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Künstler in schwerer Zeit. Der Komponist Dmitri Schostakowitsch.

© DB/dpa

Kultur: Wie besteht ein Künstler in der Diktatur?

Nikolaisaal: Eine Nacht mit Schostakowitsch

„Es bildet ein Talent sich in der Stille, sich ein Charakter in dem Strom der Welt“: Von diesem Goetheschen „Torquato Tasso“-Postulat dürfte auch das Werden und Wirken des russischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch zeitlebens bestimmt gewesen sein. Wobei der Strom ihm mal friedlich fließend zum Quell der Anerkennung wurde, dann wieder – von politischen Stürmen aufgepeitscht – sein künstlerisches Dasein infrage stellte.

Wie eigentlich besteht man als Künstler in einer Diktatur? Antworten darauf suchte die um 18 Uhr beginnende und gegen 23 Uhr endende Dmitri-Schostakowitsch-Nacht am Samstag im ausverkauften Nikolaisaal zu geben. Zur Einstimmung lief der englischsprachige, mit klitzekleinen, kaum lesbaren deutschen Untertiteln versehene Dokumentarfilm „Schostakowitsch – Ein Mann mit vielen Gesichtern“ von Reiner E. Moritz. In ihm erzählte der russische Dirigent Waleri Gergijew von historischen Hintergründen, wichtigen Lebensstationen des Komponisten und charakterisierte dessen Musik anhand exemplarischer Werke. Ergänzt wurden seine Kurzanalysen durch Konzertausschnitte. Man erfuhr viel über Schostakowitschs Klangintentionen, die nicht politisch sein wollten und durch ihre oftmalige Doppelbödigkeit, Ironie und sarkastische Zuspitzung eine enorme politische Sprengkraft in sich bargen. Rare Filmaufnahmen von ihm als Pianisten und in Statements, Äußerungen seines Sohnes Maxim, des Dirigenten Jewgeni Mrawinski und anderer Zeitzeugen rundeten das Porträt ab.

Den nachfolgenden ersten und dritten Konzertteil bestritten das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt und sein mit Auftrittsapplaus überschütteter Chefdirigent Howard Griffiths. Davon, dass Schostakowitsch ein erfahrener Komponist von über 40 Filmmusiken war, kündete die Suite „Owod“ (Die Hornisse). Sechs Sätze, die zwischen pathetisch, düster-beklemmend und martialisch-plakativ vom italienischen Freiheitskampf künden, wurden mit vibrierender Leidenschaft, gefühlsintensiv und sprühendem Witz musiziert. Mit schmelzend-singendem Ton spielte Klaudyna Schulze-Broniewska das „Romanzen“-Geigensolo, während Thomas Georgi mit intensivem Cellostrich im „Nocturne“ begeisterte. Nicht weniger beeindruckend erklang das Konzert für Klavier, Trompete und Streicher c-Moll op. 35, ein spritzig-witziges Werk voller funkelnder und parodistischer Einfälle. Mit perkussiver Bravour, geläufiger Fingerakrobatik und kraftvollem Anschlag fegte Antonii Baryshevskyi in den schnellen Sätzen über die Tasten, um sich im Lento-Satz ganz dem lyrischen Tastenspiel hinzugeben, das die gestopfte Trompete des aufstrebenden französischen Trompetenstars Romain Leleu gefühlvoll unterstützte. Ansonsten brillierte er mit kraftvoll strahlenden Tönen. Gleich einem Rossinischen Geschwindmarsch galoppierten beide Solisten mit pointierten Attacken durch das Finale. Eine gassenhauerische Zugabe des Pianisten dankte dem Bravojubel.

Der zweite Konzertteil galt dem ergreifenden Streichquartett Nr. 8 c-Moll, das dem Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges gewidmet ist. Als Gesprächskonzert konzipiert, erläuterten die Mitglieder des Mandelring-Quartetts ihr Verhältnis zur Musik Schostakowitschs. Befragt wurden sie von NDR-Moderator Ludwig Hartmann, dessen allgemeinplatzreiche und wenig sinnerhellende Bemerkungen auch dem Abend insgesamt nicht dienlich waren. Dafür überzeugten die Vier mit Brillanz, angemessener klanglicher Schärfe, extrem abgestufter Dynamik und gefühlsberstender Intelligenz. Ein aufwühlendes Erlebnis.

Ihm folgte mit Auszügen aus der Ballettsuite „Das goldene Zeitalter“ und der „Suite für Estradenorchester“ der unterhaltsame Ausklang. Hier konnten die Musiker richtig auf die Pauke hauen, mit Soli auf Posaune und Saxophonen viel Vergnügen verbreiten. Riesenapplaus für den Lieblingskomponisten des Abends und seine Interpreten. Peter Buske

Peter Buske

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