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Zwischenweltler. Dieter Schlesak (1934-2019).

© Traian Pop

Nachruf Dieter Schlesak: Zuhause im Vergessen

In der diktaturbedingten Fremde: Zum Tod des rumäniendeutschen Autors Dieter Schlesak.

Als Dieter Schlesak im Jahr 2005 die Ehrendoktorwürde der Universität Bukarest erhielt, ließ er in seiner Dankesrede noch einmal die „diktaturbedingte Fremde“ seines halb italienischen, halb bundesrepublikanischen Exils Revue passieren. 1934 im siebenbürgischen Schäßburg geboren, sah sich der 1969 Emigrierte als einen in der „Zwischenschaft“ schreibenden „Zwischenschaftler“.

Außerhalb der geografischen und ideologischen Grenzen, die ihm die rumänischen Kommunisten zogen, widmete sich Schlesak ab Ende der Sechzigerjahre unter anderem der übersetzerischen Vermittlung zwischen den Kulturen. So zum Beispiel, wenn er den Neomodernisten Nichita Stanescu kongenial ins Deutsche übersetzte. In Lyrik, Prosa und Essay stellte er oft von der Zeitgeschichte an den Rand gedrängte Biografien in den Mittelpunkt. In seinem Roman „Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens“ (1986) durchläuft man das todbringende Feld der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. In der Verlängerung der Schuldfrage tut sich die Suche nach dem richtigen Handeln im Atomzeitalter auf.

Sein bekanntester Roman „Capesius. Der Auschwitzapotheker“ (2006) war das Ergebnis längjähriger Recherchen. Es gehört zur Tradition der dokumentarischen Literatur wie Rolf Hochhuths Schauspiel „Der Stellvertreter“. Der multiperspektivische Blick auf den SS-Offizier Viktor Capesius kulminiert in der aufwühlenden Sprache der von ihm selektierten KZ-Gefangenen Mariana Adam. 1964 sagte sie im Frankfurter Auschwitz-Prozess gegen ihn aus.

In der Kontroverse um Oskar Pastiors Jahre als inoffizieller Mitarbeiter der Securitate, die in einer weitgehenden Entlastung von persönlicher Schuld endete, ergriff auch Schlesak das Wort. Er machte den Kollegen nach anfänglicher Verteidigung verantwortlich für den Selbstmord des Dichterfreundes Georg Hoprich. Außerdem zitierte er aus Akten, in denen Pastior ihm bescheinigte, seine Literatur sei „hermetisch, kalt und unfähig, ein Gefühl oder eine Botschaft zu vermitteln, die die Leser in unserem Land angehen“. Wären die Securitate-Geschichten nicht für Opfer, Täter und alle dazwischen so tragisch, könnte man solche Bespitzelungsakte auch besser als Auskunft über schriftstellerische Konkurrenz lesen. Es ließe sich dann leichter über Wolfgang Hilbigs These schmunzeln, wonach der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt sei, wenn jeder ein Spitzel wäre.

„Vergiss endlich dein Heimweh: / du bist im Vergessen zu Haus“: So schrieb Schlesak in der ihm eigenen Wärme. Am 29. März ist er mit 84 Jahren im toskanischen Camaiore gestorben. Der Ludwigsburger Pop Verlag bereitet nicht zuletzt aus seinem ans Literaturarchiv Marbach gegangenen Vorlass eine umfangreiche Werkausgabe vor.

Alexandru Bulucz

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