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Das in Potsdam neue Zentrum für Popularmusik bietet zwar keine Probenräume, dafür aber einen Bandraum sowie Seminarräume.

© Andy Flischikowsky

Zu wenige Proberäume: Bands in Potsdam haben ein großes Problem

Potsdam ist reich an Kunst und Kultur – nur Platz für den Nachwuchs ist knapp. Vor allem Bandprobenräume fehlen. Viele Musiker nehmen lange Wege ins Umland in Kauf, um zu proben. Doch die Situation könnte sich bald verbessern.

Potsdam - Benjamin Kleine hat in Potsdam alles, was ihn glücklich macht: seine Familie, eine Freundin, Freunde – und Fans, die ihn als Musiker schätzen. Regelmäßig ist der Schlagzeuger mit seinen Bands Red Cardinal und My Inner Circle auf Potsdams Bühnen zu Gast, bereichert damit das Kulturprogramm in der Stadt. Fast ironisch scheint es, dass diese Stadt dem 26-Jährigen ausgerechnet eines nicht bieten kann: einen Ort zum Üben. „Es gibt aktuell in Potsdam keinen für uns erschwinglichen Proberaum, der unsere Anforderungen erfüllt“, sagt er. Womit er sich stattdessen konfrontiert sieht: hohe Mieten und Räume, die Schall- und Brandschutzauflagen nicht erfüllen.

Zum Musikmachen muss die Band regelmäßig nach Werder fahren

Um dennoch Musik machen zu können, müssen Benjamin Kleine und seine Bandkollegen seit Monaten regelmäßig nach Werder fahren. Bei Wind und Wetter, mit Instrumenten im Gepäck. „Manchmal sehr anstrengend, durch den Feierabendverkehr nach der Arbeit“, sagt auch Tom Marks, der Gitarrist von Red Cardinal, der in einem Krankenhaus im Operationssaal arbeitet. Dass die Bands einen Proberaum in Werder gefunden haben, sei vor allem guten Beziehungen zu verdanken, sagt Benjamin Kleine. Schon länger macht der Drummer mit Adi Magler zusammen Musik, dem Inhaber der „Gitarrenfabrik“ in Werder. Hier gibt es neben Gitarrenunterricht, Musikproduktion und Instrumentenbau auch zwei Proberäume, von denen nun einer genutzt wird. Sieben Bands, darunter auch die lokale Größe „Stadtruhe“, eine Band, die in Potsdam ebenfalls keinen Raum fand, proben inzwischen hier.

Wer sich ein aktuelles Bild von der Musikszene in Potsdam machen will, begegnet immer wieder solchen Schilderungen wie denen von Kleine. Es ist nicht neu, dass in Potsdam ein Mangel an Proberäumen besteht. Auch diese Zeitung berichtete bereits darüber, zuletzt, als rund 30 Bands aus Räumen in der Ahornstraße ausziehen mussten. Die beiden Bands, in denen Kleine spielt, gehörten auch dazu.

Aus Kleines Sicht verschlimmert sich die Situation immer mehr

Was in der Folge aber erst jetzt sichtbar wird, ist das Ausweichen vieler Musiker auf den Stadtrand und Städte wie Werder oder Berlin. Denn, so erklärt Kleine: „Die Situation verschlechtert sich zunehmend. An jeder Ecke werden Proberäume dichtgemacht und müssen geldhungrigen Immobilienprojekten weichen.“

Jemand, der einen guten Überblick über die Musikszene in Brandenburg hat und ein Ausweichen an den Potsdamer Rand oder in andere Städte bestätigen kann, ist Franziska Pollin, Projektleiterin für die Popularmusikszene in Brandenburg. Als „Popmusikbeauftragte“ arbeitet sie an funktionierenden Strukturen für Musiker und Verwerter von Popmusik im Land Brandenburg. „Allerdings trifft das mit der Abwanderung im Allgemeinen auf alle Kreativen Potsdams zu“, sagt sie. „Eine Verdrängung an den Rand von Musikern und Künstlern ist nicht zu übersehen.“ Zwar sei es üblich, dass der Kultursektor immer zuerst von Kürzungen betroffen sei, wenn es zum Beispiel Probleme wie einen Mangel an Kitaplätzen gebe. Außerdem sei in Potsdam angesichts der wachsenden Einwohnerschaft der Fokus auch privater Immobilienfirmen auf Wohnraumvermietung und -verkauf gerichtet.

Popmusikbeauftragte: Ist der Raum für Künstler überhaupt gewollt?

„Es hat einfach viel mit der Enge von Potsdam zu tun“, sagt sie, und deshalb seien auch Auftrittsmöglichkeiten begrenzt. Jedoch: So, wie es aktuell aussehe, müsse die Stadt sich die Frage gefallen lassen, ob es überhaupt gewollt ist, dass Musikern und Künstlern in der Stadt ausreichend Raum zugebilligt wird, sagt Pollin. „Dabei sehe ich die lokale Politik durchaus in der Verantwortung für die Kreativen, die ein kulturelles Angebot in der Stadt schaffen.“ Nichts zu unternehmen, weil etwa auf eine private Initiative hin in Bergholz-Rehbrücke – am Stadtrand – Container für Bands aufgestellt wurden, könne jedenfalls nicht die Lösung sein. Auch deshalb nicht, weil es unter anderem dort im Winter zu kalt und im Sommer zu heiß sei, wie unter anderem die Band „Stadtruhe“ bemängelt, die eine Zeit lang dort probte.

