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Mit seiner Revue „An alle!“ (Premiere am 18. Oktober 1924, Titelblatt des Programms) begründete Erik Charell am Großen Schauspielhaus seinen Ruf als „Revuekönig“.  Da war an dessen Umwandlung zum „Theater des Volkes“ durch die Nazis noch nicht zu denken.

© Archiv Friedrichstadt-Palast

Bombenstimmung auf der Bühne: Das „Theater des Volkes“ sollte das Publikum im Krieg bei Laune halten

Für Goebbels war gute Laune „ein Kriegsartikel“: Der Friedrichstadt-Palast erinnert mit einem Buch an die dunkelste Phase seiner über 100-jährigen Geschichte

In der Nacht zum 17. Januar 1943 rückte der Krieg der Reichshauptstadt so nahe wie nie. Kleinere Luftangriffe hatte es schon vorher gegeben, nun begann die Royal Air Force mit massiven Flächenbombardements. Auch an der Front wurde die Lage bedrohlich. Am 3. Februar gab das Oberkommando des Heeres die totale Niederlage der 6. Armee in Stalingrad bekannt, in Nordafrika deutete sich Ähnliches an, während Propagandaminister Joseph Goebbels am 18. Februar im Sportpalast den „totalen Krieg“ ausrief.

„Bei uns wird nicht gefackelt“

Keine gute Zeit für die leichte Muse, sollte man meinen, doch am 26. Mai feierte im „Theater des Volkes“, dem ehemaligen Großen Schauspielhaus Max Reinhardts am Schiffbauerdamm, die Neuinszenierung von Walter Kollos Operette „Wie einst im Mai“ Premiere. Das Singspiel von 1913 war vom Intendanten Rudolf Zindler, dem Schauspieler und Drehbuchautor Walter Lieck und Kollos Sohn Willi musikalisch wie textlich aktualisiert worden, nicht ohne mit der bedrohlichen Gegenwart zu kokettieren: „Heute Nacht wird lange Nacht gemacht, / Und wenn die Bude wackelt! / Heut geht es durch bis früh um acht, / Bei uns wird nicht gefackelt.“ Mit Hintersinn wurde eine Bombenstimmung beschworen - ein Fall von Galgenhumor, der mal wieder als Ventil für die Ängste der Menschen herhalten musste, als Möglichkeit, sich mit einem Lachen für einen kurzen Moment davon zu befreien.

Für Max Reinhardt gestaltete Hans Poelzig das Große Schauspielhaus als „Tropfsteinhöhle“ (oben). Im Sommer 1938 formte der Architekt Fritz Fuß die expressionistische Architekturikone im Auftrag der Nationalsozialisten um (unten).

© Archiv Friedrichstadt-Palast

Das „Bedürfnis nach künstlerischer Entspannung“ zu befriedigen, das sei „unsere Aufgabe an der Heimatfront“, hatte Zindler kurz nach Kriegsbeginn in einem Programmheft verkündet. Das galt nun mehr denn je. „Die gute Laune ist ein Kriegsartikel“ - schon 1942 hatte Goebbels dies im Tagebuch notiert, der ohnehin subtile, beiläufige Propaganda der unverhüllten Indoktrination vorzog.

Anfangs bestimmten noch Klassiker wie Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ (Premiere am 15. September 1934, Titelbild des Programmhefts) das Programm des „Theaters des Volkes“. Später setzte man auf Operetten.

© Archiv Friedrichstadt-Palast

„Theater des Volkes“ - dieser in der NS-Zeit gültige Name für den aus einer alten Markthalle hervorgegangenen, am 21. Juni 1944 bei einem Luftangriff schwer getroffenen Theaterbau ist im kollektiven Gedächtnis der Stadt nicht allzu präsent. In der über 100-jährigen Bühnengeschichte des Großen Schauspielhauses und späteren Friedrichstadt-Palastes sei die NS-Zeit „das nahezu vergessene Kapitel“, wie Herausgeber Guido Herrmann in der Einleitung zu dem Buch „‚Dein Tänzer ist der Tod‘. Das Berliner ‚Theater des Volkes‘ im Nationalsozialismus“ schreibt.

