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Zeitgenössische Klänge: Puzzlespiele und Klöppelarbeiten

Das Ensemble KAPmodern entführt im Foyer des Nikolaisaals musikalisch in die Dunkelheit.

Potsdam - Still und starr ruht nicht nur der See, sondern auch die Seele. Dann aber ist die Melancholie nicht mehr weit. Und die Nacht, die genauso Geborgenheit und Geheimnis wie Angst und Gefahr bereithalten kann. Der englische frühbarocke Lautenvirtuose John Dowland wusste um die todessehnsüchtigen Gefahren der Nacht und besang sie im Song „In Darkness let me dwell“ („Im Dunkel lass’ mich wohnen, das Fundament soll Kummer sein“).

In diese unergründlichen Welten entführte am Mittwoch im Nikolaisaalfoyer das KAPmodern-Ensemble die neu-gierigen Zuhörer. Mit tiefenpsychologischem Spürsinn hatten die von zeitgenössischen Klängen inspirierten Musiker ein engagiertes Programm zusammengestellt, das dem Unbewussten auf die Spur zu kommen trachtete. Dabei saßen – frei nach Brecht – die einen (das Publikum) im Dunkeln und die andern (der/die Musiker) größtenteils im Licht.

Präzise Schlagarbeit

Für die klangliche Realisation des rhythmisch überaus vertrackten „Bone Alphabet“ für Percussion solo des Engländers Brian Ferneyhough war der Schlagzeuger Adam Weisman und sein siebenteiliges Arbeitsgerät in orangefarbenes Spotlicht getaucht. Es bestand aus Metall-, Holz- und Fellklinger, die das Knochen-Alphabet zwischen laut und leise, hell und dunkel, weich und hart buchstabierten. Seine präzisen Schlagarbeiten mit drei gleichzeitig gehandhabten Schlegeln mieden die Brachialattacken, wirkten oftmals wie zärtlich hingetupft. Man konnte bei diesem klanglichen Puzzlespiel, dessen Einzelteile der Interpret suchen und neu zusammensetzen musste, Pferdegetrappel, Graupelschauer oder einen aufgeregten Ritt durch die Nacht assoziieren. So entstand ein Spannungsfeld, das sowohl meditative Anmutungen als auch nur Langeweile entwickelte.

Originell für Bassflöte (Bettina Lange), Bassklarinette (Theo Nabicht) und Horn (Abigail Sanders) sowie je sechs Orgelpfeifen und Staubsauger besetzt, sorgte das „Humus“-Stück von Carola Bauckholt für geradezu archaische Klangeindrücke. Reizvoll, wie menschliches mit mechanischem Blasen korrelierte, wobei letzteres die klangliche Urschicht, also den Humus, erzeugte. Er bestand aus brummenden, langgehaltenen Windgeräuschen, die für ein steuerpultgesteuertes Grundrauschen sorgten. Darüber schoben sich die Bläserstimmen, die mit rhythmischem Raffinement und dynamischen Schattierungen geräuschhafte Abwechslungen (Motorengebrumm eines anfliegenden Flugzeuggeschwaders) boten. Bei aller Blaskunst wirkte dieser aus Dunklem ins Helle strebende Humus ziemlich monoton.

Atemgeräusche als Musik

Beklemmend und eindringlich dagegen die geräuschhaft-pantomimische Anklage „I funerali dell’anarchico Serantini“ von Francesco Filidei. Dabei sitzen sechs Personen am Tisch, erzählten per Atemgeräusche (von tiefem Grummeln bis gefährlichem Knurren und Knarzen), mit rhythmischem Klatschen oder abrupten Kopfbewegungen vom Tod des Anarchisten in einer Mischung aus Begräbnisfeier und gerichtlichem Tribunal.

In totaler Finsternis erklang dagegen das 3. Streichquartett „In iij.Noct.“ des Georg Friedrich Haas, bei dem die Musiker (Susanne Zapf, Laura Rajanen, Ralph Günthner, Jan-Peter Kuschel) weit auseinander auf der Empore sitzen und sich nicht sehen, sondern nur hören können. Auch hier ein Puzzlespiel, diesmal der angsteinflößenden Art. Schaben und Streichen, Zupfen und Knarzen der Saiten – eine perfekte Thrillerfilmmusik für eine Geisterjagd und Mörderhatz durch nächtliches (Klang-)Gestrüpp. Schillersches Fazit: „Dunkel war der Rede Sinn!“

Peter Buske

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