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Schwungvoll. Christina Pluhar und ihr Ensemble breiteten ihren Vortrag mit hinreißender Intensität und Rhetorik aus. Mit erstaunlichen instrumentalen Glanzlichtern brachten sie den Nikolaisaal zum Toben.

© dpa

Kultur: Von Liebeslust und Leidenschaft

Christina Pluhar und ihr Ensemble „L’Arpeggiata“ begeistern mit Monteverdis „L’Orfeo“ im Nikolaisaal

Der vollbesetzte Nikolaisaal empfängt die Alte-Musik-Göttin Christina Pluhar und ihr auf historischen Instrumenten spielendes Ensemble „L’Arpeggiata“ mit anhaltend stürmischem Applaus. Erwartungsvolle Spannung knistert im Saal. Werden die Spezialisten einer historisch informierten Spielweise dem Verlangen nach einer sinnenberauschenden Sternstunde frühbarocken Musizierens der Favola in musica „L‘Orfeo“ von Claudio Monteverdi (1567-1643) entsprechen können? Um es vorweg zu nehmen: der Samstagabend bewies es auf vorzüglichste Weise!

Dargeboten wird des Komponisten Erstlingswerk in einer konzertanten Fassung in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln. Durch stets passende Auf- und Abgänge sowie glaubhafte Partnerbeziehungen der Solisten und des von ihnen gebildeten Chores gewinnt es sich eine nachgerade semiszenische Dimension. Eine festliche Intrada mit vielen Barockposaunen eröffnet den Prolog. Dabei steigt La Musica, die durch Sopranistin Nuria Rial personifizierte Musik, von der Höhe des Parnaß herab, begrüßt das Publikum und huldigt dem in Mantua regierenden Herzogshaus der Gonzaga, das die mythologische Fabel in Musik zur Karnevalszeit im Februar des Jahres 1607 in Auftrag gegeben hat. Und kündigt den Anwesenden für die kommenden, ohne Pausen ablaufenden zwei Stunden das Spiel vom begnadeten Sänger Orpheus an.

Die Poesie sei Herrin der Musik, eine damals weitverbreitete Ansicht. Doch für Monteverdi, der die überlieferte Formenvielfalt bündelt und daraus sich seinen eigenen Stil gewinnt, sei das Verhältnis von Wort und Ton gegenseitig bedingt. Und so macht er sich auch die Ideen der florentinischen Musikreformer für seinen Opernerstling zu eigen, die sich für die Wiedererweckung der griechischen Tragödie aus dem Geist der Musik einsetzen. Dabei wenden sie sich vom überlieferten chorischen und polyphonen Prinzip ab und „erfinden“ die Monodie, einen wortgezeugten, deklamatorischen Sologesang rezitativischer Art, der vom Basso continuo gestützt wird. Für die genaue musikalische Abbildung menschlicher Leidenschaften und Affekte der entscheidende Schritt. „L’Orfeo“ lebt singend und klingend davon. Von den heiter gelösten Rezitativen der Hirten des Handlungsbeginns bis zur beklemmenden Szene, in der die Botin (mit dramatischer Mezzo-Verve: Luciana Mancini) die Schreckensnachricht von Euridices plötzlichem Tod überbringt, versteht es Monteverdi vorzüglich, die Spannung unentwegt zu steigern. Nach dem Motto: Je höher der Held aus dem höchsten Glück in die tiefste Verzweiflung stürzt, desto größer die Dramatik. Kurzum: hier waltet psychologisch begründetes Brio pur, von Christina Pluhar und ihrem Ensemble mit hinreißender Intensität und Rhetorik ausgebreitet. Es setzt staunen machende instrumentale Glanzlichter.

Glanzstück von Monteverdis wandlungsreicher Rezitativkunst ist die Klage des Orfeo „Du bist gestorben“ um Euridices Tod. Er ist verzweifelt: ohne sie kein Glück für ihn. Mit seinem kraftvollen, lyrischen und ausdrucksstarken Tenor durchlebt und durchbebt Cyril Auvity alle Facetten dieser seelischen Erschütterung. Vor dem Eintritt in die Unterwelt verlässt ihn sogar die personifizierte Hoffnung (Speranza) in Gestalt von Benedetta Mazzucato mit ihrer eindringlichen Alt-Botschaft: „Lass alle Hoffnung fahren dahin.“

Und auch beim Austricksen des Unterwelt-Fährmanns Caronte (mit rabenschwarzer Bassgewalt: João Fernandes) weiß er mit leuchtkräftiger, farbenreicher Stimme zu begeistern. Seinem göttlichen, zu Herzen gehenden Gesang kann auch Proserpina (Céline Scheen) nicht widerstehen, die schließlich auch ihren Gatten, den Höllenfürsten Pluto, in Gestalt von Bass-Macho Dingle Yandell überreden kann, Euridice in die Oberwelt zu entlassen. Diese ist mit der anmutigen, sopranlyrisch sich verströmenden Nuria Rial vorzüglich besetzt – und muss doch im Hades zurückbleiben, weil Orfeo Gottes Umdreh-Verbot nicht befolgt hat. Erneut noch größere Verzweiflung. Was nun? Als Lohn für seine grenzenlose Liebe wird er von seinem göttlichen Vater Apollo (Mathias Vidal) zu den Sternen entrückt und damit unsterblich. Der Chor der Solisten preist seine Verklärung. Der vollbesetzte Nikolaisaal tobt. Peter Buske

Peter Buske

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