Mehr Unterstützung seitens der Stadt wünscht sich auch der 29-jährige Mick Splisteser von der Band „14-4 Liquor Store“. Er weiß Ähnliches wie Benjamin Kleine zu berichten. Auch seine Band zog im Sommer 2017 in einen Werderaner Proberaum, nachdem sie zuvor ein halbes Jahr einen Ort in Potsdam gesucht hatte – erfolglos. „Entweder war die Miete viel zu teuer für die Konditionen, die wir bekommen hätten, oder die Räume waren teilweise mit bereits drei oder mehr Bands besetzt“, erklärt er.

Im „Archiv“ habe es noch funktioniert

Jetzt sei die Band zwar froh über Werder, aber: „Wir haben höhere Fahrtkosten oder fahren 40 Minuten mit dem Fahrrad.“ Auf die Frage, wie er die Situation von Nachwuchsmusikern in Potsdam einschätzt, sagt Mick Splisteser: „An Potsdam begreife ich nicht, weshalb man sich Kunst und Kultur so plakativ auf die Fahne schreibt, historische Gebäude rekonstruiert und dort massiv Geld reinbuttert, während man im gleichen Atemzug den künftigen Goethes und Bachs nur Steine in den Weg legt.“

Von jungen Talenten made in Potsdam hätte schließlich am Ende auch die Stadt etwas, findet Mick Splisteser. Doch ohne Kreativraum hätte Nachwuchs es sehr schwer. Und noch etwas sagt Splisteser: Dass nur schwer neue Projekte entstehen können, wenn es keine Orte mehr gibt, an denen Bands überhaupt und zusammen mit anderen Künstlern – Malern, Fotografen – arbeiten können. Funktioniert habe das noch im Kulturzentrum „Archiv“, wo Tür an Tür mit anderen Musikern geprobt wurde. Doch die Räume wurden geschlossen, nachdem der betreibende Verein in die Pflicht genommen wurde, Baumaßnahmen vorzunehmen.

Derzeit wird an einer möglichen Lösung gearbeitet

Wer in Potsdam dennoch Musik machen will, der vernetzt sich mit anderen, nimmt dankbar an, was ihm zumindest übergangsweise angeboten wird, berichten die betroffenen Musiker. Als bedauerlich empfinden sie, dass die schwierigen Umstände zwangsläufig auch auf Kosten der sozialen und emotionalen Bindung zur Stadt gehen – auch wenn der Einzelne noch so sehr an dieser hängt.

Geträumt wird in der Szene allerdings weiterhin von einem Ort zum Musikmachen, der auch für kleinere Projekte bezahlbar ist. Und tatsächlich gibt es jemanden, der gewillt ist, das möglich zu machen: Holger Maack von der Deutschen Rockmusik Stiftung. Im Sommer dieses Jahres war Maack zu Gast beim Popup Kongress in Potsdam. Da sei das Musiker-Thema in aller Munde gewesen und für ihn war schnell klar, dass er helfen will. „Rund 500 000 Euro aus Bundesmitteln kann die Rockmusik Stiftung investieren“, sagt er, und zwar idealerweise in ein „Musikzentrum mit Proberäumen, Tonstudio, Büros und Café.“ Aktuell gäbe es Gespräche mit der Stadt Potsdam, und auch die Pro Potsdam sei einbezogen. Im Januar werde die Stiftung bei der Stadt ein Konzept einreichen, dann könnten die Pläne konkreter werden.

Es geht um ein Grundstück in der Schiffbauergasse

Im Gespräch ist Holger Maack zufolge aktuell ein Grundstück in der Schiffbauergasse, was seitens der Stadt auch bestätigt wird. „In der Landeshauptstadt Potsdam besteht ein dringender Bedarf an Bandprobenräumen“, sagt Christine Homann, Pressesprecherin der Stadt Potsdam. „Derzeit sucht die Stadtverwaltung nach Möglichkeiten der Schaffung solcher Räume – auch im Kunst- und Kulturquartier Schiffbauergasse.“ Es werde geprüft, ob dort eventuell ein Neubau möglich ist, Ergebnisse seien im ersten Quartal 2019 zu erwarten.

Die Deutsche Rockmusik Stiftung signalisierte, auch für andere Orte offen zu sein – nur eines sei ihr ein Anliegen: „Wir wollen da investieren, wo die Menschen leben, also in der Stadt.“ Möglich also, dass Benjamin Kleines Glück doch noch vollkommen wird, wenn es künftig zum Proben in die Schiffbauergasse geht statt nach Werder.

Andrea Lütkewitz

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