Der erste Band einer geplanten Trilogie

Am Friedrichstadt-Palast, der 1984 in den Neubau an der Friedrichstraße umzog, ist Herrmann Verwaltungsdirektor und Vertreter des Intendanten Berndt Schmidt, der das Vorwort beisteuerte. Das Buch mit seiner, so Schmidt, „schonungslosen Ausleuchtung der NS-Zeit durch die Historikerin Sabine Schneller“ ist ein spannendes, akribisch recherchiertes Folgeprodukt der Jubiläumsspielzeit 2019/20 („Ein Jahrhundert Palast“) - und zugleich der erste Band einer geplanten Trilogie zur Geschichte des Hauses.

Hermann Göring und Joseph Goebbels (r.) konkurrierten innerhalb der NS-Hierarchie um Einfluss auf das Theater. Die Aufnahme entstand bei einer Versammlung der Theaterleiter im Berliner Hotel Kaiserhof. am 8. Mai 1933.

© Archiv Friedrichstadt-Palast

Wobei schon dieser die Frühzeit der zunächst von Max Reinhardt und dem „Revuekönig“ Erik Charell geprägten Bühne kurz schildert, deren „formaljuristisch scheinbar legale Aneignung“ durch die Nazis kaum verhüllt „die Züge eines Raubes“ getragen habe. Die Beute hatten sich Goebbels und Robert Ley, Chef der Deutschen Arbeitsfront und ihrer fürs Theater zuständigen Unterorganisation „Kraft durch Freude“, geteilt. Anfangs führte das zu heftigem Machtgerangel mit vielen Interessenkonflikten.

Während man im Propagandaministerium „ein kulturpolitisches Zeichen setzen und mit anspruchsvollen Klassikern zu billigen Preisen ,Theatererziehungsarbeit’ im Sinne des Nationalsozialismus leisten“ wollte, setzten Ley und seine KdF-Organisation auf leichte Unterhaltung - ein Konzept, das sich schließlich durchsetzte, schon vor dem Hintergrund des Krieges mit dem immer dringlicheren Zwang, die Volksgenossen bei Laune zu halten.

Bei einem Bombenangriff am 21. Juni 1944 wurde das „Theater des Volkes“ schwer getroffen und musste den Spielbetrieb einstellen (im Vordergrund die Unterkonstruktion der Drehbühne).

© Archiv Friedrichstadt-Palast

Dem waren schon durch die Ausgrenzung und Vertreibung jüdischer Autoren und Komponisten Grenzen gesetzt, waren sie doch oft die Schöpfer der populärsten Operetten - des Genres, das zuletzt fast ausschließlich das Programm füllte. Wie passend war es da, dass der jüdische Librettist Benno Jacobson schon 1922 verschwiegen worden war, als das von ihm betextete Lied „Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft“ in Paul Linckes bereits 1899 uraufgeführte Operette „Frau Luna“ integriert wurde. Daran hielt man sich selbstverständlich auch bei der Neuinszenierung 1934 im „Theater des Volkes“, wie Goebbels und seine Theaterverantwortlichen ohnehin bei heiklen Fällen eher pragmatisch als ideologisch handelten.

Jüdische Urheber der unverzichtbaren Gassenhauer wurden eben verschwiegen, und wenn ein altes Lustspiel von 1844 zur aktuellen Operette aufgemöbelt wurde, waren selbst Figuren aus Feindstaaten kein Problem: Am 2. Oktober 1940, während noch die „Battle of Britain“ tobte, hatte die Operette „Über alles siegt die Liebe“ Premiere. Aus dem britischen Gesandten aber, der in der Vorlage „Zopf und Schwert“ von Karl Gutzkow als Retter des Liebesglücks wirkte, war nun ein neutraler Schwede geworden.

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