen waren, Dirk Becker zum Beispiel oder Heidi Jäger. Aber ja, bei einigen habe ich eine große Reserviertheit wahrgenommen. Natürlich ist in so einer Situation dann die Frage: Was macht ein Theater? Bleibt man bei seinem Programm und wird waghalsiger? So hat Armin Petras das in Stuttgart gemacht. Er hat gesagt: Ich muss mein Publikum erziehen. Das ist eine Möglichkeit. Und Tobias Wellemeyer hat sich entschieden, auf die Stadt zuzugehen. Dabei gibt es aber kein richtig oder falsch, und ich kann und will das nicht werten. Fakt ist aber, beide beenden jetzt ihre Intendanzen.

Was auffällt: Mit Wolfgang Vogler waren Sie hier selten zusammen auf der Bühne.

Das stimmt. Bevor die Kinder kamen, waren wir oft auch auf der Bühne das Liebespaar. Aber jetzt als Eltern haben wir die Leitung gebeten, uns weniger zu zweit in einer Produktion zu besetzen.

Ihr letzter gemeinsamer Auftritt in Potsdam war in den „Drei Schwestern“ – Sie als Olga, Wolfgang Vogler als Werschinin.

Da war ein sehr starker Abend, für alle. Es geht in dem Stück ja um Abschied. Wir als Schwestern sagen da: „Irgendwann werden wir auch für immer weg sein. Man wird uns vergessen, unsere Gesichter, unsere Stimmen. Man wird vergessen wie viele wir waren.“

Anders als im Stück sind Sie jetzt die Weiterziehende, und die Bleibenden sind wir.

Stimmt. Auf nach Moskau!

Moskau ist bei Tschechow der Sehnsuchtsort. Haben Sie ein persönliches Moskau?

Ich habe viel darüber nachgedacht. Frankfurt ist nicht meine absolute Wunschstadt. Eher Hamburg, die Nordsee. Deswegen war mir die Doralice in den „Wellen“ auch so nah.

Das Gespräch führte Lena Schneider

Melanie Straub stammt aus Waiblingen bei Stuttgart. Die ausgebildete Physiotherapeutin studierte an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. 2004 engagierte sie Tobias Wellemeyer ans Schauspiel Magdeburg, 2009 folgte sie ihm ans Hans Otto Theater und spielte zahlreiche Hauptrollen, wofür sie 2015 den Potsdamer Theaterpreis erhielt. Mit der kommenden Spielzeit zieht Melanie Straub nach Frankfurt/M., wo ihr Lebenspartner Wolfgang Vogler ein Engagement antritt. F.: A. Klaer

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