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Ungewisses Glück. Wie es nach der Bergung weitergeht, ist offen.

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Kultur: Wenn sich Rettungseinsätze wie Niederlagen anfühlen

Das Thalia-Kino zeigt den Film „Iuventa“. Er dokumentiert was es bedeutet, im Mittelmeer Flüchtlinge zu retten

Von Helena Davenport

In 15 Missionen rettete die Initiative „Jugend Rettet“ innerhalb von zwei Jahren mehr als 14 000 geflüchtete Menschen vor der libyschen Küste. Bis die italienischen Behörden am 1. August 2017 ihren umgebauten, durch eine Crowdfunding-Kampagne finanzierten Fischkutter, die Iuventa, beschlagnahmten. Sie wollten Menschenleben retten, die Politik wachrütteln, doch nun sehen sich die jungen Helfer dem Vorwurf ausgesetzt, mit Schlepperbanden zusammenzuarbeiten.

Bis heute liegt die Iuventa – auf deutsch Jugend – bei der italienischen Insel Lampedusa fest. Die jungen Mitglieder von „Jugend Rettet“ kämpfen weiter. Der italienische Regisseur Michele Cinque hat die Einsätze der jungen Deutschen über ein Jahr lang begleitet, bis zum Moment der Ohnmacht. Sein Dokumentarfilm „Iuventa“ war am Samstag im Thalia-Kino zu sehen, die Vertreter der Initiative für den Standort Potsdam, Clemens Nagel und Antonia Debus sowie Vorstandsmitglied Sophie Tadeus waren zur Vorführung anwesend.

„Mir war klar, ich muss diese Geschichte erzählen“, sagt der Regisseur gleich zu Beginn des Films. Es ist die Geschichte junger Leute, die über sich hinauswachsen. Die jüngsten von ihnen sind erst Anfang 20. Beim Beladen ihrer Iuventa hören sie laut Musik, später spielt einer witzelnd auf einer Ukulele. Die Crewmitglieder bringen sich selbst das Nötigste bei. Beim Üben der Mund-zu-Mund-Beatmung wird gescherzt: „Du solltest mich wenigstens vorher zum Essen einladen“, sagt ein junger Mann am Boden.

Keiner von ihnen weiß, was sie erwartet. Selbst auf die Frage, wie viele Menschen ihr Schiff tragen kann, gibt es zunächst keine Antwort. Irgendwann ist es soweit, sie legen ab, bilden mit Schiffen anderer NGOs eine Flotte und werden von der italienischen Küstenwache aus koordiniert. Viele Situationen sind brenzlich. Und viele Szenen gehen an die Nieren. Eine junge Frau ist krank. Ein Crewmitglied hält ihre Hand. Dann hat sie es fast geschafft, doch kurz vor ihrer Ankunft auf dem alten Kutter bricht sie zusammen. Wiederbelebungsversuche scheitern, sie stirbt. Aber die Crew hat keine Zeit, Ereignisse wie dieses zu verarbeiten. Stattdessen muss sie erklären, wieso sich schon zwei Tote an Bord befinden. „Alle haben Rettungswesten getragen“, hört man den Kapitän am Telefon sagen.

Auch schöne Momente zeigt Cinque. Plötzlich ist die Iuventa voll von Menschen, die erleichtert sind, die beten, die sich umarmen. Einer erzählt auf Englisch, dass er nicht schwimmen kann und nichts bei sich hat, außer den Wunsch, eine Ausbildung in Europa zu beginnen. Ein anderer sagt, dass er sich vorstellen könnte, in Rom zu leben, weil der Papst dort wohnt. Der Ausspruch eines Geretteten „Ich liebe Europa!“ mag angesichts der aktuellen Debatten etwas befremdlich klingen.

Zwischen ihren Einsätzen haben die Crewmitglieder nur wenig Zeit, sich mit dem Erlebten auseinanderzusetzen. Dass sie sich immer wieder rechtfertigen müssen, setzt ihnen zu. Unter anderem wird ihnen vorgeworfen, noch mehr Menschen dazu zu motivieren, die Gefahren einer Flucht über das Mittelmeer auf sich zu nehmen. Gleichzeitig haben sie das Gefühl, dass ihre Arbeit die Politik nicht verändert. Viele derjenigen, die sie gerettet haben, sitzen anschließend in Flüchtlingslagern fest. Und die Situation auf See scheint sich keineswegs zu verbessern. Eigentlich wollte „Jugend Rettet“ schon mit dem ersten Einsatz Druck auf die Europäische Union ausüben. Doch ein Einsatz folgt dem anderen. „Im zweiten Jahr weiterzumachen, fühlt sich an wie eine Niederlage“, sagt ein Helfer im Film. Als ihnen dann auch noch das Schiff genommen wird, ist die aktuelle Crew am Boden.

„Wenn dir dein Werkzeug genommen wird, mit dem du die Politik beeinflussen möchtest, bist du erst einmal gefrustet", sagt Sophie Tadeus im Gespräch nach dem Film. „Aber wenn wir untergehen, dann laut!“, sagt sie weiter. Es gehe hier nicht um einzelne Schiffe, sondern um das Durchsetzen von Menschenrechten. Cinques beeindruckende Dokumentation könnte die Kraft haben, die Realität im Mittelmeer stärker in das hiesige Bewusstsein zu rücken. „Iuventa“ hat keinen klassischen Kinostart, sondern wird deutschlandweit immer in Anwesenheit von Mitgliedern der Initiative in ausgewählten Kinos gezeigt. Helena Davenport

Am Dienstag um 19 und 20 Uhr im Kino Central in Berlin-Mitte, weitere Termine unter www.iuventa-film.de

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